Jenseits des Krieges

Von New York über Paris und Ägypten nach Deutschland: Eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin führt durch die Lebensstationen der Fotografin Lee Miller.

Amputierte Brust eines chirurgischen Eingriffs« betitelte Lee Miller gespielt sachlich zwei Fotografien aus dem Jahr 1929. Das Bildpaar zeigt jeweils eine weibliche Brust auf einem Teller, arrangiert wie ein saftiges Stück Braten, dazu eine karierte Serviette, Messer und Gabel. Miller, die das Körperteil nach der Brustamputation einer Freundin heimlich aus dem Krankenhaus hatte mitgehen lassen, kommentierte damit auf hintergründige Weise die Obsession der surrealistischen Künstler, den weiblichen Körper bildnerisch zu zerstückeln.
Rund 15 Jahre später, 1945: Miller fotografierte als Kriegskorrespondentin für die Vogue – als eine von fünf Fotografinnen war sie bei der U.S. Army akkreditiert – in den gerade befreiten Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau. Die Motive: Leichenberge, Knochenberge. Körper, die keine mehr sind oder gerade noch genug Körper, um einen Eindruck vom qualvollen Sterben zu vermitteln. Die Titel beschreiben, was zu sehen ist, aber nun gibt es keinen doppelten Boden, der das Sujet der Wirklichkeit entreißen könnte. »Tote Gefangene«, »US-Soldaten untersuchen einen Eisenbahnwaggon voll toter Gefangener«, »Freigelassene Gefangene in gestreifter Sträflingskleidung neben einem Haufen Knochen von im Krematorium verbrannten Leichen«.
Millers Status als eine der herausragenden Fotografinnen des 20. Jahrhunderts beruht nicht zuletzt auf den Brüchen in ihrer künstlerischen Biographie. Surrealismus, Mode-, Porträt-, Reisefotografie und Kriegsberichterstattung stehen teilweise recht unverträglich nebeneinander. Über Letztere wusste man lange Zeit wenig, denn bis auf die bekannteren Reportagen in der amerikanischen und britischen Vogue gelangte nur wenig an die Öffentlichkeit. So war Millers Werk zunächst von den Bildern überlagert, die andere von ihr machten: berühmte Männer wie der Surrealist Man Ray, der Fotograf Edward Steichen und der Schriftsteller, Maler und Filmemacher Jean Cocteau, der sie in seinem Film »Le sang d’un poète« (1930) als klassische Statue besetzte. Miller war außerdem bekannt als die »Frau in Hitlers Badewanne« – ein Ruf, den sie einer legendären Aufnahme des Life-Fotografen David E. Scherman verdankt. Nach der Einnahme Münchens am 30. April 1945 fotografierte er seine Kollegin in Hitlers Münchener Privatwohnung am Prinzregentenplatz 16.
Miller, die 1907 in Poughkeepsie im US-amerikanischen Bundesstaat New York geboren wurde und mit 22 Jahren nach Paris übersiedelte, um bei Man Ray die Technik der Fotografie zu lernen, war eine schöne Frau mit einem androgynen Touch, die Blicke auf sich zog und diese zugleich zu lenken verstand. Geradezu prototypisch verkörperte sie ein Modell selbstbestimmter Weiblichkeit und Sexualität, sie war Flapper (in den zwanziger Jahren in New York) und Garçonne (im Paris der dreißiger Jahre). Doch erst Ende der neunziger Jahre, lange nach Millers Tod 1977, fand ihr Sohn Antony Penrose, heute Direktor des Lee-Miller-Archivs und des Museums im Farley Farm House im englischen Chiddingly, den Großteil der Kriegsfotografien auf einem Dachboden. Die Fotografin Miller wurde neu entdeckt – und feministisch interpretiert –, vor allem in den letzten zehn Jahren hat die Zahl der Ausstellungen und Publikationen stetig zugenommen.
Die von Walter Moser, dem Sammlungsleiter der Albertina Wien, kuratierte Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin präsentiert nun einen Überblick über die wichtigsten Schaffensperioden der Künstlerin; der Schwerpunkt liegt dabei auf den Jahren 1929 bis 1945. Natürlich stellt so eine sauber gehängte Schau immer auch die Frage nach den Musealisierungseffekten eines Werks, das überwiegend für andere Medien produziert wurde. Und wie so oft wird die Kontextualisierung der Arbeit in den begleitenden Katalog ausgelagert. So muss man sich in der Ausstellung mit den beiden nebeneinander präsentierten Vogue-Ausgaben zufriedengeben, mit jeweils einer Doppelseite.
Den Auftakt der Ausstellung bildet eine Gegenüberstellung von Werken Millers mit denen ihres Lehrers, Mitarbeiters und zeitweiligen Lebens­partners Man Ray. Einige Arbeiten sind das Ergebnis einer produktiven künstlerischen Zusammenarbeit. Beispielhaft ist eine Aufnahme, die Ray von Millers Hals gemacht, dann aber verworfen hatte. Erst durch Millers Überarbeitung – sie verengte den Bildausschnitt und vergrößerte das Motiv – wurde aus dem eher konventionellen Porträt eine ambivalente Darstellung, in der Figuration und Abstraktion in einem Spannungsverhältnis stehen. Nicht immer lässt sich die Urheberschaft eindeutig klären; unbestritten ist die Beteiligung Millers an der Wiederent­deckung der Solarisation, die vor allem mit Rays Arbeiten assoziiert wird. Miller kam schließlich nicht als unbedarfte Schülerin zu Ray. Bevor sie als gefragtes Vogue-Model das Gewerbe von der anderen Seite der Kamera kennenlernte, hatte sie in New York Bühnenbild und Beleuchtung studiert.
1932 kehrte Miller nach New York zurück und betrieb dort ein eigenes Fotostudio, bevor sie nur drei Jahre später mit ihrem ersten Ehemann, einem vermögenden ägyptischen Geschäftsmann, nach Kairo zog. Aus dieser Zeit stammt auch »Portrait of Space« (1937), eines ihrer schönsten Landschaftsfotos, aus einem Zelt heraus fotografiert – ein Spiel mit Rahmungen und Fenstern, dem Innen- und Außenraum.
Millers erste Kriegsfotografien zeigen den zerstörten Stadtraum nach dem »London Blitz«. Miller ist hier noch ganz die Surrealistin, arbeitet mit gekippten Perspektiven und sucht nach Spuren leichter Wirklichkeitsverrückung. Mode und Kriegsberichterstattung waren zu dieser Zeit in Fashion-Magazinen eng miteinander verschränkt und standen im Dienst der Propaganda. Das »Modell in einem Digby-Morton-Kostüm« (1941) steht mitten in einer Trümmerkulisse, Miller fotografierte außerdem Schutzbekleidung für Fabrikarbeiterinnen, wobei die Posen ganz den Vorgaben der Modefotografie folgten.
Bei den Lagerfotos ist Millers Bildsprache deutlich sachlicher. Doch auch hier lässt sich noch immer ihr surrealistisch geschulter Blick erkennen. In »Ohne Titel« (Beine eines Gefangenen, 1945) richtet sie ihren Blick frontal und mit großer Aufmerksamkeit für Haltung und Fußposition auf die zusammengeflickten Schuhe eines ehemaligen KZ-Insassen.
Nach dem Krieg wurde Miller als weibliche Fotojournalistin gefeiert. »Who else can swing from the Siegfried line one week to the new hip line the next?« hieß es in der Willkommensrede, als sei der Spagat zwischen Westwall und Hüftlinie ein schönes Abenteuer. Tatsächlich aber erholte sich Miller nur schlecht von den Kriegserlebnissen, sie wurde depressiv und alkoholabhängig. Und sie hatte eine Aufgabe verloren, in der sie sich zum ersten Mal ganz wiederfand.
Lee Miller – Fotografien. Martin-Gropius-Bau, Berlin. Bis 12. Juni

Elizabeth Miller wurde als Tochter von Theodore und Florence Miller 1907 in Poughkeepsie geboren. Für ihren Vater musste Elizabeth schon früh Modell stehen, durch ihn wurde sie auch mit der Technik der Fotografie vertraut. Später schilderte Lee Miller, dass sie als Kind durch einen nahen Verwandten missbraucht worden war, möglicherweise war der Täter ihr eigener Vater.
1926 immatrikulierte sie sich in der New Yorker Art Students League, um Bühnenbild und Beleuchtung zu studieren. Im selben Jahr entging sie nur knapp einem Unfall in Manhattan, bei dem sie fast von einem Wagen erfasst worden wäre. Der zufällig vorbeilaufende Verleger Condè Nast, der die Magazine Vanity Fair und Vogue herausgab, rettete sie. Nast zeigte sich angetan von Miller und engagierte sie als Fotomodell. Für die Vogue arbeitete sie in den USA mit renommierten Fotografen wie Edward Steichen und George Hoyningen-Huene. 1929 ging sie nach Paris, wo sie den Surrealisten Man Ray traf, mit sie eine kurze Beziehung hatte.