Verschwörungsideologien und linksrechte Querfronten in den USA

Unter falscher Flagge

Auch in den USA haben Verschwörungsideologien und Querfrontbündnisse Konjunktur. Es gibt viele Berührungspunkte von links und rechts von Umwelt- bis Außenpolitik.

Linksrechte Querfront-Bewegungen spielen eine große Rolle der US-amerikanischen politischen Debatte. Ähnlich wie in anderen Ländern können sie viele verschiedenen Formen annehmen: Es gibt antisemitische Linke, antikapitalistische Rechte, Bündnisse zwischen links und rechts im Zusammenhang mit Protesten gegen den Krieg und Bewegungen, oft populistischer Natur, die ohne deutliche Differenzierung rechte und linke Elemente enthalten – Anonymous sowie Teile von Occupy Wall Street sind Beispiele dafür.
In der Parallelwelt der Verschwörungstheorien treffen extrem rechte und extrem linke Ideen aufeinander. Dieses Milieu wurde in den neunziger Jahren populär, damals hatten linksrechte Verschwörungstheoretiker die Ermordung von John F. Kennedy zum Hauptthema. Der Film »Slacker« aus dem Jahr 1991 zeigt rechte Paramilitärs, die auf die Vorstellung fixiert waren, eine Invasion der Vereinten Nationen zur Etablierung einer Neuen Weltordnung stehe unmittelbar bevor.
Seit Jahren sind Verschwörungsideologien in der politischen Debatte en vogue. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 war es der Nachrichtensender Fox News, der wesentlich dazu beitrug, sie im Mainstream zu etablieren. Das »9/11 Truth Movement« ist eine der bekanntesten Bewegungen in diesem Umfeld, andere Gruppen fokussieren auf die »dunklen Machenschaften« der Banken – der U.S. Federal Reserve und der Rothschild Bank – oder auf das unverbindliche entwicklungs- und umweltpolitische Aktionsprogramm der UN, die Agenda 21 (heute »Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung«). Wieder andere behaupten, islamistische Anschläge sowie Massaker in Schulen seien false flag-Operationen. Bei den meisten dieser Verschwörungstheorien spielt die angebliche Macht der Juden, beziehungsweise einer zionistischen-jüdischen Verschwörung, eine wesentliche Rolle: Diese kontrolliere sowohl die US-amerikanische Außenpolitik als auch die Politik im Nahen Ostens, den »Islamischen Staat« inklusive.
Das verschwörungstheoretische Milieu hat keine eindeutige politische Orientierung. Es schließt Menschen, die sich links verorten, genauso ein wie solche, die sich als rechts oder als unpolitisch bezeichnen. Es passiert nicht selten, dass Menschen in diese Zusammenhängen von links kommen, um dann in rechte politische Kreise gezogen zu werden, denen es viel leichter als den Linken fällt, Verschwörungsideologien in eine breitere politische Perspektive zu integrieren. In anderen Fällen entscheiden sich Menschen, mit denjenigen zu kooperieren, die sich ihrer main issue widmen, ob dies »Wer ist schuld an 9/11« ist oder ob sie »die Macht der israelischen Lobby« (wie die »politisch korrekte« Formulierung lautet) beziehungsweise »die jüdische Verschwörung« (wie es im real talk meistens heißt) enthüllen wollen. Das Internet hat dazu beigetragen, diese Verbindungen zwischen unterschiedlichen politischen Milieus zu verstärken, da viele dieser Theorien schnell ergooglet werden können.
Bestimmte Ereignisse in den USA haben jüngst gezeigt, wie sich in diesem Milieu Querfrontbündnisse bilden können. Im August sorgte der Fall von Ajamu Baraka, einem false flag-Ideologen, den die Green Party als Vizepräsidentschaftskandidaten aufgestellt hatte, für Aufsehen. Nach seiner Nominierung wurde bekannt, dass er zweimal zu Gast in der Radiosendung des Holocaust-Relativierers Kevin Barrett gewesen war und dass sich ein Beitrag von ihm in der von Barrett herausgegebenen Anthologie »Another French False Flag? Bloody Tracks from Paris to San Bernardino« findet. Weitere Beiträge in diesem Buch stammen von Antisemiten wie Gilad Atzmon, Ken O’Keefe, David Dees, James Petras und Alain Soral. Der Blogger »Bob from Brockley« urteilt über Barretts Buch: »Das Inhaltsverzeichnis gleicht einer Anwesenheitsliste der derzeit bösartigsten Antisemiten.« In Barakas Essay wird zwar nicht behauptet, die jihadistischen Anschläge von November 2015 in Paris seien eine false flag-Operation gewesen, die erste Kundgebung in Paris nach den Attentaten wird jedoch als »White-Power-Demonstration« bezeichnet. Dieser Essay, dessen Titel »The Paris Attacks and the White Lives Matter Movement« lautet, war bereits 2015 auf der Website Counterpunch veröffentlicht worden, die sich als »Fearless Voice of the American Left« bezeichnet und unter anderem 2007 eine sehr ausführliche »Recherche« über die Rolle Israels bei den Anschlägen vom 11. September 2001 herausgebracht hat (»What Did Israel Know in Advance of the 9/11 Attacks?«). Es dauerte Tage, bis Baraka auf die Kritik wegen seiner Verbindung zu Barrett reagierte. Als er es schließlich tat, in einem ersten Interview mit der Website Gawker, schien es ihm nicht wichtig zu sein, darauf einzugehen, dass er in die Nähe von Holocaust-Relativierern gebracht wurde. Erst in einer späteren Präzisierung, die als Update zum Interview gesetzt wurde, äußerte er sich zum Thema und distanzierte sich ausdrücklich von Barretts Positionen.
Ein weiterer Fall: Kurz vor dem Jahrestag der Anschläge des 11. Septembers wurde der Autor Christopher Bollyn von den Brooklyn Commons als Redner für eine Veranstaltung eingeladen, deren Titel lautete: »9-11 and our political crisis: ending the twin deceptions of 9-11 and the fraudulent war on terror«. Die Brooklyn Commons sind nach eigenen Angaben ein progressiver »Co-Working-Space«, wo auch verschiedene linke Organisationen untergebracht sind, unter anderem die Redaktion des Jacobin Magazine. Dass sie einen landesweit bekannten Verschwörungstheoretiker als Redner eingeladen hatten, löste heftige Proteste aus. Weitere Etappen von Bollyns Tour waren unter anderem eine presbyterianische Kirche in Manhattan, eine Buchhandlung in Washington, D.C., und eine unitarische Gemeinde in Connecticut. Offensichtlich war es sein Ziel, Aktivisten aus dem Umfeld der Palästina-Solidarität und andere, die sich als links verstehen, darüber aufzuklären, wie ein geheimer Bund von zionistischen Juden für die Anschläge vom 11. September verantwortlich sei.
Bollyn dachte sich diese Ideen aus, als er bei der Liberty Lobby arbeitete – der Mediengruppe des langjährigen, 2015 verstorbenen Neonazi-Paten Willis Carto. Bollyn hat dort an zwei Publikationen mitgewirkt: der nationalistischen Zeitung American Free Press und der antisemitischen Barnes Review, die das Hauptinstrument zur Verbreitung von Holocaust-Leugnung in den USA ist.
Trotz heftiger Proteste der Mieter – unter anderem jüdischen wie palästinensischen Gruppen –, Demonstrationen vor dem Gebäude und einer großen, nicht gerade positiven Medienresonanz bestand die Gastgeberin und Besitzerin der Commons, Melissa Ennen, darauf, die Veranstaltung stattfinden zu lassen. Ennen ist Anhängerin der Truther-Bewegung und ziemlich aktiv in diesem Milieu. In der Vergangenheit hat sie bereits rechtsextreme Redner auf andere Truther-Veranstaltungen eingeladen – unter anderem Alex Jones und Kevin Barrett (der damals noch nicht als Holocaust-Leugner aufgefallen war). Durch die Kontroverse um die Brooklyn Commons kam außerdem heraus, dass Barrett einer der Redner der »Left Forum 2016« war, der größten Konferenz sozialistischer Intellektuelle in den USA.
Verschwörungstheorien sind nur einer der vielen Bereiche, in denen die Ansichten von Linken und Rechten in Berührung kommen. Überschneidungen gibt es viele, sie reichen von der Kritik am Verhalten der Polizei über die Kritik an GMO (gentechnisch veräderten Organismen), die Unterstützung von Bashar-al-Assad und Wladimir Putin bis hin zu single issues im Bereich der Umweltpolitik oder des Tierschutzes. Auch bestehen Affinitäten in bestimmten musikalischen und spirituellen Subkulturen.
Linke dürfen sich nicht auf Querfronten einlassen. Sie müssen auch klar die Grenzen definieren zwischen dem, was in der politischen Debatte diskutierbar ist, und dem was nicht toleriert werden kann. Das ist ein komplexes Problem und ein erster Schritt zu dessen Lösung wäre es, über den Ursprung und die Wirkung von Verschwörungstheorien und deren antisemitischen Kern aufzuklären. Das fehlt in der US-amerikanischen Gesellschaft, besonders unter den Linken.

Der Autor forscht über die extreme Rechte in den USA. Zuletzt erschien ein Interview mit ihm über Donald Trump und den Rechtspopulismus in den USA (Jungle World 31/16) .
Aus den Englischen von Federica Matteoni.