Die Welt von Kreator und Sepultura

Urschlamm der Aufklärung

Die Metal-Größen Kreator und Sepultura sind mit neuen Alben auf Tour.
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Sicher, es gibt sie noch, die lärmenden Kapellen mit den sperrigen Band-Logos, die man auf den Kutten der Besucher des alljährlichen Wacken-Festivals sieht. Zwei Bands, die da hoch im Kurs stehen, Sepultura und Kreator, sind nach mehrjähriger Pause wieder ins Studio gegangen, um mit dem schwedischen Produzenten Jens Bogren neue Alben aufzunehmen. Ende Januar sind »Gods of Violence« (Kre­ator) und »Machine Messiah« (Sepultura) erschienen, nun geht es im Doppelpack auf Tour und die Fachpresse – von Metal Hammer bis ­Musikexpress – ist außer sich vor Begeisterung.
In Sachen Heavy Metal eher unkundige Leser könnten glauben, dass zwei Alben, die so eifrig diskutiert werden, bestimmt irgendwas ganz neu und ganz anders machen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall, denn das Verhältnis zwischen Pop und Metal entspricht dem zwischen Kunst und Kunsthandwerk. Während Spex und Co. immer auf der Suche nach dem Neuen oder zumindest Neu­verpackten in Sachen Pop sind, richtet sich der Blick des Metalfans heute ausschließlich in den Rückspiegel: Die gesamte Ästhetik des Heavy Metal ist rückwärtsgewandt. Deshalb können beispielsweise Metallica mit ihren neuen Alben grundsätzlich nur enttäuschen: Sie sind eine Metalband, die aufgrund ihres kommerziellen Erfolges von der Kritik als Popband angesehen wird. Selbst wenn James Hetfield und die Seinen sich mal wieder Mühe gäben, sie säßen am Ende sowieso zwischen allen Stühlen.
In der Renaissance galt die imitatio, die Nachahmung der antiken Meisterwerke, als nobelste Tugend der Kunst. Das hat sich seither grundlegend geändert, in den meisten Be­reichen frönt die Kultur dem Kult ums Kreative und womöglich Geniale. Heavy Metal war irgendwann auch mal neu, doch in den vergangenen Jahren ist die imitatio hier wieder das Maß der Dinge. Wenn der Metal Hammer schreibt, eine Platte klinge wie die frühen Black Sabbath, Iron Maiden oder Darkthrone, dann ist das als Kompliment und Empfehlung ­gemeint. Das Genre hat sich insgesamt konsolidiert und obwohl die Maschine kommerziell noch gut läuft, werden musikalische Grenzen hier nicht mehr überschritten. Jegliche Innovation legt die Kritik eifrig entweder gleich in neuen Genres ab (Sludge oder Djent) oder sortiert sie in immer spezifischere Subgenres ein (à la Progressive Melodic Death Metalcore). So bleibt der Metal möglichst true, aber eben auch mit sich alleine.
Ein wenig lässt sich dieser Hang zur nostalgischen Verklärung ja verstehen. In den Achtzigern, in den frühen Tagen von Sepultura und Kreator also, umgab Heavy Metal eine Aura des Gefährlichen. Damals trugen CSU-Minister noch keine AC/DC-Shirts und der öffentlich-rechtliche Rundfunk überlegte noch, ob es nicht lauter satanistische Neonazi-Punks seien, die diesem Radau frönten. Aber Metal war damals wie heute mehrheitlich die Musik eher unsicherer weißer Jungs, die gut mit Büchern, aber schlecht mit Menschen können und die das pubertäre Ohnmachtsgefühl mit martialischen Allmachtsphantasien voller Drachen, Zwerge und Monster bekämpfen. (Frauen und PoC spielen leider bis heute nur kleine Nebenrollen in der Metal-Geschichte, während weiße Muskelmänner Legion sind.)
Dass Metal meist nur böse tut, aber es nicht ist, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Keiner findet Lederjacken mit Nieten mehr gruselig, und weil es gesellschaftlich akzeptiert ist, wächst die Szene wieder. Als unsicherer weißer Junge konnte ich Anfang dieses Jahrtausends noch für ­einen knappen 50er nach Wacken fahren. Heute kostet der Spaß über 200 Euro und man muss auch noch reichlich Glück haben, denn in den letzten drei Jahren war das Festival jeweils innerhalb weniger Stunden restlos ausverkauft. Metal war früher sicher nicht besser, aber irgendwie aufregender.
Das wissen auch Kreator und Sepultura. Vor einem Vierteljahrhundert, als es einen regelrechten Wettbewerb gab, wer tiefer, schneller oder lauter spielt, galten beide Bands als innovativ. Beider aktuelle Alben sind jedoch eine sehr konsequente, beinahe formelhafte Weiterentwicklung der vorangegangenen Veröffentlichungen. Wer diese nicht mochte, muss jetzt auch nicht einsteigen, verpasst aber eine große Menge Spaß – denn wer wie Kreator und Sepultura lange Zeit dasselbe macht, wird darin zwangsläufig ziemlich gut.
Die brasilianischen Sepultura legten Anfang der Neunziger die stilistischen Grundsteine für alles, was später in der Fachpresse unter den Kategorien Nu Metal und Groove Metal verhandelt worden ist. 1996 gab es einen großen Bruch. Sänger Max Cavalera verließ die Band und macht seitdem unter verschiedenen Namen (Soulfly, Cavalera Conspiracy) die Musik weiter, die seine ehemalige Band groß gemacht hatte. Bei Sepultura, nun unter der Führung des ­Gitarristen Andreas Kisser, verwaltet man hingegen durchaus geschickt die Marke, die seither für eine ­Mischung aus Hardcore-Punk, Thrash-­Metal und Progressive Rock steht. Das klang noch nie so sperrig, aber auch noch nie so schön wie auf dem neuen Album »Machine Messiah«. Besonders Sänger Derrick Leon Green, einer der ganz wenigen nichtweißen Superstars des Genres, bringt hier von sanftem Gesäusel bis zu brutalen growls die wohl beste Gesangsleistung der Bandgeschichte. Dazwischen gibt es synkopierte Rhythmen, dystopische Texte und Geknüppel, viel Geknüppel.

Kreator aus dem Ruhrgebiet, genauer aus Altenessen, waren in den Achtzigern der härteste heiße Scheiß, den es gab, flogen zehn Jahre später aber mächtig auf die Nase bei dem Versuch, Metal mit Gothic zu vermählen. Erst 2001, mit dem Album »Violent Revolution«, holten sie nicht nur ihre alten Fans zurück, sondern legten auch den Masterplan vor, wie Heavy Metal im 21. Jahrhundert kommerziell funktionieren kann: Man nehme das Beste der Achtziger, mische es zeitgemäß druckvoll ab, und die Headbanger sind begeistert. Dieses Erfolgsrezept hat die Band mit dem neuen Album »Gods of Violence« mustergültig umgesetzt. Verlieren wir also keine unnötigen Worte über die Musik – die passt, »amtliches Brett« würde die Fachpresse schreiben, elf Hits und kein einziger Ausfall. Bemerkenswert sind wieder einmal die Texte von Sänger Mille Petrozza, die seit langem linke Themen mit der brutalen Zombie-Ästhetik des Genres mischen. Ein Song gegen Rassismus hieß dann »All of the Same Blood«, einer gegen Umweltverschmutzung »Death to the World« und die Griechenlandkrise läuft bei Kreator unter »Civilization Collapse« – das ist weder besonders subtil noch hochintellektuell und doch ­außergewöhnlich. Schon in der BR-Dokumentation »Thrash Altenessen« von 1989 kann man den damaligen Bassisten Rob Fioretti »Ich will nicht werden, was mein Alter ist« von Ton, Steine, Scherben singen hören. 2009 folgte mit dem Song »Destroy What Destroys You« dann auch die metallische Verneigung vor Rio Reiser und Co. Das aktuelle Album steigt lyrisch in den Urschlamm der Aufklärung, in die die babylonisch-griechische Antike. Mit »Totalitarian Terror« gibt es einen Song, der sich direkt auf Hannah Arendt bezieht, welche die Idee der griechische Polis zeitlebens als demokratisches Ideal gepredigt hatte. Im Lied »Fallen Brother« tritt der Schlagersänger Dagobert vom Buback-Label als Gast auf, das dürfte sogar die Spex freuen.
Völlig aus der Reihe der Genre-Konventionen fällt der vorletzte Song, »Side by Side«. Dank dieses Stücks ist »Gods of Violence« wohl das erste Thrash-Metal-Album überhaupt, das im LGBT-Szenemagazin Blu angekündigt wurde. Im üblichen schwülstigen Tonfall sagt diese Hymne mit schwerem Iron-Maiden-Einschlag der Homophobie den Kampf an. »To you who face the wrath of sacrosancts/to you who feel despised or unbeloved«, singt Petrozza mit ungewohnt sanfter Stimme, »I’ll be by your side … as we crush homophobia«. Das ist leider auch fast 20 Jahre nach dem Coming-out von Judas-Priest-Sänger Rob Halford eine außergewöhnliche Ansage für eine Metalband. Slayers Tom Araya hat jüngst Präsident Trump gratuliert und dessen Kritiker mit schwulenfeindlichem Vokabular ­darum gebeten, ihn doch bitte als Anführer zu respektieren, James Hetfield schimpft auf die liberale Hollywood-Elite und Dave Mustaine von Megadeth ist zwischendurch komplett in den verschwörungstheoretischen Abgrund abgetaucht. In einer Subkultur, in der jeder irgendwie warrior sein will, hat Mille Petrozza sich dafür entschieden, social justice warrior zu sein – und das ist gut so.

Sepultura: Machine Messiah
Kreator: Gods of Violence
(beide Nuclear Blast)