In Berlin soll ein »Freiheits- und Einheitsdenkmal« entstehen. In Form einer Wippe

Wippe statt Wilhelm

In Berlin entsteht eine bespielzeugte Innenstadt für Bewegtbürger.
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Der heiße Scheiß in der urbanen Architektur ist derzeit die »bespielbare Stadt«. Seit einigen Jahren kann hierzulande keine Fußgängerzone neu gestaltet werden, ohne dass im Zuge des Umbaus eine Handvoll mehr oder minder künstlerisch gestalteter Spielgeräte hinzukommt; und so zieren mittlerweile Minikarussells, Kletterpyramiden oder Balancierspielchen die Innenstädte von Memmingen bis Barsinghausen am Deister. Miesepetrig-kapitalismuskritisch könnte man anmerken, dass diese Objekte in erster Linie dazu dienen, einkaufenden Eltern Entlastung vom quengeligen Nachwuchs und damit mehr Muße zum Geldausgeben zu verschaffen. Man kann aber auch einfach anerkennen, dass die Dinger – auch Erwachsenen – durchaus Spaß machen.
Auch in Berlin will man es nach langem Hin und Her nun Metropolen wie den genannten nachtun. Wie es sich aber für die Hauptstadt gehört, muss das Ganze natürlich eine Nummer größer sein, und einfach zweckfrei herumgeturnt werden soll auf der geplanten Riesenwippe auch nicht. Vielmehr soll das »Freiheits- und Einheitsdenkmal«, so der offizielle Name, an den Fall der Mauer und die sogenannte Wiedervereinigung erinnern. Leuchtet ein, schließlich ging es nach der Wende für viele DDR-Geborene abwärts und für einige wenige nach oben – aber halt, so ist das kippelige Kunstwerk gar nicht gemeint. Sondern: »Der Titel ›Bürger in Bewegung‹ verweist darauf, dass Veränderungen mit der Aktivität der Bürgerinnen und Bürger verbunden sind, Kommunikation voraussetzen und selbst dann nur langsame, allmähliche Bewegung erzeugten.« So steht es in der Begründung der Jury, die über das Denkmal zu entscheiden hatte. Des Weiteren freut sie sich über die Drohung, pardon, »die Widmung ›Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk‹«, die »umso deutlicher und sichtbarer« werde, »je weiter man sich auf dieses Denkmal einlässt und es betritt«.
Geschenkt, dass dieses Motto, zumal in Verbindung mit ostdeutschen Bewegtbürgern, eher ungute Assoziationen weckt. Und so windschief das Bild der bewegungserzeugenden Veränderungen auch sein mag, Symbolik kostet nun mal extra, weshalb der Bund als Bauherr etwas tiefer wird in die Tasche greifen müssen. 15 Millionen Euro sind bisher für die Installation veranschlagt. Umgerechnet in kleinstädtische Fußgängerzonen wären das geschätzt knapp 1 000 bespielzeugte Innenstädte. Wenn alles seinen üblichen Gang geht, dürfte allerdings noch der eine oder andere siebenstellige Betrag hinzukommen.
Im Vergleich mit einem anderen Bauprojekt in unmittelbarer Nachbarschaft ist das allerdings immer noch relativ billig: Wo von 1976 bis 2008 der Palast der Republik stand, soll Preußens Gloria in einer Disneyland-Version neu erstrahlen, will heißen, die Rekonstruktion des einst von der DDR eingeebneten Stadtschlosses entstehen. Derzeitiger Kostenstand: etwa 600 Millionen Euro. Gerne hätten einige Mitglieder des Haushaltsausschusses des Bundestags auch noch die dazugehörigen Kolonnaden wiederaufgebaut. Nicht zufällig wäre das mit den Plänen für das Einheitsdenkmal kollidiert, die sich im politischen Berlin nicht unbedingt uneingeschränkter Beliebtheit erfreuen. Da hätte man dann auch gleich den ollen Kaiser Wilhelm wieder auf seinen Sockel stellen können, auf dem nun doch die Wippe Platz finden soll. So gesehen ist Spielengehen zumindest nicht die schlechteste Idee.