Erdoğans Propagandafeldzug und die deutsch-türkischen Beziehungen

Alles Nazis außer Erdoğan

Die AKP kämpft um die Zustimmung der 1,4 Millionen wahlberechtigten Deutschtürken zur türkischen Verfassungsreform. Die deutsch-türkischen Beziehungen sind wegen der Inhaftierung Deniz Yücels und Erdoğans Propagandafeldzug auf dem Tiefpunkt. Die türkische Community ist gespalten.

Türkische Politiker versuchen zurzeit hartnäckig, in Deutschland für ein Ja zur Verfassungsänderung in der Türkei zu werben. Trat Ministerpräsident Binali Yıldırım im Februar in Oberhausen noch vor 8 000 Anhängern auf, bescheidet sich die zweite Garde der türkischen Regierung mit deutlich kleineren Hallen und muss sich mit den Tücken des deutschen Ordnungsrechts auseinandersetzen. Ein geplanter Auftritt des türkischen Justizministers Bekir Bozdağ vor einigen Hundert Anhängern im baden-württembergischen Gaggenau scheiterte an mangelnden Parkplätzen. Seinem Kabinettskollegen, dem Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi, gelang es erst nach zwei gescheiterten Versuchen in Köln und Frechen, am Sonntag in Leverkusen einem Konzert beizuwohnen und schließlich im Kölner Senatshotel für das Referendum zu werben. Stimmt eine einfache Mehrheit der Wahlberechtigten im April zu, steht der Einführung einer Präsidialdiktatur nichts mehr im Weg.
Der erste vorgesehene Auftritt Zeybekçis in Köln scheiterte, weil die Union der türkisch-europäischen Demokraten, eine Lobbyorganisation der AKP, das Bezirksrathaus Porz für ein Frauentheater angemietet hatte und nicht für eine Werbeveranstaltung für das Referendum. In Frechen zog der deutschtürkische Besitzer eines Hochzeitssaals seine Zusage zurück, weil er in seinen Räumen keine politischen Veranstaltungen beherbergen wollte.
Zeybekçi sprach schließlich vor knapp 300 Besuchern im Festsaal des Senatshotels mit der Verve eines städtischen Beamten der Wasserbehörde vor den Mitgliedern eines Anglervereins. Nur selten unterbrach Applaus seine Rede. Nur wenn er den Namen Erdoğan erwähnte, kam bei den AKP-Anhängern im Saal so etwas wie Stimmung auf. Dass die Türkei wirtschaftlich schlecht dasteht und ohne die Hilfe Deutschlands und der Europäischen Union nicht aus dieser Krise kommen dürfte, sagte er nicht. Auch dass die türkische Exportwirtschaft, die bislang vor allem Textilien und sogenannte weiße Ware wie Kühlschränke ausführte, zurzeit von der Konkurrenz aus Asien von den Märkten gedrängt wird, war nicht sein Thema.
Zeybekçi beschrieb die Türkei als ein wirtschaftlich starkes Land, das seit der Regierungsübernahme der AKP im Jahr 2002 unabhängig von fremden Mächten geworden sei, die die Türkei immer noch bedrohten. Um welche Mächte es sich handelt, erwähnte Zeybekçi nicht. Das ist für Verschwörungstheorien dieser Art ja auch nicht nötig.
Sollte die Abstimmung über die Verfassungsreform in der Türkei im April ohne Manipulationen ablaufen, kann sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan nicht sicher sein, ob er gewinnt. Selbst unter den Anhängern der AKP hält sich die Begeisterung über die Aussicht in Grenzen, Erdoğans Macht stark auszubauen und die Rechte des Parlaments zu beschneiden: 30 Prozent der AKP-Wähler sind gegen die Verfassungsänderung, die die Türkei in eine Präsidialdiktatur verwandeln würde. Erdoğan ist deshalb besonders auf die Unterstützung der faschistischen MHP, der Partei der »Grauen Wölfe«, angewiesen. Und auf die im Ausland lebenden Türken.
Mit 1,4 Millionen Wahlberechtigen kommt den in Deutschland lebenden Menschen mit türkischer Staatsangehörigkeit eine wichtige Rolle zu. Sie stellen die größte im Ausland lebende Wählergruppe und sind deutlich überzeugter von Erdoğan als die Wähler in der Türkei. Fast 60 Prozent der in Deutschland abgegeben Stimmen bei der Parlamentswahl 2015 gingen an die AKP. In der Türkei erhielt Erdoğans Partei nach einem Wahlkampf, der ­geprägt war von Repressionen gegen Regierungskritiker, hingegen nur 49,5 Prozent. Nirgendwo in Europa sind die türkischen Wähler so begeistert von Erdoğan wie in Deutschland. In Großbritannien erhielt die AKP 2015 gerade einmal 20 Prozent der abge­gebenen Stimmen.
Reden wie die von Zeybekçi dürften in Deutschland besser ankommen als in der Türkei. Hier hören AKP-Anhänger gerne die Geschichte vom Erfolg und Aufstieg des Landes. Wer in der Türkei keinen Job mehr hat und nicht weiß, wie er die Rechnungen bezahlen soll, dürfte nicht so gutgläubig zuhören. Das Gute für Erdoğan ist, dass seine Wähler in Deutschland das Versagen seiner Regierung ebenso wenig am eigenen Leib zu spüren bekommen wie die Konsequenzen des autoritären Wandels. Erdoğan wird aus einer Mischung aus Nationalstolz und Religiosität gewählt.
Eine Quelle dieses Stolzes ist auch das Auftreten Erdoğans und anderer AKP-Politiker gegenüber der Bundesregierung: Der Journalist und Jungle World-Mitherausgeber Deniz Yücel sitzt als Geisel in Untersuchungshaft in der Türkei, Erdoğan hat deutschen Behörden »Nazipraktiken« vorgeworfen. Er tönt, er werde nach Deutschland kommen, wann er wolle. Wenn man ihn daran hindere, werde er »die Welt aufstehen lassen«. Sein Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu will Deutschland gar Benehmen beibringen. Die Bundesregierung reagiert auf all das hilflos. Sie fordert zwar Yücels Freilassung, droht aber keine Konsequenzen für den Fall an, dass das nicht geschieht. Beschimpfungen und Drohungen weist Berlin zurück, betont aber, weiter im Dialog bleiben zu wollen. Man setzt auf Deeskalation.
Gökay Sofuoğlu, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, hält das für den richtigen Weg, wie er im Gespräch mit der Jungle World sagt: »Ich wünsche mir, dass zwei Gänge zurückgeschaltet wird, man sich auf die lange Freundschaft zwischen beiden Ländern besinnt und von vorne beginnt.« Es gebe keine Alternative zu Gesprächen. »Die deutsch-türkischen Beziehungen waren noch nie so schlecht und das muss sich wieder ändern.« Doch nicht nur das Verhältnis zwischen den Staaten hat einen Tiefpunkt erreicht. Sofuoğlu sagt, auch zwischen Deutschen und Türken sowie innerhalb der türkischen Community werde der Umgangston rauer. »Der türkische Staat organisiert den Streit unter den Menschen, er hetzt die in Deutschland lebenden Türken gegeneinander auf. Sie werden bedroht, bespitzelt und man macht ihnen Angst wegen ihrer Verwandten in der Türkei, wenn sie sich hier kritisch über Erdoğan äußern.«
Sofuoğlu und sein Verein sind gegen die Umwandlung der Türkei in ein Präsidialsystem. »Ich glaube, die meisten Türken wollen weiterhin in einer parlamentarischen Demokratie leben. Aber es gibt keinen fairen Wahlkampf und in der Türkei herrscht immer noch der Ausnahmezustand.« Erdoğan sei in allen Medien präsent, die Opposition hingegen habe keine Möglichkeit, ihre Ansichten darzulegen. Kritiker würden denunziert und Demonstrationen verboten. Deswegen glaubt Sofuoğlu auch nicht, dass sich die Lage nach dem 16. April beruhigen werde: »Man kann auf diese Art und Weise keine Abstimmung durchführen.«
Doch was ist, wenn die von der Bundesregierung wie auch Sofuoğlu geforderten Gespräche keinen Erfolg haben? Was, wenn die türkische Regierung weiter auf Eskalation setzt, die hierzulande lebenden Menschen türkischer Staatsangehörigkeit aufhetzt, Yücel in Haft behält und auch in den kommenden Wochen die Bundesre­publik verbal angreift? Zurzeit sind bereits 81 Prozent der Bundesbürger einer Umfrage zufolge der Ansicht, die Regierung lasse sich zu viel von der türkischen Regierung gefallen. Der Druck auf Merkel steigt, Erdoğan mehr entgegenzusetzen, gerade im Wahljahr. Für Yücel und auch die hier lebenden Türken, die vom Erdoğan-Regime unter Druck gesetzt werden, muss das keine schlechte Nachricht sein. Ein autoritärer Politiker wie Erdoğan nutzt Schwäche aus und weicht zurück, wenn man ihm entgegentritt. Und die Türkei ist in Fragen der Wirtschaftshilfe und der Europäischen Zollunion deutlich abhängiger von der Bundesre­publik, als es umgekehrt der Fall ist. Hier streiten sich also nicht zwei Länder auf Augenhöhe, sondern ein Schwellenland befehdet eines der wirtschaftlich stärksten Länder der Welt. Daran ändert auch alle Kraftmeierei der türkischen Regierung nichts.