Der juristische Streit in den USA über das Einreiseverbot für Muslime

Rechtskonform diskriminieren

Auch das neue Einreiseverbot für Personen aus sechs mehrheitlich muslimischen Ländern wurde in den USA von Gerichten vorerst ­aufgehoben. Doch der Konflikt ist noch nicht entschieden.

Donald Trump kann es einfach nicht lassen: Nachdem sein erstes Einreiseverbot, das Asylsuchende und andere Menschen aus sieben vorwiegend muslimischen Ländern betraf, von Gerichten als verfassungswidrig eingestuft und faktisch aufgehoben worden war, schob der US-Präsident am 6. März eine überarbeitete Fassung nach. Diese wurde jedoch von zwei Gerichten ebenfalls entkräftet, zum einen in Hawaii, zum anderen im US-Bundesstaat Maryland. »Die fundamentalen Probleme bleiben die Gleichen«, erklärt der Rechtsanwalt Nicholas Espíritu, der an der Klage in Maryland beteiligt war. »Es gibt eine überwältigende Beweislast, dass das neue Einreiseverbot von den exakt gleichen Faktoren motiviert wurde, nämlich einer Feindseligkeit gegenüber Muslimen.«
Espíritu arbeitet für das 1979 gegründete National Immigration Law Center (NILC), eine Organisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Rechte von Immigranten zu verteidigen, insbesondere von jenen mit niedrigem Einkommen. Selten war dies wichtiger als jetzt, in der Ära Trump. »Anhand der Aussagen, die Donald Trump im Verlauf seines Wahlkampfs gemacht hat«, so Espíritu, »können wir seine Intention deutlich aufzeigen.« Konkret sieht Espíritu den ersten Verfassungszusatz der Vereinigten Staaten verletzt, genau genommen die sogenannte Establishment Clause, die »Etablierungsklausel«, die es der Regierung verbietet, die freie Ausübung einer Religion zu beeinträchtigen. So reichte das NILC zusammen mit der American Civil Liberties Union (ACLU) in Maryland eine Klage im Auftrag des Urban Justice Center, der Hebrew Immigrant Aid Society (HIAS) und privater Mandanten ein, die von dem Einreiseverbot betroffen wären, darunter auch US-Bürger. Doch die Regierung Trump argumentiert, dass das Einreiseverbot keineswegs der Diskriminierung einer religiösen Gruppe diene, sondern lediglich der nationalen Sicherheit der USA – denn die könne von den bestehenden Sicherheitsüberprüfungen in den betroffenen sechs Ländern nicht gewährleistet werden.
Das neue Einreiseverbot sieht vor, dass Menschen aus dem Iran, Libyen, Somalia, dem Sudan, Syrien und dem Jemen 90 Tage lang die Einreise verwehrt wird, bei Asylsuchenden sind es 120 Tage. Doch das Vorgehen lehnt Espíritu ab: »Es gibt zahlreiche Beispiele in der amerikanischen Geschichte, dass vermeintlich neutrale Kriterien von Seiten des Gesetzgebers mit den Merkmalen einer speziellen Minorität übereinstimmen. Und das wurde oft benutzt, um diese Minoritäten daran zu hindern, in bestimmten Gegenden Wohnungen oder Häuser zu erhalten.« Es sei auch Sache der Anwälte, die zugrundeliegenden Motive bloßzustellen.
Diese Einschätzung teilt auch der US-Bezirksrichter Derrick K. Watson in Hawaii. So schrieb Watson in seiner 43seitigen Urteilsbegründung: »Der Gedanke, dass eine Diskriminierungsabsicht nur dann erkennbar ist, wenn sie alle Mitglieder einer Gruppe betrifft, ist grundsätzlich falsch.« Auch Watson verweist auf Trumps eigene Aussagen: »Ein objektiver Beobachter wird zu dem Schluss kommen, dass hier nur die Absicht vorliegen kann, eine bestimmte Religion zu benachteiligen.« Er kippte das Einreiseverbot landesweit, nur wenige Stunden bevor es hätte in Kraft treten sollen. Kurz davor hatte der US-Bezirksrichter Theodore Chuang in Maryland ein weitaus begrenzteres Unterlassungsurteil gefällt. Es unterbindet lediglich die Anweisung, dass Bürger der betroffenen sechs Länder keine Visa mehr erhalten dürfen. Auch Chuang verwies auf die Aussagen des Präsidenten und seiner Berater und schrieb, dass das Einreiseverbot die »Umsetzung des lange geplanten muslim ban ist«. Tatsächlich steht heute noch auf der Website Donald Trumps zu lesen, dass dieser für einen kompletten Einreisestopp von Muslimen in die USA eintrete. In seiner Urteilsbegründung schrieb Richter Chuang unter anderem: »Trump hat diese Aussage noch am selben Tag auf Twitter verbreitet, indem er sagte, er habe ›soeben eine wichtige Grundsatzerklärung abgegeben, über den Zustrom aus Hass und Gefahr, der in unser Land kommt. Wir müssen wachsam bleiben!‹«
Der Präsident nahm die Urteile wie üblich nicht gerade mit Gelassenheit. Bei einer Massenkundgebung im US-Bundesstaat Tennessee tobte er wieder einmal, nannte die Urteile »schrecklich« und »politisch motiviert«. Er fügte folgendes Bonmot hinzu: »Eines sage ich euch, ich denke, wir sollten wieder zu dem ersten Erlass zurückkehren und aufs Ganze gehen!« Es sind exakt solche Aussagen, die es den Gerichten ermöglichen, in den Anordnungen des Präsidenten eine verfassungswidrige Absicht zu erkennen. Auch einer seiner Berater, Stephen Miller, der angeblich an der Gestaltung beider Dokumente beteiligt war, sprach in einem Interview mit dem konservativen Fernsehsender Fox News davon, dass die zweite Version lediglich einige kleine »fachliche Probleme« der ersten Fassung beheben solle, und stellte damit klar, dass die Intention beider Anordnungen dieselbe ist.
Würden Trump und seine Leute einfach den Mund halten, hätten sie vor Gericht vielleicht bessere Chancen. Denn tatsächlich liegt Trump mit seiner Politik gar nicht so weit rechtsaußen, wie man meinen könnte. Die USA tun sich mit dem Thema Zuwanderung schwer. Dem Forschungsinstitut Pew Research Center zufolge haben die Vereinigten Staaten 2016 eine »Rekordzahl« von 38 901 muslimischen Flüchtlingen aufgenommen, etwas mehr als die Hälfte davon aus Syrien und Somalia – ein Tropfen auf den heißen Stein. Das sehr viel kleinere Deutschland nahm im selben Zeitraum insgesamt an die 300 000 Flüchtlinge auf. 2015 lebten in den USA gerade einmal 3,3 Millionen Muslime, also weniger als ein Prozent der Bevölkerung. Somit hat die heftig geführte Immigrationsdebatte eher Symbolcharakter – für die Abertausenden von Menschen, die vor Krieg und Vertreibung fliehen, hat das derzeitige Zaudern der USA eine untergeordnete Bedeutung.
Auch Espíritu erkennt an, dass es eine frappierende Diskrepanz gibt zwischen der US-amerikanischen Selbstdarstellung und den tatsächlichen Leistungen des Landes. Der travel ban erinnere an »die Gesetze aus dem späten 19. Jahrhundert, mit denen man Zuwanderer aus asiatischen Ländern diskriminieren wollte. Man wollte Einwanderung aus China aufhalten und dafür sorgen, dass Amerika ›weiß‹ bleibt.« Es habe den Anschein, als kehrten die USA zu einer Zeit zurück, »in der man versucht, vermeintlich anders geartete Individuen zu diskriminieren und das auch noch auf ein rechtliches Fundament zu stellen«. 
Die Sorge ist berechtigt, denn die Bevölkerung ist in dieser Frage zutiefst gespalten. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Morning Consult vom Februar sprachen sich 55 Prozent der Befragten für Trumps erstes Einreiseverbot aus. Der Umfrage des Associated Press-NORC Center for Public Affairs Research aus demselben Zeitraum zufolge liegt dieser Anteil bei 52 Prozent. Unter Republikanern sprachen sich immerhin 45 Prozent aller Befragten dafür aus, auch Menschen, die vor Gewalt und Verfolgung fliehen, die Einreise zu verwehren, bei den Demokraten waren es immer noch beunruhigende 26 Prozent. Obwohl die tatsächliche Anzahl von Migranten aus muslimischen Ländern verschwindend gering ist, wird in den Medien immer wieder eine diffuse Terrorgefahr beschworen. Es ist nicht abzustreiten, dass die USA in einem Zustand von Nervosität, ja geradezu Angst leben und dass es Trump gelungen ist, diese Angst für sich zu instrumentalisieren. Die terroristische Bedrohung sei ernst zu nehmen, doch bislang seien Terrorangriffe in den USA nicht von Individuen verübt worden, die als neue Zuwanderer kamen, so Espíritu. Der schlimmste Terroranschlag nach dem 11. September, dessen Urheber muslimischen Glaubens war, der Anschlag auf den Nachtclub Pulse in Orlando, sei von einem US-Bürger verübt worden. Espíritu merkt allerdings an: »Rational betrachtet sind die Chancen, durch islamistische Terroristen oder gar muslimische Immigranten zu Schaden zu kommen, außerordentlich gering. Dieses Schreckgespenst der Bedrohung unseres Landes durch islamistischen Terror ist weit übertrieben.«
Wie es nun mit Trumps Einreiseverbot weitergeht, bleibt vorerst unklar. Die Regierung hat angekündigt, in Revision zu gehen, und zwar vor dem 4. Gerichtsbezirk, der traditionell als sehr konservativ galt. Wenn die zweite Instanz zu einem anderen Urteil kommt, was durchaus denkbar ist, könnte der Fall bis zum Verfassungsgericht der USA gelangen, und dieses ist derzeit tief gespalten. Die bisherigen Erfolge der Migrantenrechtler könnten kurzlebig sein. Doch für Espíritu ist all das auch eine Frage des Prinzips: »Ich bin stolz darauf, ein amerikanischer Staatsbürger zu sein, ich bin stolz auf die Werte unserer Verfassung, auf die Religionsfreiheit, die Toleranz für alle Individuen, egal, wer sie sind. Das ist einer der tief verwurzelten amerikanischen Werte und ich finde, das ist für uns als Nation fundamental wichtig. Es geht darum, an den amerikanischen Grundwerten festzuhalten, und das betrifft jeden Amerikaner.«