Schlammlawinen in der Andenregion forderten mehrere Tote. Schuld daran ist nicht nur der heftige Regen

Tödliche Regenfälle

Immer wieder kommen in Lateinamerika Menschen durch Schlammlawinen ums Leben. Das liegt nicht nur am Klimaphänomen El Niño, sondern auch am Versagen der Behörden, die Bebauungspläne nicht durchsetzen und den Katastrophenschutz nicht ausreichend ausstatten.

Mocoa, Piura, Lima, Caracas – die Liste der Städte, in denen Schlammlawinen schwere Verwüstungen angerichtet haben, ist lang. Vordergründig  sind starke Regenfälle für die Katastrophen verantwortlich, jene hat es in den vergangenen Wochen und Monaten in der Andenregion reichlich gegeben. Erst in Peru, wo es in einigen Regionen zwischen Mitte Januar und Mitte März unentwegt regnete, dann in Kolumbien, wo die Regenfälle dafür sorgten, dass mehrere Flüsse in der Region um Mocoa über die Ufer stiegen und die 45 000 Einwohner zählende Stadt weitgehend zerstörten. Offiziellen Zahlen zufolge kamen dort 312 Menschen ums Leben, weitere 127 Menschen werden vermisst, mit Überlebenden wird jedoch nicht mehr gerechnet.

»Es gibt ungefähr zehn Flüsse in der Nähe, die Stadt dürfte hier eigentlich gar nicht existieren.«
José Antonio Castro, Bürgermeister von Mocoa

Das Unglück sei absehbar gewesen, sagt Marcela Quintero vom Agrarforschungszentrum ICTA in Bogotá. »Unglücklicherweise verfügen wir in Kolumbien weder über eine vernünftige Risikokalkulation noch über Flächennutzungspläne und eine Raumordnung, die durchgesetzt wird und die Menschen daran hindert, sich in solchen Gebieten anzusiedeln«, so die Wissenschaftlerin. Ihre Institution hatte wie andere auch davor gewarnt, dass die Flüsse über die Ufer treten könnten. Am 2. April um zwei Uhr morgens wurden die Menschen in Mocoa von den tödlichen Schlammwellen im Schlaf überrascht. Die Katastrophe sei auf die rasante Abholzung in der Region zurückzuführen, aber auch auf die ungünstige Lage der Stadt. Das bestätigte auch der Bürgermeister José Antonio Castro: »Es gibt ungefähr zehn Flüsse in der Nähe, die Stadt dürfte hier eigentlich gar nicht existieren.« Das Risiko von Schlammlawinen sei weiter gestiegen, als Bäume gefällt wurden, um Platz für Viehweiden und Landwirtschaft zu schaffen. Obendrein sei in Mocoa auch auf ungeeigneten Flächen gebaut worden.

Darauf hat auch die »Gesellschaft für nachhaltige Entwicklung im südlichen Amazonasgebiet« aufmerksam gemacht, die ein Büro in Mocoa unterhält. Die Organisation warnte bereits 1995, als die Regierung ein Kraftwerk in der Stadt errichtete, vor einer derartigen Katastrophe und verwies auf ein ähnliches Desaster im Jahr 1962. Auch der katholische Priester Omar Parra warnte davor, dass der Fluss Taruca über die Ufer treten könnte. »Wir haben es mit einer angekündigten Tragödie zu tun und die Behörden haben zugesehen, statt zu agieren«, klagt der Geistliche. In Mocoa hat sich das ereignet, was auch schon in anderen Städten der Region zu beobachten war: Die Hänge saugten sich mit Wasser voll und kamen schließlich mitsamt den darauf gebauten Behausungen ins Rutschen, weil das Gemisch aus Sand, Lehm und Fels nicht stabil ist. Dass diese Hanglagen nicht optimal sind, wissen auch die Anwohner, aber andere Grundstücke stehen ihnen oft nicht zur Verfügung.
Nicht nur in Kolumbien, auch in Peru waren in den Wochen zuvor mehrere Flüsse über die Ufer getreten, nachdem es über Wochen in Strömen geregnet hatte. Mehr als 90 Tote wurden in dem Land registriert. Ab Mitte März kam es in zahlreichen Städten, darunter die Hauptstadt Lima, zu Überschwemmungen und Dacheinstürzen. »Wenn es in Lima mal länger als vier Stunden regnet, stürzen die Dächer ein, weil das hier niemand gewohnt ist«, erklärt Giovanna Carrillo Pedraz, die in der Diözese Chaclacayo in einer großen Halle die Nothilfelieferungen der Caritas für betroffene Gemeinden im Osten Limas koordiniert. »Regen ist hier so typisch wie Frost in Havanna. Lima liegt nun einmal in der Wüste«, sagt sie.

Deshalb wird auf dichte Dächer nicht allzu viel Wert gelegt, was sich während der außergewöhnlichen Regenfälle zwischen Mitte Januar und Ende März negativ bemerkbar machte. Mehr als 600 000 Menschen waren davon in ganz Peru betroffen. Besonders problematisch für die Not- und Katastrophenhilfe ist, dass weite Teile der Trinkwasserversorgung zusammenbrochen sind, weil mehrere Trinkwasserreservoirs als Folge von Schlammlawinen und Erdrutschen zeitweilig nicht mehr nutzbar waren. Davon waren Lima sowie Arequipa, die zweitgrößte Stadt Perus, betroffen, aber auch Piura ganz im Norden des Landes, wo bis Ende März Nothilfeeinsätze der Regierung liefen. Diese hatte die Armee geschickt, die gute Arbeit geleistet haben soll. Doch unstrittig ist, dass in Peru wie in Kolumbien die Sicherheitskräfte und der Katastrophenschutz alles andere als gut auf die Katastrophe vorbereitet waren.

Neue Warnsysteme, mehr Vorbeugung und lokale meteorologische Stationen wünscht sich der Agraringenieur Herbert Gutíerrez Salomon aus dem peruanischen Santa Eulalia. Dort schwemmten die nach fast zweimonatigen Regenfällen reißenden Flüsse Rímac und Santa Eulalia mehrere Brücken und etliche Häuser weg, zudem lösten sich zahlreiche Schlammlawinen von den Bergen und Hügeln, die Lima umgeben. »Das war absehbar. Eines der großen Probleme hier in Peru, aber auch in Kolumbien und Venezuela ist, dass oft an Hängen gebaut wird, die nicht dafür geeignet sind, weil der Untergrund sich vollsaugt und dann ins Rutschen kommt«, meint Rosalynn Toribio. Sie ist die leitende Verantwortliche der Caritas für die im Osten Limas befindliche Region Chosica und hat in den vergangenen Wochen die Nothilfe dort koordiniert. Rund 13 000 Häuser wurden durch Lawinen und Flutwellen in Peru weggerissen, Experten schließen weitere Regenfälle nicht aus.

Das kann auch in Kolumbien der Fall sein. Kirchliche Nothilfeorganisationen wie die Caritas empfehlen daher mehr Vorsorge für die gesamte Region. »Wir brauchen mehr Prävention, denn das Wetter wird immer unberechenbarer. Früher konnten wir uns ungefähr am El-Niño-Phänomen orientieren, nun haben wir es mit dem El-Niño-Costero-Phänomen zu tun, das lokal begrenzt ist, aber katastrophale Folgen hat. Nothilfe muss besser und effektiver werden«, sagt Gutíerrez Salomon. Das kostet allerdings Geld. 2015 wurden Fonds zur Verfügung gestellt, die aber nicht abgerufen wurden, weil El Niño nicht wie erwartet für Überschwemmungen sorgte. Deshalb hielten sich die Präventionsanstrengungen 2016 in engen Grenzen. »Das hat sich gerächt«, bestätigt Felíx Huaman Azabache. Er arbeitet für die Policia de Búsqueda y Rescate, das peruanische Pendant zum Technischen Hilfswerk in Deutschland. »In Lima sind wir 80 Polizisten, die in Notfällen zum Einsatz kommen«, sagt er mit einem Stirnrunzeln – zu wenige für eine Stadt mit zehn Millionen Einwohnern, soll das wohl heißen. Azabache verweist auch darauf, dass die Zahl der Katastrophen, die Peru treffen, in den vergangenen Jahren nicht abgenommen hat. »Wir haben es mit heftigen Schneefällen in den Anden zu tun, mit Überschwemmungen, mit Stürmen und Dürre. Der Bedarf steigt und ein Problem ist, dass Bestimmungen nicht eingehalten werden«, erzählt der Polizist, der zuletzt in dem kleinen Dorf Cumpe im Noteinsatz war.

Dort hatte der Fluss Santa Eulalia eine Brücke weggerissen, gleichzeitig war eine Straße von einer Schlammlawine verschüttet worden. »De facto war Cumpe von der Außenwelt abschnitten, also haben wir mit einem Seilzug und anderen Geräten geholfen, eine Versorgungslinie aufzubauen«, so der Katastrophenschützer. Erschwert wird ihm und seinen Kollegen die Arbeit dadurch, dass immer wieder Häuser und Menschen in Gegenden gerettet werden müssen, in denen offiziell nichts stehen dürfte. »In Peru gilt eigen­tlich ein Streifen von 50 Meter links und rechts vom Fluss als Bauverbotszone. Aber man hält sich nicht daran«, kritisiert der Polizist. Das sei ein grundlegendes Problem und treffe auch für die Bauten auf Hügeln und steilen Felswänden zu. »Das sorgt für unnötige Gefahren. In Peru, aber auch in den Nachbarländern geschieht das, weil Politiker immer wieder Flächen freigeben, die man nicht freigeben darf«, sagt er und hebt mit dem Seilzug eine Palette mit Hilfsgütern über den Fluss. »Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit immer noch nicht gelernt. Hoffentlich wird es diesmal anders«, fügt er hinzu, dann zieht er kräftig am Seil.