Der Comic »Turing«

Mann der Zukunft

Platte Buch Von

Von Alan Turing stammt der Satz: »Manchmal tun gerade diejenigen, von denen es sich niemand vorstellen kann, die Dinge, die sich niemand vorstellen kann.« Der schwule britische Mathematiker, Informatiker, Kryptoanalytiker und Computerpionier hat damit zweifellos sich selbst gemeint, gehörte er doch zu den Unterschätzten, Verkannten und Verfemten seiner Zeit. Die gebrochene Biographie des wegen der Entschlüsselung des Nazi-Codes der Enigma posthum zu Ruhm gelangten Wissenschaftlers hat den aus Leipzig stammenden Zeichner und Autor Robert Deutsch zu einer großformatigen Graphic Novel inspiriert, die einen genialischen Außenseiter zeigt, der seine Homosexualität im Großbritannien der fünfziger Jahre nur versteckt leben konnte und, von der Gesellschaft aufs Äußerste gedemütigt, 1954 Suizid beging. Die verwaschenen Farben des Nierentischzeitalters, der naive Zeichenstil früher Animationsfilme und zahlreiche an mathematischen Modellen orientierte Graphiken bilden das stimmige Setting für die in Stationen und Rückblenden einfühlsam entfaltete Lebensgeschichte: In Schlüsselszenen verdichtet werden die Jugendjahre des Hochbegabten, seine ruhmreiche Arbeit in der Kryptoanalyse, die Entwicklung des Turing-Tests, aber auch seine Zwangshandlungen wie das Tragen einer Gasmaske beim Radfahren aus Angst vor Pollen und schließlich die Verfolgung wegen seiner Homosexualität und die chemische Kastration, die ihn in Depressionen stürzt und im Alter von 41 Jahren in den Selbstmord treibt. Zwischen schrankhohen Computerwänden läuft der scheinbar niemals ganz erwachsen gewordene Mann in Knickebockern durch das Labyrinth seines Lebens. Auch in den melancholischsten und schwärzesten Momenten der Geschichte bewahrt sich der Comic den leisen Humor eines Verzweifelten, der ahnte, dass das letzte Wort über ihn nicht die Gegenwart, sondern die Zukunft haben würde.

Robert Deutsch: Turing. Avant-Verlag, Berlin 2017, 
192 Seiten, 29,95 Euro