Man spricht Scholzdeutsch

Aus dem Hamburger Hardliner Olaf Scholz wurde der Schönredner der SPD. Erster Teil einer kleinen Serie über die Hintermänner des Bundeskanzlers: Böhse Enkelz I. von thomas blum

Auf Kaffeefahrten gibt es meistens einen Heizdeckenverkäufer, dessen Aufgabe darin besteht, den Mist, den seine Firma fabriziert, ahnungslosen Leuten als Weltwunder zu verkaufen. In der SPD heißt dieser Job »Generalsekretär« und wird von Olaf Scholz erledigt.

Eine von Scholz’ wichtigsten aktuellen Pflichten ist es, die Demontage des Sozialstaats, die seine Partei betreibt, fortwährend so umzulügen, dass alle glauben, dies sei eine rundum tolle Sache. Deshalb sagt er: »Wichtig ist, dass wir etwas tun, was für unser Land notwendig ist.« Den Sozialabbau nennt er »strukturelle Reformen«, die »schon vor zehn oder 20 Jahren hätten auf den Weg gebracht werden müssen«. Oder er sagt: »Wir trauen uns in einer ganz schwierigen Lage für Deutschland zu, die notwendigen Strukturreformen durchzusetzen.« Auch wenn vom Sozialstaat hinterher nichts mehr übrig bleibt.

Das alles klingt freilich arg gebetsmühlenartig, und nicht selten erscheint es einem so, als habe der Generalsekretär einer anderen Partei ungefähr dasselbe gesagt, aber das liegt in der Natur der Sache. Ein Generalsekretär sagt das, was ein Generalsekretär sagen muss. Und weil Herr Scholz so spricht, wie er spricht, verstieg sich ein SPD-Politiker zu der Aussage, der Generalsekretär sei »hoch fleißig, hoch effizient. Das Problem ist: Er ist kein Mensch.«

Doch als Werbeclown der Sozialdemokratie muss man nicht in erster Linie menschlich sein, sondern immer die einschlägigen Nullphrasen parat haben, die ihn wie einen »Sprechautomaten« (Tagesspiegel) wirken lassen. Und als solcher muss er exakt die abgestandenen Worte benutzen, die klingen, als kämen sie aus demselben Begriffsarsenal, aus dem sich auch sämtliche anderen Parteien bedienen: »Aufbruchsignal«, »wegweisende Beschlüsse«, »positive Ergebnisse«, »Innovation«, »Zukunft« usw. Nie darf er die Dinge als das bezeichnen, was sie sind. Daher sagt er: »Das Herz sagt, dass wir den Sozialstaat verteidigen müssen. Und der Verstand sagt, dass das auf sehr steinigem Weg erfolgt.«

Käme man ihm mit der nahe liegenden Frage, ob er alles, was er sage, nicht auch fürchterlich öde und verlogen finde, würde er sie gewiss als »zu pfeffrig« zurückweisen. Künftig wird er vermutlich den Journalisten die Fragen vorlegen, die ihm gestellt werden dürfen.

Obwohl er also seine Arbeit als Gutelauneonkel und Gesundbeter der SPD ganz großartig macht, gibt es Kritik an ihm. Viele Genossen bezeichnen ihn angeblich abschätzig als »Lautsprecher des Bundeskanzlers«. Dabei besteht seine Pflicht ja gerade darin, vor den Kameras immerzu das wiederzukäuen, von dem ihm sein Chef gesagt hat, es sei die Politik der SPD. Ihm die Schuld dafür zuzuschieben, dass seine Partei »den Eindruck hinterlässt, mit sozialer Gerechtigkeit habe das nichts zu tun« (Spiegel), ist ungerecht, denn dieser Eindruck ist ja richtig. Scholz kann also gar nichts dafür, dass er als »irgendwie kampfhundartig« (Süddeutsche Zeitung), »kalt« (Berliner Zeitung) und »wenig gewinnend« (Tagesspiegel) wahrgenommen wird, denn irgendwie kampfhundartig, kalt und wenig gewinnend ist nun mal die Politik der SPD. Insofern ist Herr Scholz der richtige Mann am richtigen Platz, und keiner sollte an ihm herumnörgeln.

Vor allem muss er so austauschbar sein wie die sozialdemokratischen Programme. Als er vom Tagesspiegel gefragt wurde, ob er eigentlich alle auswendig kenne (»Es wirkt manchmal so«), freute sich Herr Scholz: »Nein, nicht auswendig, aber ich kenne sie gut. Und bald kommt ja wieder ein neues Programm.«

Eine Überzeugung wäre demnach nur hinderlich, also hat Herr Scholz als klassischer sozialdemokratischer Typus, »dem ›links‹ und ›rechts‹ fremd sind« (FAZ), auch schon lange keine mehr, denn »politisch ist er beweglich« (Tagesspiegel).

Früher, vor über 20 Jahren, als er noch stellvertretender Vorsitzender der Jungsozialisten und ein naiver Knabe mit Flausen im Kopf war, da hatte er eine. Seinerzeit sprach er von der »Überwindung der kapitalistischen Ökonomie« und davon, dass »erst eine sozialistische Welt dauerhaft den Frieden garantieren« könne. Heute sieht er sich als »innovativ« und »modern« (taz) und sagt etwas ganz anderes. Heute sagt er: »Ich zähle zu den Menschen, die ihren Wandel bewusst gemacht haben.« Und weil er seinen Wandel bewusst gemacht hat, ist Herr Scholz heute Generalsekretär.

Als der Jurist Scholz vor fünf Jahren in den Bundestag gewählt wurde, lag ihm einiges daran, der Kumpel von Gerhard Schröder zu werden. Seither »übt er sich in makelloser Loyalität« (Berliner Zeitung).

Im Jahr 2000 wurde er Landesvorsitzender der SPD in Hamburg. Als er im Mai 2001 auf Wunsch des Kanzlers Hamburger Innensenator wurde, sollte er zeigen, dass auch die SPD einen Mann fürs Grobe hat und »die Ängste der Bürger ernst nehmen muss«. Prompt bewies er, wie innovativ man als Sozialdemokrat sein kann, indem er sich als »konservativer Hardliner« erprobte, der die Rasterfahndung einführte, »Dealern Brechmittel verabreichen ließ und zusätzliche Polizisten an die Drogenfront abkommandierte« (Heilbronner Stimme).

Zur Belohnung wurde er im Dezember 2001 in den SPD-Bundesvorstand gewählt, seit Oktober 2002 ist er Generalsekretär seiner Partei. »Du sollst das machen«, soll Schröder zu ihm gesagt haben, worauf Herr Scholz einwilligte: »Ich sagte sofort Ja. Ich fand das nämlich auch.«

Seither arbeitet er mit seinem Kanzler erfolgreich an der endgültigen Elimination sozialdemokratischer Reste. Sein Lieblingswort ist das R-Wort: »Wir müssen bei allen Reformen so weit gehen wie möglich.« (März 2003) »Deshalb müssen wir die weitgehenden Reformen wagen, die wir jetzt auf den Weg gebracht haben. Aber: Keiner kann glauben, dass es mit diesen Reformen für alle Zeiten getan ist. Wer stehen bleibt, fällt zurück. Natürlich wird es nach der Agenda 2010 noch weitere Reformen geben.« (Mai 2003) Überdies müsse die Partei »sämtliche Register ziehen, um die Erwerbstätigkeit zu erhöhen«, gegen »schlecht bezahlte und unbequeme Arbeit« sei nichts einzuwenden. Überhaupt habe Gerechtigkeit nichts damit zu tun, ob einer Geld zum Überleben habe oder nicht. Auf Scholzdeutsch heißt das, Gerechtigkeit sei »niemals in erster Linie eine Frage der Quantität sozialer Transfers«.

Im Sommer dieses Jahres schlug er daher vor, den Begriff »demokratischer Sozialismus« aus dem Parteiprogramm zu streichen, und argumentierte dabei beeindruckend ehrlich: »Der Begriff sagt überhaupt nichts über die politischen Ziele der SPD.«

Den Parteivorsitz in Hamburg will er nun abgeben, um als Generalsekretär künftig mehr Zeit zu haben, den Menschen zu erklären, warum man die Sozialdemokraten braucht, obwohl diese sich von der CDU unterscheiden wie ein Gartenzwerg vom anderen.

Am Ende wird Herr Scholz jedenfalls Recht behalten. »Ich habe die große Hoffnung, dass wir im nächsten Jahr eine Partei sein werden, von der die Menschen sagen: Das ist schon beachtlich, was die sich getraut haben.«