Alternative Allergien

In Hamburgs Multikulti-Stadtteil Schanzenviertel machen bürgerlich gewendete Ex-Autonome Front gegen schwarze Dealer. Alt-Spontis bilden Bürgerinitiativen und fordern den drogenfreien Kiez

"Die multikulturelle Gesellschaft ist gescheitert." Als ob der Spiegel dergleichen Thesen noch beweisen müßte, lieferte er im Juni eine Reportage über den Niedergang des linksliberalen Schanzenviertels in Hamburg. Quod erat demonstrandum: Selbst im Multikulti-Stadtteil an der Sternschanze fühlen sich die eingesessenen Bewohner von schwarzen Drogenkriminellen bedroht.

Tatsächlich hat sich in der linken Hochburg, die sich in den achtziger Jahren zum Zentrum von Häuserkampf und autonomer Jugendrevolte entwickelt hatte, eine seltsame Koalition gebildet. Gemeinsam wehren sich dort Gewerbetreibende mit CDU-Parteibuch und alternative Lehrer, Law-and-Order-Rentner und altlinke Anti-Imp-Eltern gegen die "Überfremdung" durch Afrikaner und "Lumpenproletariat".

"Ich merk' so langsam, ich krieg' so 'ne Allergie gegen Dunkelhäutige, und das will ich gar nicht", klagte Traute S., Ex-Hausbesetzerin und inzwischen zweifache Mutter, den Spiegel-Reportern ihr Leid. Seit die Sicherheitsorgane der Hansestadt versuchen, die sogenannte Drogenszene aus der Vorzeige-Gegend um den Hauptbahnhof zu vertreiben und ein Teil der Kleindealer, vor allem afrikanischer Herkunft, an die Sternschanze ausweicht, gerät die heile Welt im alternativen Biotop ins Wanken. Zwischen drei und siebzig Dealer sollen dort täglich mit Haschisch und Kokain handeln, behauptet die Polizei.

Auch im Schanzenviertel zieht die Staatsmacht inzwischen alle Register: Bürgernahe Kontaktbereich-Softies gehen im Park Spritzen sammeln, dann stürmen hochgerüstete Rambos den Platz und räumen mal richtig auf. Der Aufenthalt am Bahnhof Sternschanze und im angrenzenden Park - seit langem ein Treffpunkt von Afrikanern - ist für Schwarze, zumal für Illegale, zum unkalkulierbaren Risiko geworden.

"Was ist im Viertel passiert, daß wir die massive Polizeipräsenz hinnehmen, zum Teil sogar klammheimlich begrüßen?" fragte ein autonomer Aktivist auf einer Veranstaltung während der "Innenstadt-Tage": Bei den Linken "in der Schanze" war Nabelschau angesagt. Längst nicht für alle ist die Solidarität mit den Flüchtlingen und Junkies am S-Bahnhof eine Selbstverständlichkeit. Für viele ist diese Szene nur furchterregendes Fluidum von Drogenelend, Gewalt, Sexismus und Fremdheit.

In einem Stadtteil, der mit seiner Verkehrs-, Bebauungs- und Kampfhundedichte so kinderfeindlich ist wie kaum ein zweiter, konzentrieren sich die Sorgen der Sponti-Eltern mittlerweile auf die Drogengefahr. Wo früher geträumt wurde: "Stellt Euch vor, es ist Krieg, und keiner geht hin," heißt es heute: "Stellt Euch vor, ein Kind sticht sich an einer achtlos liegengelassenen Spritze", wie im Flugblatt der "Initiative Schutzraum vor Drogen auf öffentlichen Kinderspielplätzen". "Vereinzelt gibt es vielleicht mal Unfälle mit Spritzen", versucht Drogenexpertin Berndt die Elternangst zu dämpfen. Das Risiko einer Infektion sei aber äußerst gering. Auch die verbreitete Furcht, die neuen Dealer brächten den Stoff in die benachbarten Schulen, hält Michaela Behrndt für unbegründet. Auch sei kaum zu erwarten, daß mit der Vertreibung der Dealer die Schulen drogenfrei würden: "Drogen tauchen sowieso auf, die gibt es an jeder Schule."

Ein weniger von Halluzinationen geprägtes Problem ist dagegen der Alltagssexismus. Viele Frauen meiden den Bahnhofsvorplatz, nachdem sie immer wieder belästigt wurden. Sicher war es dort für Frauen allerdings noch nie, schon seit langem gilt der Sternschanzenpark nachts als No Go Area.

Die Gewalthysterie, die die Medien mit ihren Sicherheitsreportagen entfachen und die auch in den Köpfen vieler Einwohner des Schanzenviertels festsitzt, hat kaum einen realen Hintergrund. Zu gewalttätigen Angriffen auf Bewohner des Stadtteils komme es nicht, erklärt die Hamburger Polizei. Im Gegenteil greifen sie selbst an: Das erste Opfer war ein Schwarzer. Der Wirt eines Imbisses stach den Mann am 10. Juli mit dem Messer nieder, als der Afrikaner den Inhalt seines Portemonnaies reklamierte, das er kurz zuvor dort hatte liegen lassen. Darauf eskalierte die angespannte Situation rund um den Sternschanzenbahnhof. Schwarze versuchten, den Imbißbesitzer dingfest zu machen. Aus der benachbarten Spielhalle "Glück ist machbar" stürzten Anwohner, um endlich ihren Frust gegen die verhaßten Fremden loszuwerden. Forderungen nach der Todesstrafe wurden laut. Die Polizei rückte mit einem Großaufgebot an und nahm vier Afrikaner fest.

Eine bestechende Idee zur Lösung des Problems präsentierte unlängst Thomas Böwer, Geschäftsführer der SPD im Bezirk Eimsbüttel. Der öffentliche Park an der Sternschanze könne privatisiert und einer Genossenschaft von Anwohnern das Hausrecht übertragen werden. Dann würde vielleicht auch der Investor, der in dem malerischen Wasserturm inmitten des Parks ein feudales Hotel einrichten wollte, seinen Rückzieher noch einmal überdenken. Die alternativen Viertelbewohner hätten dann endlich die Machtmittel, um schon im Hier und Jetzt die Freiräume einzurichten, von denen sie immer geträumt haben. Besserungswillige Junkies könnten als Parkwächter über die Einhaltung der Hausordnung wachen. Gesellschaftliche Widersprüche und die häßliche Fratze der Armut müßten leider draußen bleiben.