Beim Todesspiel vergessen

Angehörige forden die Freilassung des kranken RAF-Gefangenen Helmut Pohl

Als "Fernsehereignis des Jahres" wurde Heinrich Breloers TV-Film "Todesspiel" in einer Werbeanzeige bezeichnet. In diesem, als dokumentarischer Streifzug durch den Deutschen Herbst 1977 angekündigten Film wird die einzige Überlebende der Stammheimer Todesnacht, Irmgard Möller, nicht einmal erwähnt. Ebensowenig finden sich darin die Erinnerungen des RAF-Gefangenen Helmut Pohl an den Deutschen Herbst. Im November 1977, einen Monat nach dem Tod der Gefangenen von Stammheim und wenige Tage, nachdem die RAF-Gefangene Ingrid Schubert im Gefängnis Stadelheim tot aufgefunden wurde, wandte sich dessen Ehefrau, Gila Pohl, in einem dringenden Appell an die Öffentlichkeit. Das Leben ihres Mannes sei in großer Gefahr, nachdem in Presseberichten, bei denen die Vermutung nahelag, daß sie von der Bundesanwaltschaft (BAW) lanciert worden waren, zu lesen war, daß in Helmut Pohls Zelle eine Pistole samt Munition gefunden worden seien. "Ist Helmut Pohl der nächste?" hieß es in dem Appell, der im Herbst 1977 bei der Öffentlichkeit in den westeuropäischen Nachbarländern auf einige Resonanz stieß.

Fast 20 Jahre später initiiert nun die Hamburger Gruppe Lotta gemeinsam mit der Gruppe der Angehörigen der politischen Gefangenen erneut einen Appell in Sachen Helmut Pohl. Gefordert wird seine sofortige Freilassung und eine angemessene ärztliche Behandlung seines schweren Wirbelsäulenleidens. Pohl sitzt mittlerweile seit insgesamt 21 Jahren im Gefängnis, die meiste Zeit verbrachte er in Isolationshaft. Nach seiner Entlassung 1979 wurde er 1984 wieder verhaftet. Seit 1989 hat er im Gefängnis Schwalmstadt in Hessen Kontakt mit dem RAF-Gefangenen Rolf-Clemens Wagner.

BesucherInnen schilderten die Situation Pohls so: "Alle zwei Monate erleidet Helmut eine gesundheitliche Krise mit Taubheitsgefühlen in den Armen, krassen Schmerzen im Rückenbereich und dem Zusammenbruch aller Körperfunktionen." Anstaltsarzt Dr. Bäblich sagte Pohl 1989 ins Gesicht, daß er so einen wie ihn nicht behandeln werde. Nachdem Pohls Antrag auf externe Fachärzte seines Vertrauens abgelehnt wurde, klagte der Gefangene gegen das Land Hessen. Daraufhin wurde er 1992 erstmals gründlich untersucht. Allein, die für seine Behandlung notwendigen Röntgenaufnahmen verschwanden auf dem Weg zum Gefängnis. Zwei Monate nach einem Bandscheibenvorfall im Lendenwirbelbereich diagnostizierte ein Facharzt im Februar 1997 Verknöcherungen mehrerer Lendenwirbel, die ins Rückenmark drücken und irreparable Lähmungserscheinungen zur Folge haben können. Diese Gefahr sei nur durch eine schnelle Operation zu beheben. Doch die BAW verlangte ein Gegengutachten eines Arztes, der seit 20 Jahren für die Gefängnisbehörden arbeitet. Der sah keinen medizinischen Handlungsbedarf. Pohls Krankheit werde sich zwar verschlimmern, diagnostizierte er; doch damit müsse der Gefangene leben, da es keine Therapiemöglichkeit gebe.

Die BAW lehnt eine Freilassung weiterhin ab und beruft sich allein auf das zweite Gutachten. Man werde prüfen, was innerhalb des Gefängnisses zur Behandlung getan werden könne, heißt es aus dem vom ehemaligen RAF-Verteidiger und heutigen Bündnisgrünen Hubert von Plottnitz geleiteten hessischen Justizministerium.

Doch bislang ist nichts geschehen. Pohls Mithäftling Rolf-Clemens Wagner schreibt im aktuellen Angehörigeninfo, daß alle RAF-Gefangenen in Folge der Isolationshaftbedingungen und nicht durchgeführter Behandlungen in unterschiedlich hohem Maße gesundheitliche Schäden davongetragen haben. Er warnt allerdings davor, eine Freilassungskampagne nur auf ein "Krankheitsgejammer" zu stützen und plädiert für eine politisch geführte Freilassungsinitiatitive.

Bevor eine solche Initiative überhaupt ins Rollen kommt, hat die Gegenseite schon reagiert. Anfang Juli veröffentlichte Focus Fotos von einem Turnfest in der JVA Schwalmstadt, auf denen Pohl und Wagner sowie ein wegen Flugzeugentführung verurteilter Libanese zu sehen sind. Tenor des Artikels: Welch ein angenehmes Leben führen die RAF-Hardliner, die noch im Gefängnis mit Gesinnungsgenossen konspirieren können. Kein Wort über Pohls Gesundheitszustand.

In dieser Beziehung hat sich seit dem Deutschen Herbst wenig verändert. Erinnert sei nur an die RAF-Gefangene Katharina Hammerschmidt, deren Krebsgeschwüre im Knast solange ignoriert wurden, bis sie nicht mehr zu heilen waren. Wenige Monate nach ihrer Entlassung Ende der siebziger Jahre starb sie.