Deutsch-französische Alliance de Frappe

Was in Deutschland nicht durchsetzbar ist, das macht die deutsche Atomindustrie einfach in Frankreich

Nachdem zwischen der Regierungskoalition in Bonn und der SPD bislang kein Energiekonsens erzielt werden konnte, hat das Kabinett Kohl in der vergangenen Woche im Alleingang eine Novellierung des Atomgesetzes beschlossen - und damit einen Aufschrei bei der Opposition und den Umweltschutzverbänden ausgelöst. Mit dem neuen Gesetz ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch in Deutschland wieder neue Atomkraftwerke entstehen werden - die Zwangspause der deutschen Atomindustrie nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl scheint sich ihrem Ende zuzuneigen. In der Stadt Garching nördlich der bayerischen Landeshauptstadt wird mit dem Forschungsreaktor München II (FRM II) derzeit das erste deutsche Atomprojekt seit elf Jahren verwirklicht.

Daß sich die deutsche Atomindustrie trotz ihrer zeitweiligen Rückschläge - wie dem Aus für die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf und den Schnellen Brüter in Kalkar - nicht von ihren Zielen hat abbringen lassen, sondern ihre hierzulande unmöglich gewordenen Aktivitäten einfach ins benachbarte Ausland verlagert hat, verdeutlicht eine Studie des französischen Informationsdienstes WISE, die im Auftrag der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IFPNW) erstellt wurde. "Gegen die Castor-Transporte haben in Deutschland Tausende demonstriert. Die jahrelangen Transporte nach Frankreich haben dagegen gar keine Proteste hervorgerufen", sagte WISE-Mitarbeiter Mycle Schneider bei der Vorstellung der Studie am 16. Juli in München. "Das ist typisch für die Auseinandersetzung in Deutschland."

Die Geschichte der deutsch-französischen Atom-Connection reicht bis in die fünfziger Jahre zurück. Die bundesdeutsche Regierung und ihr Atomminister Franz-Josef Strauß hofften damals, über eine europäische Atomstreitmacht Zugriff auf Nuklearwaffen zu erlangen. So unterzeichnete Strauß - der mittlerweile zum Verteidigungsminister aufgestiegen war - 1957 mit seinem französischen Amtskollegen Chaban-Delmas ein Geheimprotokoll, laut dem sich die Bundesrepublik finanziell und wissenschaftlich an der Produktion von Sprengköpfen und Trägerraketen beteiligen sollte. Im Gegenzug wollte Frankreich den Deutschen in Krisenzeiten einen Zugriff auf die Force de Frappe zubilligen. Doch de Gaulles Machtübernahme im Mai 1958 beendete die Liaison.

Im Bereich der Forschung gibt es dagegen bis heute zahlreiche bilaterale Vorhaben - wie etwa den EPR oder ein 1992 zwischen der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GSF) und dem Commissariat ˆ l'ƒnérgie Atomique (CEA) vereinbartes Forschungsprojekt zur Wiederaufarbeitung und Endlagerung von Nuklearmaterial. Durch die Aufgabe der Plutoniumwirtschaft in Deutschland Anfang der neunziger Jahre wurden die Aktivitäten vor allem nach Frankreich verlagert. Karin Wurzbacher vom Münchener Öko-Institut schreibt im Vorwort zur WISE-Studie: " Der Schnelle Brüter Superphénix wird zu 49 Prozent von ausländischem Kapital getragen, wobei der deutsche Anteil knapp über elf Prozent beträgt. Die deutschen Kernkraftwerksbetreiber sind die bedeutendsten Kunden der Wiederaufbereitungsanlagen UP2 und UP3. Die MOX-Fabrik in Cadarache soll ab 1997 exklusiv für Deutschland arbeiten."

Mit dem Siemens-Brennelementewerk in Hanau sollte ursprünglich in Deutschland eine eigene MOX-Fabrik entstehen. (MOX bedeutet Mischoxid, eine Mischung von 97 Prozent Uran und drei Prozent Plutonium). Doch 1995 wurde das Projekt offiziell aufgegeben. Bezeichnenderweise ist der ehemalige Leiter des Hanauer Werkes, Jürgen Krellmann, seit Anfang 1996 Leiter der MOX-Anlage im französischen Cadarache, die von dem halbstaatlichen Atomkonzern Cogema betrieben wird. Cogema ist auch verantwortlich für die Produktion von Spaltmaterial für französische Atombomben. Laut der WISE-Studie ist es sehr wahrscheinlich, daß deutsches Plutonium für französische Bomben verwendet wurde. Denn, so Mycle Schneider: "In Frankreich gibt es keine Trennung von militärischer und ziviler Nutzung der Atomenergie." So wurde etwa deutscher Brennstoff in der Wiederaufbereitungsanlage UP2 in La Hague aufgearbeitet - einer Anlage, die der Produktion von Waffenplutonium dient.

Gleiches gilt auch für den Schnellen Brüter Phénix in Marcoule, für den die Hanauer Firma Alkem Versuchsbrennelemente lieferte. Und auch Superphénix produziert exzellentes Waffenplutonium. Da der Schnelle Brüter zu elf Prozent dem deutschen Stromkonzern RWE gehört, hat dieser auch Anspruch auf einen entsprechenden Anteil des entstehenden Plutoniums. So stehen Deutschland rund 100 Kilogramm Plutonium aus dem Superphénix zu - genug für 25 Atomsprengköpfe. Was mit dem Bombenstoff passieren soll, ist unklar.