Ein Kreis ist ein Kreis

Das Fernsehen zitiert sich selbst - "Der Traum vom Sehen", eine Ausstellung in Oberhausen

Das Fernsehen zeigt etwas, und Ausstellungen zeigen auch etwas. Was aber zeigt eine Ausstellung über das Fernsehen? Sie zeigt, was gezeigt wird, im schlechtesten Fall, und der Fall ist eingetreten: "Der Traum vom Sehen. Zeitalter der Televisionen" - eine Ausstellung im Oberhausener Gasometer. Wenn RTL-Geschäftsführer Helmut Thoma als Initiator und Großsponsor im Vorwort des Kataloges schreibt, Fernsehen sei "jeden Tag von neuem so spannend wie das Leben", dann lehrt die Ausstellung, daß das Leben ziemlich langweilig ist.

Im Erdgeschoß geht's mit einer Mischung aus klassischem Vitrinen-Museum und interaktivem Selbstbedienungsladen los. In einem eher auf hochkulturelle Bildung angelegten und auf Grundlage progressiv-assoziativer Didaktik gestalteten Parcours werden hier gezeigt: Ladungsspeicher-Röhren-Ikonoskopen, Zellenraster-Versuchsanlagen und ein funktionierendes Schnellseher-Tachyskop, in dem zwei Figuren Bockspringen vorführen. Mittels leicht bedienbarer Plexiglasvorrichtungen kann sich der Besucher die aus dem Physikunterricht bekannten Exempel für optische Täuschungen in Erinnerung rufen, mit Anleitung: "Ist der Kreis ein Kreis? Ist das Dreieck ein Dreieck?" Es gibt allerlei philosophische Spruchsplitter über das Sehen an sich, zu erfahren ist auf elektronischen Anzeigetafeln, daß das menschliche Hirn kein neuronales Netz ist, sondern ein "Ereignisraum." Ferner, unter Verweis auf Fontane, Goethe und Kafka, daß auch "literarische Texte uns sehen lassen": Wer sie liest, kann zum Beispiel "von Berghöhen und aus fahrenden Kutschen in die Ferne sehen".

Mit dem bedeutungsheischenden Ekklektizismus ist Schluß, sobald der Rundgang auf der Galerie fortgesetzt wird. Aus einem "Volksempfänger VE 301" schnarrt gerade Goebbels' Stimme, das Fernsehen müsse "Frohsinn ins Volk tragen", nebenan steht monumental eine der Telefunken-Kameras, mit der die Nazis die Berliner Olympiade abfilmen ließen. Einfach so, und - ach ja - die frühe Fernsehtechnik stand im Dienste von Görings Luftwaffe, die hier ein Mittel zur präzisen Plazierung von Lenkbomben vermutete. Schon kommen die Fünfziger: Auf der Großvideowand der 17. Juni, Ungarn-Aufstand, Adenauer undsoweiter, in der Vitrine das Jackett von Willi Schwabe (DFF der DDR) und der Spazierstock von Papa Hesselbach. Die Sechziger: Beatles, Eichmann-Prozeß, Mauerbau, Wembley-Tor, Kennedy-Mord. Was sonst?

Auf dem Spaziergang durch die eigene TV-Vergangenheit kann man der Ökonomie, der Kunst und dem Fremden begegnen. Unter dem Titel "meanwhile elsewhere" tauchen Guckkästen auf, in denen Nachrichtensendungen aus Ghana oder indische Musikclips laufen. Der Wirtschaftsteil ist von RTL inspiriert, Fernsehen müsse nach den Prinzipien von Markt und Konkurrenz funktionieren, um der Qualität willen. Eingestreut Installationen zum Thema, Nam June Paiks "Robot Baby" etwa. Die imposanteste Skulptur stammt von RTL und ist gar nicht so gemeint: Ein Relief aus Pappmaché, das die ständig steigenden Werbeeinnahmen auf Heller und Pfennig dokumentiert.

Der Abschnitt über die Siebziger macht vollends deutlich, daß die Ausstellung ein einziges Selbstzitat ist: Großvideo mit Startbahn-West, Olympia-Attentat, Fußball-WM. Zap. In der Kinderabteilung sthen die Figuren von Ratz und Rübe, dann -Zap - kommt ein Lassie-Flipper-Fury-Raum mit Streichelzoo. Wer eines der imitierten Tierfelle berührt, wird mit einem frischen Pferdewiehern belohnt. Tafeln mit "neuen Typen": Ingrid Steeger, Ilja Richter, Wibke Bruns. Weißt du noch? fragen die Exponate vertraulich, ganz im Gestus jener Fernsehbücher, die Vierzigjährige in letzter Zeit gerne aneinander verschenken. Hast du nicht auch immer "Klimbim" und "Disco" angeschaut und einen Mordsspaß dabei gehabt? Ach, das waren schöne Zeiten. In der Abteilung über die Achtziger liegt selbstverständlich Schimanskis Dienstausweis herum, in der über die Neunziger Schumis knallroter Ferrari-Overall. Zeigen, was gezeigt wurde.

So wirken die Oberhausener Televisionen, als hätten die Archivare der Sender einen besonders aufwendigen Tag der Offenen Tür geplant. Da die Visionen aus dem Keller hervor hervorgekramt sind, präsentiert sich die Schau als zeitgerafft-nostalgische Tautologie auf den TV-Alltag im Wohnzimmer und ist damit exakt so sinnlich und sehenswert wie das Fernsehprogramm. Aber zum Zappen muß man nicht unbedingt nach Oberhausen fahren.

"Der Traum vom Sehen. Zeitalter der Televisionen" Die Fernsehausstellung im Gasometer Oberhausen. Bis 15. Oktober. Täglich von 10-20 Uhr