ETA - einzige linke Opposition

Die Demagogie der Medienlügen können nicht verschleiern: Die ETA ist Ausdruck einer sozialen Bewegung gegen die postfrankistische Zentralmacht.

Getreu dem Motto, daß man Lügen nur oft genug wiederholen muß, damit sie geglaubt weden, wird die Öffentlichkeit nach dem Tod des konservativen Kommunalpolitikers Miguel çngel Blanco wieder einmal mit Einschätzungen zum baskischen Konflikt bombardiert. Eine ganze Armada selbsternannter SpezialistInnen ist ausgeschwärmt, um uns zu erklären, daß "ETA im Baskenland eine ganze Bevölkerung terrorisiere" oder "sich in nichts mehr von mafiösen Gruppen unterscheide".

Wer den Konflikt in Euzkadi schon etwas länger mitverfolgt, kann über solche Thesen nur entnervt den Kopf schütteln. Seit den Abkommen zwischen den baskischen Rechtsparteien und der Madrider Zentralregierung 1979/80 werden sie periodisch wiederkehrend immer wiederholt. So wurde ETA 1984, nach der Erschießung einer ehemaligen Genossin, ebenso für völlig isoliert erklärt, wie 1987 nach dem Anschlag auf das Hipercor-Kaufhaus in Barcelona oder der Entführung des Industriellen Aldaia 1995. Damit die Prophezeiung sich endlich selbst erfüllt, wird auch vor den unglaublichsten Verdrehungen nicht zurückgeschreckt: eine Menschenkette von 200 ETA-Gegnern, wird in den Fernsehnachrichten fast fünf Minuten lang abgehandelt, während eine zeitgleich stattfindende Amnestie-Demonstration mit 40 000 Leuten völlig ignoriert wird.

An den Kommentaren der letzten Tage ist eigentlich nur eins richtig: Die Erschießung Blancos hat eine neue Phase der Eskalation eingeleitet. Der Konflikt erfaßt jetzt die baskische Gesellschaft selbst.

Jahrelang hatte ETA hauptsächlich Anschläge gegen die als Besatzungstruppen begriffenen spanischen Polizeiverbände und französische Kapitalanlagen verübt. 1993/94 jedoch definierte sie neue Anschlagsziele: die baskische Autonomie-Polizei, Politiker und Journalisten. Eine weitere Verschärfung ist nun, daß mit Blanco zum ersten Mal ein Mr. Nobody umgebracht wurde, der in der Innenpolitik nun wirklich überhaupt keine Rolle spielte.

ETA hat damit die bisher größten Gegenkundgebungen in der Geschichte provoziert. Während die baskischen Straßen historisch immer der Linken gehörten, sind es nun - offen unterstützt von der Polizei - zentralstaatliche Postfaschisten aus dem PP und nicht minder reaktionäre PSOE-Anhänger, die "draußen" mobilisieren. In fast allen Städten haben ihre Anhänger Kneipen und Büros der Linken überfallen. In der Altstadt Donostis mußten sich Jugendliche mit Molotow-Cocktails gegen Lynchversuche zur Wehr setzen.

Auch wenn man nicht von einer Isolation ETAs in unseren Maßstäben reden kann - in den letzten drei Jahren gab es unter den Jugendlichen eine bisher nicht dagewesene Welle von Straßenmilitanz, die linksradikale Gewerkschaft LAB hat bei den Wahlen deutlich zugelegt und trotz jährlicher Massenverhaftungen wächst jedes Jahr eine neue Generation von Untergrund-Militanten heran -, ist richtig, daß die baskische Linke sich noch nie so offen mit der "Zivilgesellschaft" konfrontiert sah wie heute. Wenn man die Möglichkeit ausschließt, daß es sich bei der Erschießung Blancos einfach nur um eine "Panneaktion" handelte, dann bleibt nur eine einzige halbwegs sinnvolle Erklärung für den Anschlag: der Tod Blancos sollte so etwas vermitteln wie ein "Es betrifft uns alle".

Seit über drei Jahren führen die über die ganze iberische Halbinsel verteilten 600 baskischen Gefangenen Knastkämpfe. Die Hauptforderung ist die Zusammenlegung der Inhaftierten in Gefängnissen in der Nähe des Baskenlands, um Besuche ihrer Angehörigen zu erleichtern. Eine solche Maßnahme wird als erste Vorstufe für eine politische Lösung des Konflikts begriffen und wurde in diesem Sinne von der baskischen Autonomie-Regierung und dem Regionalparlament unterstützt. Obwohl diese Bekundungen inzwischen Jahre alt sind, hat sich an der realen Situation nichts verändert. Jährlich sterben ein oder zwei Gefangene als Folgen der Haftbedingungen, viele sind 1 000 Kilometer von zu Hause entfernt interniert. Das baskische Gefangenenkollektiv, ein gewaltiger Faktor, wenn man bedenkt, daß es nur drei Millionen BaskInnen gibt und statistisch gesehen jede zehnte Familie schon einmal einen gesuchten oder inhaftierten Verwandten hatte, kündigte daraufhin für September eine Verschärfung seines Widerstands an. Wahrscheinlich wird es zu einem unbefristeten Hungerstreik kommen.

Die Aktion der ETA folgt jetzt anscheinend dieser Logik: So wie die zentralstaatliche Repression x-beliebige Familien auseinanderreißt, so ist auch Blanco ein x-beliebiges Opfer; nach dem Motto: "Wenn wir weinen müssen, dann sollen es gefälligst die anderen auch tun."

Ob so eine politische Lösung erzwungen werden kann, ist mehr als zweifelhaft. Im Moment haben sich alle Parteien von der baskischen Linken distanziert. Andererseits ist jedoch die Aussage Floren Aoiz' von der HB-Führung auch richtig, daß die Linke alle paar Jahre "völlig isoliert" wird, um ihr dann doch wieder Verhandlungsangebote zu machen.

Daß das so ist, hat ganz einfach damit zu tun, daß an der baskischen Linken kein Weg vorbeiführt. Sie kann durch Repression auf längere Sicht nicht besiegt werden, und zwar vor allem aus folgenden Gründen:

Erstens, weil sie sich als einzige größere Kraft im spanischen Staat immer noch in der Kontinuität des antifrankistischen Widerstands befindet. Während alle anderen politischen Kräfte, von der baskischen Rechten über die PSOE bis hin zu den Kommunisten ihre damaligen Forderungen aufgeben haben (kein Eintritt in NATO und EG, Abschaffung der Monarchie, Zerschlagung des frankistischen Militärapparats, Selbstbestimmungsrecht der Kommunitäten im spanischen Staat), ist die baskische Linke ihrer radikalen Opposition gegen die frankistische Modernisierung treu geblieben.

Zweitens ist die baskische Linke wesentlich soziale Bewegung. In den Aktionen der ETA spiegelt sich das kaum wider, denn auch wenn die Organisation für "Independentzia eta Sozialismoa" (Unabhängigkeit und Sozialismus) eintritt, beschränken sich ihre Angriffe auf die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts. Bei den Massenorganisationen, aus denen sich ETA rekrutiert (und die von ihr unterstützt werden), ist das anders: Die Gewerkschaft LAB vertritt die militanteste Arbeiteroppositon im spanischen Staat. Jarrai ist eine radikale, marxistische Jugendorganisation. Daneben gibt es Häuserkämpfe, Ökologiebewegungen, internationalistische Komitees etc. Die Existenz der ETA ist ebenso sehr Ausdruck als auch Grundlage dieser in Westeuropa einzigartigen sozialen Bewegung.

Man sollte sich deswegen davor hüten, in den Chor der Mainstream-Medien miteinzustimmen. Die baskische Linke steht, trotz der Befürwortung nationaler Unabhängigkeit und trotz einer ganzen Reihe zweifelhafter Anschläge, für ein für alle MigrantInnen offenes Projekt sozialer Veränderungen (wer das nicht glaubt, soll sich die Dokumente von KAS, HB, Jarrai oder LAB vornehmen). Ein Projekt, das sich nur gegen den spanischen Zentralstaat durchsetzen läßt, der sich - es tut mir leid, diese Wahrheit penetrant zu wiederholen - in faschistischer Kontinuität befindet (vergleichbar mit dem Adenauer-Deutschland der fünfziger Jahre); ein Staat, der mit den GAL Todesschwadrone aufgebaut hat, in dem systematisch gefoltert wird und in dem polizeiliche Angriffe gegen afrikanische MigrantInnen an der Tagesordnung sind.