ETA - seit Jahren am Ende

Nationaler Kampf kann nicht zugleich Klassenkampf sein.

Das einzige, was deutsche Linke von dem Lyriker Nazim Hikmet kennen dürften, sind diese kleinen Verse: Leben einsam und frei wie ein Baum / brüderlich und gemeinsam wie ein Wald /das ist unsere Sehnsucht. Der Mann, der so schwärmte, muß Baske gewesen sein. In seinem Gedicht ist all das versammelt, was sich deutsche Solidaritätshuber von einem volksnahen Widerstandskämpfer erwarten: Hier trotzt der Mensch noch der Zivilisation, darf Teil der Natur sein, eingebunden ins völkische Kollektiv wie die Fichte in den Nadelwald.

Wer sich einmal das Bildmaterial der vor Jahren weit verbreiteten Euzkadi-Infos anschaut, begegnet diesem Hikmetschen Waldmenschen alle paar Seiten. Da ist etwa der alte Mann mit der zerknautschten Baskenmütze, sein Gesicht zerfurcht wie eine Kraterlandschaft, mit dem weisen Lächeln eines Ungebeugten, der mit dem Schicksal seines Volkes gleichermaßen verwachsen zu sein scheint wie mit der ihn umgebenden Landschaft. Ein vertrauenserweckender Orginalbaske, der je nach Solidaritäts-Konjunktur aber auch Kurde sein könnte oder Indigeno. Die Ewigkeit des Volkes verdeutlicht der mit dem gegerbtem Gesicht harmonierende Olivenbaum im Hintergrund, mit knorrigem Stamm und rissiger Rinde. Ein Bild, das eindringlich vor Augen führt, wofür hier eigentlich gekämft wird: um die Selbstbestimmung eines Volkes, um die Wiedererlangung ursprünglicher Natur, nicht aber für die Herstellung menschlicher Verhältnisse.

Ende der achtziger Jahre hatte die Euzkadi-Welle hierzulande ihren Höhepunkt erreicht. Rührige Soligruppen aus Berlin-Kreuzberg oder Hamburg-Schanzenviertel servierten den Mythos vom zähen baskischen Befreiungskampf gegen die (faschistische) Zentralgewalt, mit einer guten Portion radikaler Gewerkschaftsbewegung, Nato-Gegnerschaft und militanter antifaschistischer Tradition. Diese Zuneigung zum baskischen Volk ließ sich in den Ferien unmittelbar auskosten. Denn vor Ort wurde einem die mit zwei Brocken Euzkadi angereicherte Solidarität freundlich angerechnet. Schon durfte man sich als Genosse fühlen und war in einen echten Befreiungskampf um Volk und Boden involviert - das Blut floß zum Glück anderswo.

Nach dem jüngsten Mord wird der Rest der Szene tun, was Soligruppen immer tun, wenn die bürgerliche Öffentlichkeit mit der Moral argumentiert: Der größere Teil der Freizeit-Basken wird sich peu ˆ peu vom Objekt seiner Solidarität zurückziehen, um sich entweder nach einem neuen schutzsuchenden Volk umzusehen oder dem politischen Engagement gänzlich zu entsagen. Der kleinere Teil dagegen wird konsequent bleiben und den Mord an Miguel çngel Blanco damit begründen, daß die unerträgliche Repression eben auch zu blindem Haß führen könne.

Grundsätzliche Kritik am baskischen Widerstand wird es aus den Reihen der Solidaritätsspezialisten aber nicht geben. Dabei sind die ETA und ihre parlamentarische Vertretung seit Jahren am Ende. Genauer, seit sich die baskischen Nationalisten Anfang der achtziger Jahre endgültig aufspaltete in Konservative, die die Autonomieangebote der PSOE-Regierung annahmen und Radikale. Damit wurde offensichtlich, daß Linksradikalismus, der sich nationalistisch legitimiert, notwendig an diesem Widerspruch scheitern muß.

Die baskische Bewegung war von ihren organisierten Anfängen um die Jahrhundertwende an alles andere als links. Jahrzehntelang war sie eine bräsige Kooperation aus leicht sozialdemokratisch angehauchter Partei mit dazugehöriger - gelber - Gewerkschaft. Denn ein nationaler Kampf kann nicht zugleich Klassenkampf sein, Kleinunternehmer und Prolet mußten am gleichen Strick ziehen. Erst die Radikalisierung auch baskischer Arbeiter in den neu entstehenden Großindustrien an der Küste in den zwanziger und dreißiger Jahren trieb die Bewegung nach links und provozierte damit den politischen Richtungskampf zwischen tendenziell internationalistischen Proleten und traditionalistischen Nationalisten. Allein die im Bürgerkrieg und mehr noch während der Franco-Diktatur über die Klassengrenzen hinaus erfahrene Unterdrückung und der Kampf dagegen vermochte den Mythos vom Widerstand eines ganzen Volkes gegen die Kolonialisten aus Madrid bis in die Gegenwart hinein lebendig zu halten. Die 1975 einsetzende Demokratisierung des Staates sowie die Liberalisierung der Wirtschaft aber haben den Traum vom einigen Volk zunichte gemacht. Die konservative und sozialdemokratische Mehrheit schied aus dem Bündnis mit der ETA aus, denn der Zentralstaat hatte ihnen alles zugestanden, wovon eine Autonomist nur träumen kann. ETA und Herri Batasuna finden sich deshalb seit mehr als zehn Jahren in der verzweifelten Situation, einen noch konsequenteren Nationalismus anbieten zu müssen als die Konservativen. Weil sie dieses Programm noch mit radikalsozialistischen Forderungen verbinden, geraten sie angesichts des offensichtlichen Widersinns immer tiefer in die Isolation. Denn jedes weitere Zugeständnis von Autonomie machte den sozialen Kampf hoffnungsloser.

Tatsächlich besaß der Autonomiestatus vor allem für den Zentralstaat Vorteile: Baskenland, das um nationaler Selbstbestimmung willen regionalisiert wurde, entwickelte sich konsequent zur Euroregion, die ihre Armut zunehmend allein verwalten darf. Was nur mit zentralstaatlicher Hilfe hätte erhalten werden können - Montan- und Werftenindustrie in Bilbao und San Sebastian - wurde unter dem Vorzeichen regionaler Selbstverwaltung umso leichter aufgegeben, so daß sich die radikale baskische Gewerkschaft zunehmend um die Arbeitslosen kümmern muß. Was die Bewegung zusammenhält, ist allein der Märtyrerstatus der Toten und die Solidarität mit den Gefangenen.

Regionalismus und Autonomismus haben die Chancen für revolutionäres Aufbegehren nicht nur im Baskenland erheblich reduziert. Ein Dienstleistungsspanien der Regionen, mit erbämlichem Durchschnittseinkommen, führt auch dazu, daß der politische Horizont nicht viel weiter als 100 Kilometer über Bilbao hinausreicht und Madrid, geschweige denn Sevilla, nicht mehr interessieren. Nicht zufällig wird deshalb jetzt der "kleine" Beamte einer Regionalverwalttung zum ETA-Feindbild stilisiert. c