Hertha ist keiner

Der Berliner Fußballclub gehört zur Bundesliga wie die Bundeswehr zur Nato

"Ich wette", hatte im Juni 1996 der unermüdlicche Rupert Scholz verkündet, "daß wir vor ihm wieder in der Bundesliga sind." Wir, damit meinte der CDU-Politiker den Fußballverein Hertha BSC. Ihn, damit meinte er Helmut Kohl, der "mich ständig damit aufzieht, daß Berlin noch immer Fußball-Provinz ist. Jetzt sind wir mit seinem 1. FC Kaiserslautern in einer Liga".

Hertha stieg wie auch Kohls Lauterer wieder in die Erste Bundesliga auf, der Bundeskanzler und sein Ex-Verteidigungsminister hatten mal wieder eine Schlacht geschlagen, denn Hertha BSC Berlin gehört in die Erste Liga wie die Bundeswehr in die Nato.

Als die Bundesliga 1963 eingerichtet wurde, war Hertha zwar amtierender Berliner Meister, aber die Funktionäre des 1892 gegründeten Clubs wollten nichts anbrennen lassen, um auf alle Fälle dabei zu sein: Ein Berliner Club müsse, um die BRD-Anbindung Westberlins zu beweisen, immer ganz oben mitkicken. Damit auch wirklich nichts schief geht, legten sie noch manipulierte Bilanzen vor. Bis zur Verjährung bemerkte der Deutsche Fußballbund (DFB) davon nichts, und Hertha wurde übermütig: 1965 zahlte der gegen den Abstieg kämpfende Club 15 000 Mark an den Gegner TSV 1860 München, damit man nicht verlöre. Obendrein stellte sich heraus, daß in der Vereinskasse unausgewiesen 130 000 Mark fehlten. Der Grund war, daß der Schatzmeister, ein Bestattungsunternehmer namens Herzog, an der Steuer vorbei 55 000 illegale Eintrittskarten hatte drucken lassen, die er in einem Sarg versteckte. Das flog auf und Hertha raus aus der Liga, die ihr, die sie sich als Vorposten der freien Kickerwelt fühlte, so wichtig war.

1968 stieg man wieder auf, indem man 3:2 über das bayerische Hof siegte - ein Spiel, an das sich das Gerücht einer 38 000 Mark-Zahlung anschloß, was bis heute weder belegt noch widerlegt ist.

1971 verlor man das letzte Saisonspiel mit 0:1 gegen die abstiegsbedrohte Arminia Bielefeld: Die Berliner hatten 220 000 für eine Niederlage geboten bekommen; die mitabstiegsbedrohten Offenbacher Kickers hockten ihren Vizepräsidenten mit gerade mal 140 000 Mark im Koffer auf die Tribüne des Olympiastadions. Mit 15 von 52 bestochenen Spielern war Hertha einer der wichtigsten Akteure des Bundesliga-Skandals.

Der Club schien am Ende, doch der Berliner Senat half aus und kaufte 1974 für 6,2 Millionen Mark das Vereinsgelände am Gesundbrunnen im Bezirk Wedding. Das Haus Springer spendete eine halbe Millionen Mark. Die Entschuldung funktionierte leidlich und sorgte für sportliche Erfolge. Erst 1980 stieg der Club ab, 1982 wieder auf und 1983 wieder ab - und zwar nicht nur in die Zweite Bundesliga, sondern 1986 sogar in die Berliner Amateuroberliga, wo man bis 1988 blieb. Aber nach der Saison 1989/1990, pünktlich zur deutschen Einheit, war man wieder ganz oben. Zwar nur für ein Jahr, aber mit der gewandelten Bedeutung Berlins von der Frontstadt zu Hauptstadt wollte niemand den Club mehr der Berliner Bauindustrie und ihren miefigen Senatsseilschaften überlassen.

Der Bertelsmann-Konzern, genauer seine Fernsehtochter Ufa interessierte sich für den Verein, der mittlerweile fußballerischer Repräsentant der deutschen Hauptstadt geworden war. Die Ufa stellte 1994 die Summe von 4,5 Millionen Mark in Aussicht, wenn sie selbst im Vorstand vertreten wäre. Die bisherige Hertha-Führungsriege schrie auf, machte selbst 13,5 Millionen Mark als Leihgabe locker unter der Bedingung, daß das Ufa-Angebot zurückgezogen würde, und der damalige Präsident Heinz Rohloff, Berliner Bauunternehmer, kaufte für 6,3 Millionen Mark die Villa in der Heerstraße, wo die Geschäftsstelle sitzt. Alle Tricks halfen nicht, ein neuer Vorstand wurde gewählt, und nun ist die Ufa federführend in allen Hertha-Belangen.

So hat sich Hertha BSC von der Berliner Bauindustrie zumindest kurzfristig emanzipiert, um sich sich völlig in die Hände von Berliner Landesregierung, die auch schon zu Zeiten der Baumafia immer mitmischte, und von Ufa-Bertelsmann zu begeben. Mit diesen mehr oder minder neuen Bündnispartnern schaffte man dann in diesem Jahr tatsächlich den Wiederaufstieg in die Erste Bundesliga. Nun hofft man, daß der Club ein für allemal ganz selbstverständlich und normal dahin gehört, wo die anderen Großen auch sind. Damit der Kanzler seinen Ex-Verteidigungsminister nicht mehr aufzieht. I Martin Krauß