31.07.1997

RAF gegen Beckenbauer

Der Fußball in Iso-Haft: Wird die bleierne Zeit in der nächsten Bundesligasaison enden?

Was wäre eigentlich passiert, wenn die RAF nicht Hanns Martin Schleyer, sondern Franz Beckenbauer entführt hätte? Dazu fehlte den Genossen die Phantasie, es waren ja leider keine Spaßguerilleros, und Christian Klar hatte seine beste Zeit im Mittelfeld des SV Langensteinbach (bei Karlsruhe) leider auch schon verdrängt. Mindestens hätte sich bei den werktätigen Haschrebellen dieselbe "klammheimliche Freude" eingestellt, die sie auch beim Kidnapping des Oberkapitalisten empfanden - zunächst, bevor die RAF ihre antisemitischen Bündnispartner auf die "Landshut" losließ und den ganzen anderen Scheiß machte. War es nicht Beckenbauer gewesen, der Brandt als "nationales Unglück" bezeichnete hatte? Hatte er mit seiner Mimik, seiner Haltung, seiner Ballführung nicht die Kühle und Arroganz des "Modell Deutschland" verkörpert, das in den siebziger Jahren in ganz Europa verhaßt war? Vor allem: Hatte er, der immerhin ein exzellenter Techniker war, nicht jene knochenbrechenden Katschenbecks dirigiert, die den Fußball in jener Zeit ebenso eroberten wie erniedrigten - die Mannen des FC Bayern München?

"Keine Experimente" - dieses seit jeher von der CDU gepflegte Motto zeichnet bis heute auch das Spiel der Bayern aus. Das Aussitzen in der Politik entspricht dem defensiven Kurzpaßspiel am Mittelkreis, dem Halten eines knappen Ergebnisses durch kleinkariertes Hin- und Hergeschiebe des Balles; hie fehlende gesellschaftliche Utopien, dort fehlende Steilpässe und Flügelwechsel. Hinten drin stehen Theo Waigel und Lothar Matthäus als Ausputzer, ein rigider Stabilitätsblock soll das ungestüme Laisser-Vivre von Südländern wie Romano Prodi oder Jonathan Akpoborie stoppen, und egal ob das angepeilte Ergebnis das notorische Drei-Komma-Null von Waigel oder das berüchtigte Eins-zu-Null der Bayern ist - in jedem Fall ist die Sache zum Davonlaufen. Denn durch Sparpolitik und Sparfußball werden die Löcher im Haushalt und im Mittelfeld nur noch größer, und die Überbetonung der Defensive zerstört nicht nur die Initiativen der anderen, sondern auch die eigenen.

"Wenn du gewinnen willst, darfst' nicht angreifen", dieses Credo Beckenbauers von der WM 1988 prägte auch die letzte Bundesligasaison. So wurde etwa der VFB Stuttgart nur Tabellenvierter - obwohl die Schwaben zehn Tore mehr geschossen hatten als die Bayern und drei Viertel aller Bundesligatrainer bei einer Umfrage meinten, die Mannschaft spiele den schönsten Fußball. Doch Ästhetik, Spielwitz und Offensive zählen in der Bundesliga nicht viel, wichtiger sind die Sekundärtugenden Kraft, Fleiß und Ordnung. Die Tore resultieren bei den Bayern aus Standardsituationen - so, wie die Arbeitsplätze bei der CDU aus Standortpolitik. Die Ausbeute ist in beiden Fällen nicht berauschend.

Es war nicht immer so im bundesdeutschen Fußball. Ende der sechziger bis Anfang der siebziger Jahre, als unter Bundeskanzler Willy Brandt der Slogan "Mehr Demokratie wagen" galt, hatte der Reformeifer und der Mut zum Experiment auch auf die Bundesliga übergegriffen. Bei Borussia Mönchengladbach revolutionierte Günther Netzer das deutsche Mittelfeld nicht weniger als Egon Bahr die deutsche Ostpolitik: Seine raumöffnenden Pässe evozierten den Geist der Utopie, seine Flanken schlitzten die konservativen Abwehrmauern auf, die Dialektik des Doppelpasses transzendierte die Torlinie. Netzer mit Riesenschritten von Strafraum zu Strafraum eilend, Netzer mit wehender blonder Mähne, Netzer, wie er sich vor seinen gefürchteten Freistößen den Ball sinnlich zurechtstreichelt - das sind Bilder, die ähnlich wie die Fotos von Uschi Obermaier und Che Guevara eine ganze Generation geprägt haben. Und die Utopie war kein Hirngespinst, sie war konkret: Mönchengladbach wurde 1970 und 1971 Meister, und 1972 gewann die Nationalmannschaft, dirigiert von Netzer, die Europameisterschaft. Die Wende begann mit dem Wechsel Netzers zu Real Madrid, der mit dem Sturz von Willy Brandt zusammenfiel. Die Ära Helmut Schmidt stand dann bereits im Zeichen des Pragmatismus: Daß die Deutschen (ohne Netzer, dafür mit Beckenbauer als absolutistischem Kaiser) 1974 die Weltmeisterschaft gegen die Holländer, die unstrittig bessere Mannschaft, gewinnen konnten, war ein böses Omen für die kommenden Jahre und Jahrzehnte.

Wird die bleierne Zeit mit der neuen Bundesligasaison enden? Zweifel sind angebracht. Daß ausgerechnet die fußballerischen Enkel der APO absteigen mußten, nämlich die Sponti-Truppe des SC Freiburg und die Hausbesetzermannschaft aus St.Pauli, verringert den Unterhaltungswert beträchtlich. Außerdem haben die reichen Clubs den weniger kapitalkräftigen Vereinen einmal mehr junge Talente und zum Teil sogar Stammspieler abgekauft, Stuttgarts Angriffsspitze Elber darf künftig in München versauern. Andererseits bieten sich auf den internationalen Transfermärkten viele gute Spieler aus Osteuropa oder Schwarzafrika an, die auch für kleinere Vereine erschwinglich sind, wie etwa der Albaner Rraklli, den Freiburg 1992 für lächerliche 40 000 Mark bekam und der dann zum gefeierten Stürmerstar wurde. "Ausländer rein" ist also das einzige, was das Bayern-Monopol knacken könnte. Was aber sagt Bundestrainer Berti Vogts dazu? "Unser Problem ist, daß viele Ausländer zu viele zentrale Positionen besetzen." Und Beckenbauer sekundiert: "Der Deutsche ist tüchtig, muß es auch sein, denn vom Talent her ist er ja kein Brasilianer. Das waren wir noch nie. Der Deutsche mußte sich alles erarbeiten, mit Disziplin, Ordnung und Begeisterung. Nur so waren die ganzen Erfolge möglich." Selten hat einer die Misere dieser Nation und ihres Fußballs so gut auf den Punkt gebracht.