Von jetzt für gleich

Was haben die 51 Bewohner der "abgelegensten Insel der Welt", Pitcairn, mit den 1. Klasse-Fahrgästen des ICE gemeinsam? Eigentlich nichts. Höchstens, daß die exklusiv für die Inselbewohner gemachte Monatszeitung Pitcairn Miscellany weitaus interessanter ist als die täglich nur für die Passagiere der 1. Klasse gedruckte ICE-press - das neuste Produkt aus dem Hause Spiegel und nach Aussage von Chef- redakteur Stefan Aust die "Zeitung von jetzt für gleich".

Um 15 Uhr ist Redaktionsschluß, via Datenleitung wird der Text zum IBM-Server nach Heidelberg geschickt und von dort in die Züge geschleust. Der Schaffner startet dann per Mausklick den Druckvorgang und ein Hochleistungskopierer spuckt zwei DIN-A-3-Seiten aus, die schließlich bl0ß noch mit einer Heftklammer zusammengetackert werden müssen. Nur eine Stunde nach Redaktionsschluß haben die mit viel Beinfreiheit reisenden Fahrgäste ihre Lektüre vor sich liegen. Bl0ß, wer will schon vorwiegend aus Agenturmeldungen zusammengeschusterte Texte lesen?

Pitcairn liegt übrigens 25¡ 04' Süd, 130¡ 0' West - darauf kann man sich verlassen. Nicht aber darauf, daß man die ICE-press (für den unwahrscheinlichen Fall, daß man das Blatt freiwillig lesen will ) auch wirklich bekommt. Weil erstens von den 104 Superzügen nur 30 mit der Spezialtechnik ausgerüstet sind, und zweitens jene 30 rollenden Druckereien ständig auf verschiedenen Strecken eingesetzt werden.

Dafür kostet das Blatt aber auch nichts. Der Spiegel-Verlag nimmt wöchentlich 13 940 Mark Anzeigenerlös ein, was nicht reicht, um alle Kosten zu decken, wie Spiegel-Geschäftsführer Werner E. Klatten erklärte, denn immerhin beschäftige ICE-press zehn Redakteurinnen, und Redakteure und die Bahn AG bezahle nur die Hälfte der teuren Technik. Damit wird eindrucksvoll widerlegt, daß es sich beim Spiegel um ein finanzschwaches Unternehmen handelt. Ob sich bei dem Zuschußgeschäft Spiegel-Gründer Rudolf Augstein noch eine Schiffspassage nach Pitcairn leisten kann, scheint fraglich. So gesehen können die 51 Nachfahren berüchtigter Schiffsrebellen sicher sein, daß die 50 Meter vor der Landebucht und zehn Meter unter dem Meeresspiegel liegenden Überreste des Meuterschiffs Bounty auch weiterhin vor sich hindümpeln.