Was Tsiganologen befremdet

Antiziganismus bleibt in Deutschland mehrheitsfähig. Wolfgang Wippermann hat die Geschichte eines Vorurteils untersucht

Laut einer Umfrage in Deutschland ist jeder fünfte antisemitisch eingestellt, zwei Drittel der Bevölkerung sind Antiziganisten. Dies war der Ausgangspunkt für den Historiker Wolfgang Wippermann, der in seinem jüngsten Buch "Wie die Zigeuner" die Geschichte des Vorurteils gegen Sinti und Roma in Deutschland seit dem Mittelalter untersucht hat. Wippermann geht davon aus, daß Antisemitismus und Antiziganismus viele Gemeinsamkeiten aufweisen, die durch wechselseitige Übertragungen von Vorurteilen entstanden sind. Da der Antiziganismus jedoch im Unterschied zum Antisemitismus nie in Frage gestellt worden ist, gehöre er immer noch zum "kulturellen Code" der Mehrheitsgesellschaft. Daher habe der Antiziganismus eine dreimal höhere Verbreitung als der Antisemitismus.

Während der NS-Zeit lieferten sogenannte "Zigeunerforscher" wie Ritter und Arnold die "wissenschaftliche" Grundlage der Verfolgung, und auch nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde bis in die Achtziger das Bild des "Zigeuners" in der Wissenschaft durch solche Schriften tradiert. Aber auch die moderne "Tsiganologie" wird von Wippermann äußerst kritisch betrachtet, so daß es eigentlich kaum verwundert, wenn die Zunft zurückschlägt. "Gefährlicher Eurozentrismus eines Historikers" nennt Rainer Jaroschek, Ethnologe und Mitglied der AG Sinti und Roma bei der Internationalen Liga für Menschenrechte, in der taz Wippermanns Buch: "So drückt der hartnäckige Standpunkt Wippermanns, Ýalles Fremde und AndersseinÜ mit der Floskel der Ideologisierung oder durch Unverständnis einfach zu ignorieren, eine Verabsolutierung des Deutschen aus, die keine Abweichung von der hiesigen Normalität zuläßt." Wippermann als Deutschtümler: eine wunderbare rhetorische Volte.

"Zwar gesteht", so Jaroschek, "Wippermann den Sinti und Roma einerseits Ýeine eigene Geschichte, Sprache und KulturÜ (S. 11) immerhin zu, kann aber in der Erkenntnis der Ýbesonderen Lebensweise und KulturÜ (S. 222) nur einen ÝAusgrenzungsmechanismusÜ, eine Ýantiziganistische KampagneÜ (S. 216) der Ýzivilisierten DeutschenÜ (S. 222) sehen." Bei Wippermann lesen sich diese Textstellen allerdings anders. Seine Aussagen beziehen sich auf ein Einladungsschreiben des Bezirksamtes Berlin-Hohenschönhausen, das Wippermann 1996 bat, anläßlich der "Tage der Roma-Kultur" an einem "Bürgerforum" teilzunehmen. Er analysiert dieses Schreiben und zieht daraus seine Schlüsse: "Interessant und wichtig schließlich, daß die Verfasser keinerlei Unterschiede zwischen den Roma-Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien und den Sinti machen, die Staatsbürger sind und deren Vorfahren hier schon seit fast 600 Jahren leben. Alle werden unterschiedslos (allerdings in Anführungszeichen) als ÝZigeunerÜ bezeichnet und aus der deutschen Staats- und Kulturnation ausgeschlossen. Allen wird eine Ýbesondere Lebensweise und KulturÜ unterstellt, die sich von der der ÝzivilisiertenÜ Deutschen (bzw. Hohenschönhausener) unterscheide, weshalb es zu Ýinterkulturellen KonfliktfeldernÜ komme und kommen müsse. Dieser Ausgrenzungsmechanismus ist ebenso interessant wie gefährlich. Kann er doch jederzeit auch die Juden treffen, obwohl sie hier (im Unterschied zu den ebenfalls als fremd angesehenen ÝTürkenÜ) nicht ausdrücklich erwähnt werden."

Die von Jaroschek zitierte Textpassage steht im Original ebenfalls in einem eindeutigen Kontext: "Anlaß der antiziganistischen Kampagne, die sofort nach der deutschen Vereinigung begann, war der Versuch einiger osteuropäischer Roma, deren konkrete Zahl übrigens nie genannt wurde, in der Bundesrepublik Asyl zu erhalten. Doch hier stießen sie sofort auf eine Mauer des Hasses, wobei sich die von Politikern geschürte neue Angst vor den angeblichen ÝAsylanten-FlutenÜ mit sehr alten antiziganistischen Vorurteilen mischte." Was Wippermann also ablehnt, ist die Unterstellung einer "besonderen Lebensweise" aller Sinti und Roma als Diskriminierungsformel. Desweiteren wirft Wippermann den "Tsiganologen" vor, mit ihrer These einer "zigeunerischen Lebensweise" soziale Verhaltensweisen zu ethnisieren. Daß diese sehr differenzierte Kritik auf eine "Verabsolutierung des Deutschen" hinauslaufe ist kaum plausibel. Vielleicht verfügt der Historiker Wippermann "über keine Vorstellungskraft hinsichtlich der sozialen und kulturellen Organisationsprinzipien ÝsegmentärerÜ Gesellschaften (Dürkheim)". Aber die so beschaffene Einbildungskraft hätte die Untersuchung wohl eher behindert. Wippermann geht es um Aufklärung über Rassismus und nicht um "Volkstumskunde". Das mag für "Tsiganologen" schwer verständlich sein.

Wolfgang Wippermann: Wie die Zigeuner - Antisemitismus und Antiziganismus im Vergleich. Elefanten Press, Berlin 1997, 217 S., DM 39,90