Zurück in der Heimat

Die "Vertriebenen" und die Wiederbelebung des Antisemitismus

Nach mehr als 50jähriger Reise sind die deutschen "Vertriebenen" endlich wieder in ihrer Heimat angelangt. Zwar konnten die großdeutschen Beutegelüste noch nicht befriedigt, das heißt die materielle Okkupation des nicht-deutschen Territoriums nicht abschließend vorgenommen werden. Jedoch ideologisch erlangen die nach Osten Strebenden wieder ihre alte Klasse.

Und die Hauptprotagonisten im "Bund der Vertriebenen" (BdV) sind dabei noch gar nicht so alt. Erst im April 1991 wurde die "Junge Landsmannschaft Ostpreußen" (JLO) gegründet. Sie versteht sich als "Jugendorganisation für Ostpreußen" (Potsdamer Programm der JLO). Nach Aussage Wilhelm von Gottbergs, dem Bundessprecher der JLO-Mutterorganisation "Landsmannschaft Ostpreußen", sind die Sprößlinge als Teil der "Bekenntnisgeneration" zu verstehen, die sich "den an Ostpreußen gebundenen Heimatbegriff nicht nehmen" lassen wollen.

Es mag als Anachronismus erscheinen, daß ein derzeit 23jähriger aus "Ostpreußen" oder "Schlesien" "vertrieben" worden sein will. Doch beim Blick in die Geschichte des BdV findet man bereits Anfang der achtziger Jahre die Erklärung. Herbert Hupka, Bundesvorsitzender der "Landsmannschaft Schlesien", teilte seine Kameradinnen und Kameraden in drei Kategorien ein: die "Geburtsschlesier", die "Abstammungsschlesier" und die "Bekenntnisschlesier", wobei Letztgenannte sich durch ihr Bekenntnis zu Schlesien "als Angehörige unseres deutschen Volkes" auszeichnen sollten. Er unterstrich, daß "gleiches im übertragenen Sinne auch für die anderen Landsmannschaften" gelte.

Die jungen "Ostpreußen" sind jedoch mehr als nur die Erben des deutschen Volkstums. In der jüngsten Ausgabe des JLO-Mitteilungsblattes Fritz finden sich neben gängigen rassistischen, völkischen und revanchistischen Stereotypen neue alte Qualitäten. Für die "Entwurzelung des Menschen und die ethnische Durchmengung der Völker", die "zum Verlust traditioneller Kulturen und Werte, zu einer Form des Artensterbens in der Vielfalt der Völker, wie es ansonsten nur durch einen Atomkrieg zu erreichen gewesen wäre", führen soll, hat die JLO einen Grund ausgemacht: die Globalisierung. Sie sei "Totalisierung" und würde den "Willen der Völker zum Objekt des kapitalistischen Schachers" machen.

So weit, so völkisch. Doch hinter der Globalisierung stehe das "nomadisierende Kapital" und die "Kaste der Globalkapitalisten", welche sich durch drei Aspekte auszeichne: "Sie ist anonym, sie ist international, und sie ist ungebunden." Das "Globalkapital" sei im übrigen "nicht haftbar zu machen", habe "kein Gesicht" und stehe "namenlos hinter Nummernkonten und Aktiendepots". Außerdem habe es sich der "Kontrolle der nationalen Regierungen weitgehend entzogen".

Dieser Verrat der nationalen Ideale und der Bruch mit der völkischen Tradition wird aus JLO-Perspektive noch fortgesetzt durch die "praktische Gleichschaltung der internationalen Presse", wobei angeblich ein "weltweiter Nachrichtenmarkt das Denken der Menschheit zu einer Knetmasse in der Hand der großen Medienkonzerne" macht. Die beiden dieser Weltverschörungstheorie zugrundeliegenden Argumentationsmuster der finanziellen Kontrolle und der medialen Macht sind ebenso einfältig wie alt. Die "Phantasmagorie der jüdischen Weltverschwörung" (Ernst Piper) bedarf - wie der Antisemitismus im allgemeinen - nicht der Juden. Vielmehr stellt die Zusammensetzung aus nationalem Identitätswahn und aus der Angst entstammendem Haß eine Basis dar, von der aus sich der der Latenzform entwindende Antisemitismus wieder wird erheben können zum allgemeinverbindlichen, gesamtgesellschaftlichen Konsens.

In der Vergangenheit ist die JLO in ihrer Argumentation auch deutlicher geworden. Nach dem rassistischen Brandanschlag Ende Mai 1993 in Solingen hatte man gegen die "Mediokraten, die Machthaber über Funk und Fernsehen" gehetzt, weil diese ihre "politischen Gegner als Schuldige" (d. h. die Rechtsradikalen; Anm. d. V.) hätten präsentieren wollen. "Zu allem Überfluß" habe sich auch der "jüdische Vergangenheitsbeschwörer Giordano" zu Wort gemeldet und dabei "eindeutig den Jordan der Gewaltlosigkeit" überschritten.

Daß es in der Ideologie und ihrer symbolischen Aufbereitung für die Junge Landsmannschaft Ostpreußen keine Grenzen gibt, beweist ihr Logo. Neben schwarzem Adler und Organisationseigenbezeichnung gehört zu ihm noch eine weitere Aussage: "Suum cuique!" - zu deutsch: "Jedem das Seine." Am Tor des Konzentrationslagers Buchenwald stand nichts anderes.