Die Strategie des Terrors

Mit der Freilassung des Agenten Mauss will die kolumbianische Regierung auch ihr Image aufbessern

Die Affäre Mauss ist immer wieder für Überraschungen gut: Daß der deutsche Agent früher oder später aus dem Hochsicherheitsgefängnis von Itagü' entlassen werden würde, war abzusehen. Daß er jedoch gleich nach seiner Freilassung von der FAZ wieder als Vermittler zwischen Regierung und Guerilla ins Gespräch gebracht werden würde, war dann doch überraschend - auch wenn Samper das Gerücht vergangene Woche dementierte. Schwer nachvollziehbar wie so vieles an der Affäre.

Im vergangenen November waren Mauss und seine Ehefrau der kolumbianischen Presse noch als "deutsche ELN-Kommandanten" präsentiert worden. Es hieß, der Agent sei an der Entführung der Ehefrau eines BASF-Managers beteiligt gewesen. Außerdem wurde in den Fernsehnachrichten kolportiert, Mauss sei seit 1984 in der zweitgrößten kolumbianischen Guerillaorganisation, der guevaristischen ELN, aktiv.

Die Version wurde schon bald entschärft. Die Samper-Regierung stellte fest, daß Mauss für mehrere deutsche Unternehmen Geschäfte vermittelt und als halboffizieller Beauftragter der Bundesregierung Friedensgespräche einzufädeln versucht hatte. Er unterhielt Verbindungen zum kolumbianischen Ex-Innenminister (und möglicherweise zukünftigen Präsidenten) Horacio Serpa und war in der kolumbianischen High-Society gut bekannt. Trotzdem blieb Mauss mehr als acht Monate in Haft (eine ungewohnte Perspektive für einen "Anti-Terror"-Agenten), und das, obwohl sofort nach seiner Verhaftung hohe Vertreter des deutschen Innenministeriums in Bogot‡ vorgesprochen hatten.

Die Hintergründe dieser Agentengeschichte führen mitten hinein in den internationalen Interessensumpf. Mauss wurde nämlich ohne die Zustimmung der Behörden in Bogot‡ verhaftet. Angewiesen worden war die Aktion vom Gouverneur von Antioquia, dem Rechtsaußen und Wortführer der Paramilitärs, Alvaro Uribe Velez. Nach Aussagen seines Sekretariats hatten die zuständigen Medelliner Stellen die Information über die Einreise von Mauss vom britischen Geheimdienst erhalten. Ohne einen solchen Hinweis wäre der Agent mit mehreren deutschen Pässen, die "ehemalige" BND-Agenten erstellt hatten, und einem Empfehlungsschreiben der deutschen Botschaft in Bogot‡, das ihn als "in offizieller Mission" tätig auswies, wohl kaum aufgeflogen.

Den kolumbianischen Quellen zufolge war Mauss also Opfer des britischen Geheimdienstes. Dort war der deutsche Agent gleich doppelt unbeliebt. Zum einen, weil für die Vermittlung bei Entführungsfällen gehörige Provisionen kassiert werden und das wichtigste Unternehmen dieser Branche in Kolumbien aus Großbritannien stammt. Das Sicherheitsunternehmen zeichnet sich durch eine enge Zusammenarbeit mit dem kolumbianischen Geheimdienst aus. Vor allem die ELN, die Entführungen als legitime Form der Steuereintreibung betrachtet (immerhin fungieren die Guerillaorganisationen in einem Viertel des Landes als eine Art Gegenregierung), bevorzugte deswegen die Zusammenarbeit mit Vermittlern wie Mauss.

Zum anderen hatte sich der Agent aus Deutschland aber auch durch seine geheimdiplomatischen Bemühungen international Feinde gemacht - er hatte Gespräche zwischen der ELN und Geheimdienstkoordinator Schmidbauer organisiert und die Kirchen beider Länder für eine Vermittlerrolle bei möglichen Friedensgesprächen gewonnen. Offensichtlich war diese deutsche Nebenaußenpolitik sowohl den USA als auch Großbritannien ein Dorn im Auge.

Der Hintergrund hierfür sind immense wirtschaftliche Interessen. In den östlich gelegenen Departments Arauca und Casanare wurden im vergangenen Jahr riesige Erdölvorkommen entdeckt, nach kolumbianischen Angaben der größte zusammenhängende Fund seit der Erschließung der Nordsee in den siebziger Jahren. Am stärksten engagiert ist hier British Petroleum. Das Gewicht des Londoner Engagements läßt sich auch daran erkennen, daß der damalige Premierminister Major im vergangenen Herbst nach Kolumbien reiste, um das Fördergebiet zu besuchen.

Das Investitionsobjekt hat jedoch einen wesentlichen Nachteil. Die beiden Departments gelten als Hochburgen der Aufstandsbewegung.Um dem Widerstand der gut organisierten ...larbeiter von vornherein die Spitze zu nehmen und der permanenten Angriffe der Guerilla auf die Multis Herr zu werden, fingen britische Sicherheitskräfte an, Paramilitärs in der Gegend auszubilden.

Allem Anschein nach setzt Großbritannien wie auch die USA auf eine Strategie der totalen Aufstandsbekämpfung, wie sie von Gouverneur Uribe Velez betrieben wird. Mauss' Aktivitäten standen hierzu im Widerspruch.

Dies ist keine nebensächliche Frage, denn Kolumbien ist, weithin unbeachtet von der Weltöffentlichkeit, längst in einen offenen Bürgerkrieg geschlittert. In den Statistiken gilt das Land als gefährlicher als Algerien, und in den Großstädten sterben mehr Menschen eines gewaltsamen Todes als in Sarajevo während des Krieges. Wie in keinem anderen Land ist die Armee zu einer Strategie des flächendeckenden paramilitärischen Terrors übergegangen. Hunderte von extralegalen, von den Militärs aufgebauten Gruppen terrorisieren die Bevölkerung in den Armenvierteln und Einflußgebieten der Guerilla. 20 000 Tote jährlich gehen auf ihr Konto. Nach Angaben von Bauernverbänden haben Hunderttausende ihren Landbesitz verlassen müssen, ganze Gegenden - wie zuletzt das Grenzgebiet zu Panam‡ - wurden entvölkert. Das Sozialforschungsinstitut IPC wies kürzlich darauf hin, daß die Paramilitärs sich vier Millionen Hektar Land angeeignet haben, um sie mit Armeeangehörigen zu besiedeln.

Der Terror konnte nicht verhindern, daß die Opposition in den letzten zwölf Monaten so stark wurde wie seit zehn Jahren nicht mehr. Im Juli 1996 legten 200 000 Kleinbauern das Land aus Protest gegen den Herbizideinsatz gegen Coca-Pflanzungen lahm. Kurz danach startete die Guerilla ihre bisher größte Offensive in der Geschichte, die zwei Monate anhielt, und im Februar 1997 streikten die Staatsangestellten erfolgreich gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik Sampers. Im Frühjahr erschütterten Gefangenenrevolten praktisch alle Haftanstalten des Landes, und in den letzten Wochen kam es zu einer Serie von Sabotageaktionen. Über 14 Tage lang war die Erdölförderung völlig unterbrochen. Der wirtschaftliche Schaden war so groß, daß sich der Unternehmerverband gezwungen sah, die Regierung zu Friedensverhandlungen aufzufordern.

Für Samper steht einiges auf dem Spiel. In den nächsten Monaten sollen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stattfinden, für die nicht die geringsten Voraussetzungen existieren. Die Paramilitärs haben angekündigt, linke Kandidaten zu ermorden, die Guerilla, daß sie unter diesen Bedingungen keine Wahlen zulassen wird. Die militärische Konfrontation wird sich voraussichtlich in bisher unbekanntem Maße verschärfen.

Zudem verliert der Staatsapparat international weiterhin an Glaubwürdigkeit. Wegen der Menschenrechtssituation sah sich sogar die US-Administration vorletzte Woche gezwungen, mit der Einstellung der Militärhilfe zu drohen. Vor einem Armeegericht war der Offizier (i.R.) Farouk Yanine D'az trotz eindeutiger Beweise freigesprochen worde. Der General hatte nachgewiesenermaßen mehrere Massaker persönlich angeordnet und stand kurz vor einer Verurteilung. Der Fall war daraufhin von einem Zivilgericht an ein Militärtribunal übertragen worden, das den General erwartungsgemäß freisprach. Das Urteil war derart skandalös, daß sich jetzt selbst Washington gezwungen sah zu reagieren.

An dieser Stelle spielt auch Mauss auf einmal wieder eine - wenn auch kleine - Rolle. Die Regierung Samper versucht momentan einiges, um ihr beschädigtes Image wieder aufzubessern. So wurde der Armeekommandant Bedoya vorletzte Woche abgelöst, weil er angeblich bei den Verhandlungen zur Freilassung von 70 von den FARC-Guerilla festgehaltenen Soldaten zu unnachgiebig gewesen sei. Zudem brachte Verteidigungsminister Echeverry einen Vorschlag zu Verhandlungen mit den Guerillagruppen ins Gespräch, und Samper betonte die Notwendigkeit von Friedensgesprächen. Möglich, daß der deutsche Agent seine Freiheit nicht nur einem stillen Entgegenkommen der Bundesregierung bei der Polizei- oder Wirtschaftshilfe, sondern auch der neuen innenpolitischen Situation verdankt.

Letztlich sollte man die Erklärungen der Regierung in Bogot‡ nicht überbewerten. Samper dürfte sich dessen bewußt sein, daß der neue Verhandlungsvorschlag für die Guerilla unannehmbar ist, weil er implizit auf die Anerkennung der Paramilitärs als eigenständiger Kraft hinausläuft. Für die Regierung wäre das ein optimales Ergebnis: Sie könnte sich bei Dreiecksverhandlungen als Opfer zwischen den Extremen präsentieren.

Und auch die Absetzung von Armeekommandant Bedoya ist pure Augenwischerei. Der neue Oberkommandierende General Bonett ist direkter Verantwortlicher des Staatsmassakers von Trujillo, für das Kolumbien vor der Organisation Amerikanischer Staaten öffentlich verurteilt wurde. Auf Anweisung von Bonett hatten Paramilitärs und Soldaten der III. Brigade 1990 in der südkolumbianischen Kleinstadt Trujillo innerhalb weniger Wochen mehr als 100 Personen entführt, gefoltert und danach mit der Motorsäge zertrennt. Höchst unwahrscheinlich also, daß es mit Bonett einen neuen Kurs geben wird. Die Samper-Administration bleibt eine Regierung des totalen Terrors.