Fernblick auf die Linke

Die US-Forscher Markovits und Gorski glauben, die Grünen hätten Deutschland zivilsiert

Der Hamburger Rotbuch-Verlag hat in seiner Reihe über die europäische Linke sein drittes Buch vorgelegt. Nachdem mit Sunil Khilnani ein Inder über die französische und mit Lin Chun eine Chinesin über die britische Linke geschrieben hat, wird das sympathische Projekt, jeweils einen Außenblick auf die in der Regel intern sehr zerstrittenen politischen Gruppierungen des europäischen Landes zu werfen, durch die Analyse der deutschen Linken, verfaßt von den US-Amerikanern Andrei S. Markovits und Philip S. Gorski, erweitert.

"Grün schlägt Rot. Die deutsche Linke nach 1945" heißt die Ausgabe, doch der Titel trifft nicht ganz zu. Was Markovits und Gorski vorgelegt haben, ist eine Analyse der Grünen Partei der Bundesrepublik, die sie aus der Geschichte der westdeutschen Linken ableiten.

Daß die westdeutsche bzw. nach 1990 deutsche Linke nur aus den Grünen bestünde, bzw. die verschiedenen oppositionellen Gruppen und Richtungen, die es vor Gründung der Grünen Partei Ende der siebziger Jahre gab, mehr oder weniger in den Grünen aufgegangen seien, ist zwar nicht die These des Buches, wird aber angedeutet, was der Argumentation nicht immer gut bekommt. Die Autoren behaupten vielmehr, die Grünen seien Bestandteil politischer Normalität geworden, womit sie "mehr als Folge der politischen Transformation der deutschen Linken denn als Resultat einer ökologischen Krise des Kapitalismus" zu verstehen seien.

Im ersten Teil werden gleichermaßen kursorisch wie prägnant die ersten Jahrzehnte der BRD nacherzählt: Die Auseinandersetzungen um die Montan-Mitbestimmung in den Fünfziger, die Opposition gegen Bundeswehr, später gegen die Atombewaffnung, die Neue Linke, die sich ab 1967 vor allem an den Universitäten formierte, ihre zumindest teilweise Auflösung in den kaum zählbaren K-Gruppen, die Bedeutung von RAF, Bewegung 2. Juni etc. und die verschiedenen Neuen Sozialen Bewegungen.

Von Beginn an machen Markovits und Gorski deutlich, was sie an ihrem Forschungsgegenstand interessiert, nämlich: wie sich in diesem historisch-geographischen Raum Deutschland emanzipatorische Politik begründet, und da ist die Frage nach dem Verhältnis der jeweiligen Gruppe zur nationalsozialistischen Vergangenheit wichtiger als revolutionäre Rhetorik. "Wir wagen die kühne Behauptung", so die Autoren, "daß es direkte - wenn auch zumeist versteckte - Verbindungslinien zwischen Auschwitz und den Grünen gibt. Diese Verbindung, so glauben wir, hat die deutschen Grünen sowohl für die Beteiligten als auch für die Beobachter zu einem komplexen, mißverstandenen, unheimlichen und widersprüchlichen Phänomen gemacht und zu ihrer politischen Bedeutung in und außerhalb der Bundesrepublik beigetragen."

Was hier nur für die Grünen formuliert wurde, gilt, wie die Autoren im Verlauf ihrer Analyse zeigen, auch für andere Gruppen. "Es war einer der schändlichsten Augenblicke der deutschen Nach-Holocaust-Geschichte, der noch immer nicht als solcher erkannt wird", heißt es im Kapitel über Terrorismus, "als deutsche Terroristen den Palästinensern während der Entführung einer El-Al-Maschine im Sommer 1976 in Entebbe halfen, jüdische Passagiere zu ÝselektierenÜ."

Daß deutsche Linke, gleich ob sie sich in den siebziger Jahren einer militanten Gruppe anschlossen oder ob sie in den neunziger Jahren in Parlamenten an eventuellen Regierungsbündnissen basteln, immer dann moralisch und politisch versagen, wenn sie sich nicht dem Nationalsozialismus auseinandersetzen, belegen Markovits und Gorski eindeutig. Sie zeigen es etwa auch anhand der Debatten um die alliierte Intervention in den zweiten Golfkrieg, sie zeigen es anhand der antiamerikanischen Töne während des Booms der Neuen Friedensbewegung Anfang der achtziger Jahre, und sie zeigen es beispielsweise anhand der etymologischen Herkunft des Wortes "Mescalero", das 1977 als Pseudonym eines Nachrufs auf den von der RAF erschossenen Generalbundesanwalt Siegfried Buback diente.

Nicht so recht überzeugend allerdings scheint mir, daß im dritten Teil des Buches, der sich der politischen Praxis der Grünen in den neunziger Jahren widmet, also zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die Grünen auf Bundesebene schon längst als potentielle Regierungspartei verstehen und auf Länderebene ja schon sind, diese Partei sehr optimistisch als Ausdruck "der erfolgreiche(n) und endgültige(n) Transformation der Linken", als begrüßenswerte Integration ins deutsche Parteiensystem charakterisiert wird. Mich beschleicht da der Verdacht, daß die Autoren hier etwas schön sehen wollen, und zu diesem Zweck auf viele der im ersten Teil angewendeten Kriterien zur Beurteilung politischer Praxis und Programmatik verzichten.

Mir persönlich ist es viel zu viel Pragmatismus, der sich aus der ja an sich so löblichen Außenperspektive - US-Wissenschaftler schauen auf die deutsche Linke - ergibt, wenn Markovits und Gorski schreiben, sie seien "der festen Überzeugung, daß das heutige Deutschland aufgrund der politischen Bedeutung der Grünen und der Linken insgesamt ein besseres Land ist als ohne sie." Selbstverständlich geht es mit Antje Vollmer und Joseph Fischer ein wenig zivilisierter zu als mit Alfred Dregger und Manfred Kanther. Aber das als Sieg linker Politik zu bezeichnen, weigere ich mich heftig.

Markovits und Gorski haben ein hübsches Beispiel für ihre These gefunden, daß die Grünen mittlerweile zur deutschen Normalität gehören: "Wenn Theo Waigel sich beim Konzert der Rolling Stones im August 1995 in München besonders bei dem Song ÝJumpin' Jack FlashÜ begeistert im Takt wiegt, dann scheint ein Bündnis zwischen den Grünen und der CDU gar nichts Ausgefallenes und nur eine Frage der Zeit zu sein." Ich finde, man sollte da Mick Jagger in Schutz nehmen.

Für Markovits, der in Harvard und Santa Cruz lehrt, ist die hier vorgelegte Studie der zweite Teil einer Trilogie über Nachkriegsdeutschland, die mit einer Monographie über die westdeutschen Gewerkschaften begann und die mit einer Arbeit über das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen abgeschlossen werden soll. Scheint mir die Studie über die deutsche Linke im allgemeinen und die Grünen im besonderen zu optimistisch zu sein, so beruhigt - wenn man das in dem Zusammenhang überhaupt so formulieren darf - Markovits mit dem Hinweis, daß das dritte Werk "leider auch (die) am wenigsten optimischen" Befunde liefern werde.

Andrei S. Markovits/Philip S. Gorski: Grün schlägt Rot. Die deutsche Linke nach 1945, Rotbuch-Verlag Hamburg 1997, 607 S., DM 78