Kamerad, schreib Einheitsdeutsch!

Die Justiz stoppt die Orthographie-Reform und stärkt Lehrer Denks Bewegung.

Jeder Triumph für Denk bedeutet eine Niederlage des Denkens. Und gerade hat die von dem Weilheimer Deutschlehrer Friedrich Denk inszenierte Volkserhebung einen entscheidenden Sieg davongetragen: Der Vater zweier Eleven eines humanistischen Gymnasiums in Marburg erwirkte beim Verwaltungsgericht Wiesbaden einen Stopp der geplanten Rechtschreibreform. Klagen weiterer Willi Wichtigs in anderen Ländern sind anhängig. Nicht das - wie es jetzt aussieht - sichere Ende der Reform ist zu beklagen, sondern ein Etappensieg des völkischen Denkens.

Das Gericht argumentiert, entweder wollten die reformierenden Kultusminister der "Bevölkerung schlechthin" eine "neue Schreibweise" oktroyieren, wozu ihnen die "Kompetenz" fehle; oder sie beschränkten sich auf die Schulen, dann aber werde mit der Reform eine spezielle "Schülersprache/Schülerliteratur" eingeführt, die verhindere, daß die Schüler "optimal auf das Leben vorbereitet" werden.

Ins Altfränkische übertragen: Reformer, rührt nicht an das Volk und sein Leben! Denks romantisch-reaktionäre Vorstellung vom heiligen Gut Muttersprache, das nur von gebenedeiten Priestern - Dichtern und anderen Dolmetschern des Volkes - gehegt werden dürfe, hat sich also durchgesetzt. Die FAZ stimmt ein: Es sei eine "Illusion, man könne dem lebendigen Organismus Sprache mit dem Systemanspruch der Linguistik zu Leibe rücken" (31.7.). Aber das soll möglicherweise bloß eine Metapher sein; die angeblich lebendige Sprache frißt nicht, fickt nicht, furzt nicht, warum sie ein lebendiger Organismus und nicht das formale System sein soll, das die Sprachwissenschaft seit Saussure in ihr erkennt, weiß nur die deutsche Reaktion.

Schon am Tage zuvor hatte das Blatt in strammer Haltung die Entscheidung des Wiesbadener Gerichts entgegengenommen: "Es gibt nicht zwei Sprachen - eine in der und eine außerhalb der Schule. Die Sprache gehört allen, und sie prägt alle; Staatsvolk und Nation bestehen als Sprachgemeinschaft. Die Sprache ist wesentlich für Einheit und Einheitlichkeit." (FAZ, 30. 7.)

Selten wurde deutlicher ausgesprochen, worauf das Projekt der "inneren Einheit" abzielt: auf das Zurückdrängen von Intelligenz. Anders glaubt die FAZ-Nation der Einheit nicht näher zu kommen. Sie wird diese Einheit und Einheitlichkeit nicht mehr erleben; aber allein ihr Bemühen fordert Opfer.

Es wird nicht möglich sein, die Sprache, die in der Schule gesprochen wird, mit den Sprachen, die in den Familien, in den Cliquen, vor dem Männerpissoir, auf dem Theater und im FAZ-Casino gesprochen werden, in Übereinstimmung zu bringen. Das ist heute noch weniger möglich als vor fünfhundert Jahren, als die Mehrheit der Europäer ihr Leben in einem Ort und einem Milieu zubrachten, aber schon damals auf dem Beichtstuhl anders sprachen als im Ehebett.

Die Behauptung der FAZ und Denks ist aber, daß es diese einheitliche Sprache eigentlich schon gebe. Aufgabe der Nation wäre es dann, die wahre deutsche Sprache aus den unendlich vielen Varietäten und Sprachspielen herauszulesen und als verbindlich anzugeben. Das war nicht die Absicht der Reformer, die Schülern und Ausländern eine Hilfstellung für das Schriftdeutsche geben wollten, es ist die der völkischen Bewegung. Nicht die Reformer wollen vorschreiben, sondern die vereinigten Anti-Reformer.

Gibt es aber, außer dem Ziel, eine einige Nation zu bilden, auch noch einen vernünftigen Grund, die Sprache zu vereinheitlichen? Kann es einem Kind, wenn es schon die Marter der Schule auf sich nehmen muß, schaden, außer dem Dialekt der Eltern wenigstens noch zwei neue Sprachen zu erlernen: das Deutsch der Lehrer und das Deutsch auf dem Pausenhof? Wird eine Zersplitterung seiner Sprache, eine Erweiterung seiner sprachlichen Kompetenz sich nachteilig auf sein Zerebrum auswirken? Ich kann es mir nicht vorstellen. Wie arm ist dagegen einer zu schätzen, wenn er in seinem Leben nur eine Bedeutung, nur eine Schreibweise und nur eine Verwendung eines Wortes kennengelernt haben wird. Es gibt überhaupt nur diesen Weg, aus dem Zwangssystem der Sprache, das auch eines des Denkens ist, auszubrechen: neue Sprachen, neue Bedeutungen zu erlernen und zu erproben, die Semantik aufzuweichen und die offiziöse Sprache zu verachten. Das paßt denen nicht, die zu wissen vorgeben, wie "das Staatsvolk" spricht und denkt, und damit immer meinen, sie wüßten, wie es sprechen und denken soll. "Die Sprache ist die Peitsche, mit der die Menschen sich gegenseitig zur Arbeit peitschen." (Fritz Mauthner) Und da wäre es doch von Übel, wenn einer die offizielle Einheitssprache nicht mehr begreifen wollte.

Auch Dr. Michael Maier, der Chefredakteur der Berliner Zeitung (30.7.), weiß, was das Volk will, d.h. was er und seinesgleichen von der Bevölkerung wollen. Die Wiesbadener Entscheidung begrüße er, "weil es immer schön ist, wenn einem Vater recht gegeben wird in der Sorge um die Bildung seiner Kinder, wenn also der buchstäbliche kleine Mann obsiegt gegen die anonyme Bürokratie, die scheinbar alles kann und sich um nichts zu kümmern braucht". Dieser buchstäbliche kleine Mann besteht tatsächlich nur aus Buchstaben. Jeder, der die Denk-Kampagne verfolgt hat, weiß ja, daß sich alles, was in Deutschland Rang und Namen hat, unter des Weilheimers schwarzrotgoldener Flagge gesammelt hat. Von Martin Walser bis H.M. Enzensberger, von Gertrud Fussenegger bis Roger Willemsen bildete sich eine Phalanx der Besserwisser, die nun in Hessen einen einsamen Willi Wichtig vorgeschickt hat und in Schleswig-Holstein und Berlin auch noch je einen. Eine Wilma Wichtig aus Weimar ist allerdings vor Gericht gescheitert - ausgerechnet in diesem "Hain der Dichter und Denker", klagt die FAZ (31.7.). Ja, ausgerechnet in Weimar, diesem Bildungsbürger-Hochsitz mit Blick aufs KZ. An diesem deutschesten aller Orte. Da können sich die deutschnationalen Zahnärzte nur noch in die Kittel schneuzen.

Daß der Aufstand des verrotteten deutschen Bildungsbürgertums nun als ein Akt der Demokratie gelten soll, hätte man sich schon denken können. Dr. Maier eiert weiter: "Und was in der Frage der Währungsunion ausgeschlossen ist - nämlich dem natürlichen Empfinden der Bürger nach Orten der verpflichtenden Mitbestimmung nachzugeben - hat hier einen kleinen Sieg errungen." Das "natürliche Empfinden der Bürger nach Orten der verpflichtenden Mitbestimmung" - und diese Sorte Chefredakteur will uns über die richtige Verwendung der deutschen Sprache aufklären. Aber daß in Dr. Maiers trüber Sprach-Brühe wie ein Fettauge das natürliche Volksempfinden obenauf schwimmt, das bitte ich doch zu beachten.

Welches Volk empfindet denn so natürlich? Sollten sich die Trinkhallen-Besucher haben einreden lassen, es sei schlecht für ihre Kinder, wenn das Schuldeutsch vereinfacht wird? Wir erinnern uns, daß auf Denks Liste wirklich fast die gesamte deutsche Hautevolee versammelt war: Rechtsradikale von Strauß bis Schacht, Kulturlinke und Linksliberale von Grass über Henscheid bis Jelinek. Das heißt umgekehrt: Es war wirklich fast niemand da, der gegen den Unsinn noch hätte protestieren können. Daß aber doch noch hier und da ein schwaches Stimmchen aufpiepste, hält die taz (30.7.) für "vordemokratisch". Die Kultusministerkonferenz, die doch, völlig zu Recht, darauf hinwies, daß der Protest sehr spät gekommen sei, habe nun ihre Quittung erhalten, freut sich Kommentator Severin Weiland: "Die Arroganz, die da mancher zur Schau stellte, hatte vordemokratischen Charakter und glich dem Habitus mittelalterlicher Fürstenhäuser."

Nicht die Berufung auf Volk und Muttersprache ist mittelalterlich und vordemokratisch, sondern eine bereits völlig eingeschüchterte Kultusministerkonferenz, die mit ihrer äußerst zaghaften Reform der Veränderung des Schriftdeutschen Rechnung tragen und Heranwachsenden und Ausländern erleichtern wollte, es zu erlernen. Aber von einer Zeitung, die die rasche Abschiebung von "kriminellen Ausländern" für diskutabel hält, wird man nicht erwarten können, daß ihr eine Reform des Deutschunterrichts für Ausländer sympathisch ist. Wenn die erst einmal das Deutsche beherrschen, könnten sie bald auch lesen, was über sie in der taz steht.

Interessant übrigens, daß Denks piefigstes Argument bislang nicht wieder zu hören war: Was das alles kostet! Nun werden in Hessen und womöglich bald überall die bereits gedruckten neuen Wörterbücher eingestampft werden müssen. Und was das wieder kostet! Wenn's nur der Nation gedient hat, werden sie denken, die Denks.