Chronik einer angekündigten Aktion:

Schüsse auf Bestellung

Berlin-Hellersdorf am 15. Februar diesen Jahres. Ein erfolgreicher Tag für AntifaschistInnen, eine schlechter für die Rechtsradikalen der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN). Nach dem sich Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) beharrlich weigert, einen Neonazi-Aufmarsch zu verbieten, sorgt ein antifaschistisches Bündnis selbst dafür, daß die JN nicht durch die Straßen der Ostberliner Plattenbausiedlung marschieren können. Rund 2 500 Menschen, mobilisiert durch Gewerkschaften, Autonome und die Parteien der Bezirksverordnetenversammlung, protestieren gegen den geplanten Aufmarsch - und können ihn verhindern. Etwa 300 Linke verjagen am S-Bahnhof Wuhletal durch handfesten Einsatz eine Gruppe von 40 bis 50 JN-Anhängern, unter ihnen den führenden Kader Andreas Storr. Weitere Versuche der Rechten, an anderen Stellen in Hellersdorf in Erscheinung zu treten, scheitern am Auftreten der AntifaschistInnen. Dabei gibt sich die Berliner Polizei alle Mühe, die Neonazis zu schützen. Während die Beamten diesen freies Geleit verschaffen, werden 104 GegendemonstrantInnen festgenommen.

In der Hauptstadt-CDU weiß man jetzt genau, wo der Feind steht: Fraktionssprecher Klaus Landowsky fordert disziplinarische Schritte gegen den Hellersdorfer PDS-Bezirksbürgermeister Uwe Klett und spricht von "politischer Brandstiftung". Schließlich habe Klett mit zur Demonstration aufgerufen und sei deshalb verantwortlich für die "Gewaltorgie von Links", ergänzt CDU-Innenpolitiker Dieter Hapel. Und für Ex-General Schönbohm wird das antifaschistische Bündnis zur "crème de la crème der Gewaltbereiten". Wenige Tage später muß sich Klett gar vor dem Innenausschuß des Abgeordnetenhauses für seinen Einsatz verantworten.

Bei den Rechtsradikalen weiß man die Signale der Union richtig zu deuten. Die JN stellt eine Strafanzeige gegen die PDS-PolitikerInnen Gregor Gysi, Petra Pau und Uwe Klett. Auch in der Bandansage des von Rechtsradikalen betriebenen "Nationalen Infotelefons" wird auf Pau hingewiesen. Sie habe schließlich bei den Hellersdorfer Auseinandersetzungen in der ersten Reihe gestanden. Die Ansage endet mit der Drohung: "Die Sache wird ein Nachspiel haben. Wer zuletzt lacht, lacht am Besten. Und das werden wir sein."

Zwei Tage später, am 19.Februar, fallen im Haus Alt-Marzahn 64, in dem sich Gysis Wahlkampfbüro und die PDS-Geschäftsstelle Marzahn befinden, Schüsse. Der Neonazi Kay Diesner schießt mit einer Pumpgun auf Klaus Baltruschat, den Geschäftsführer der PDS-nahen Buchhandlung "Der kleine Buchladen". Dem 62jährigen Baltruschat müssen die linke Hand sowie zwei Finger der rechten amputiert werden. Nach dem Anschlag erhält die Berliner Landesvorsitzende Petra Pau einen Anruf: "Wir kriegen euch. Rache für Hellersdorf." Diesner gesteht nach seiner Verhaftung, daß er die PDS aus Rache gegen das Vorgehen der Linken in Hellersdorf habe bestrafen wollen.