Wormser Polizei-Fiasko

Die Beamten der Domstadt haben sich beim Heß-Gedenkmarsch im vergangenen Jahr alle Mühe gegeben, die Neonazis marschieren zu lassen

"Eine Demonstration im rheinland-pfälzischen Worms wurde nach kurzer Zeit aufgelöst und zahlreiche Rechtsradikale festgenommen." So oder ähnlich klangen am 17. August vergangenen Jahres zahlreiche Meldungen in Radio und Presse. Schließlich stand die Polizei nach den geglückten Rudolf-Heß-Gedenkmärschen in Fulda 1993 und Schneverdingen 1995 unter Druck. Einen ähnlich peinlichen Auftritt wollte man sich 1996 nicht leisten, zumal die Luxemburger Kollegen 1994 unmißverständlich klar gemacht hatten, daß sich die Neonazis im nahegelegenen Ausland nicht auf "Pannen" und "unglückliche Umstände" verlassen können. Binnen weniger Minuten war der Aufmarsch dort durch handfestes Eingreifen der Beamten beendet.

Doch was sich an jenem Nachmittag in Worms tatsächlich abspielte, hat mit den damals verbreiteten Nachrichten nur wenig zu tun. Fast eine Stunde lang marschierten rund 250 Neonazis ungestört durch die Domstadt. Erst dann löste ein aus dem 50 Kilometer entfernten Kaiserslautern angereistes Spezialeinsatzkommando (SEK) das unheimliche Spektakel auf, 187 Rechtsradikale wurden eingekesselt und vorübergehend festgenommen.

Wie ein später rekonstruierter Ablauf deutlich macht, hatte man vorher in verschiedenen Dienststellen wenig Interesse gezeigt, die Neonazi-Aktion zu verhindern: Um 12.08 Uhr informierte das Landeskriminalamt (LKA) das Polizeipräsidium Rheinhessen davon, daß der Marsch wohl im Raum Mannheim/Ludwigshafen/Worms stattfinden werde. Dennoch gab die Behörde ihre Information nicht an die Wormser Polizeiinspektion weiter. Und obwohl sich die Rechtsradikalen eindeutig auf die Stadt zubewegt hatten, wurden bis 13.25 Uhr keine Maßnahmen ergriffen. Gegen 13.40 Uhr konkretisierte das LKA sein Wissen gegenüber dem Präsidium Rheinhessen: Um 14 Uhr sollte der Heß-Gedenkmarsch vor dem Dom beginnen. Nun endlich informierte der Polizeiführer des Präsidiums die Wormser Kollegen. Den Treffpunkt Dom allerdings vergaß er zu erwähnen.

Etwa gleichzeitig beobachteten anreisende Antifaschisten und Antifaschistinnen, wie größere Polizeieinheiten das Stadtgebiet verließen. Nachfragen seien sinnlos gewesen, heißt es in der aktuellen Ausgabe des Antifa-Infoblatt: "Das Revier war (zumindest vorübergehend) verlassen und abgesperrt, nicht einmal das Telefon war besetzt."

Gegen 13.40 Uhr übergab der Polizeiführer des Präsidiums Rheinhessen seinen Dienst an die Spätschicht - und vergaß nebenbei, seinen Kollegen davon zu informieren, daß es um 14 Uhr in Worms am Dom zu einer rechtsradikalen Veranstaltung kommen sollte.

Auch beim SEK schien man nicht so recht gewillt, gegen die Neonazis vorzugehen. Um 14.10 Uhr entdeckte der Unterabschnittsleiter des SEK am Dom 15 bis 20 Personen "mit szenetypischen Verhalten". Für den SEK-Führer kein Grund zum Einschreiten. Schließlich sei kein Gruppenverhalten erkennbar. Zudem habe er die Personen "als normales Besucheraufkommen auf allen öffentlichen Plätzen und Wegen eingeordnet". Etwa zeitgleich wurde dort der bekannte Neonazi und Rädelsführer Thomas Wulff kontrolliert - und nicht festgenommen. Wenig später, um 14.44 Uhr zog sich die den Aufzug beobachtende Funkstreifenbesatzung zurück, "um ortsunkundige Kräfte einzuweisen". Ab diesem Zeitpunkt gab es keine Informationen mehr über den Standort des Aufmarsches. Allerdings fuhren mehrere Hundeführer ordentlich, mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn, hinter den Neonazis her, ohne einzugreifen. Für sie schien der Aufzug lediglich ein lästiges Verkehrshindernis. Denn als sie endlich die Einfahrt zum Hof der Polizeidirektion erreichten, bogen sie schnell ab.

"Ein schwerer Mißerfolg", resümierte der rheinland-pfälzische CDU-Landtagsabgeordnete Heinz Hermann Schnabel auf einer Innenausschuß-Sitzung zum Thema am 31. Oktober vergangenen Jahres. Allerdings sehe er keinen einzigen "ernst zu nehmenden Hinweis dafür", daß sich die Polizei in Worms bewußt zurückgehalten habe. AntifaschistInnen kritisieren das Desinteresse am "Wormser Polizeifiasko". Anders als nach den Ereignissen in Fulda habe sich keine ...ffentlichkeit formiert, die von den verantwortlichen Behörden Rechenschaft einfordert. Offensichtlich sei mittlerweile ein Gewöhnungseffekt eingetreten.