Adabei im Ballermann

Mallorcas Biertheken üben eine magische Anziehungskraft auf deutsche Fernsehmacher aus

Das Schlimmste in diesem Sommer ist nicht das Wetter. Das Schlimmste, Schimmligste, Schlammigste, was dieser Sommer zu bieten hat, sind die Urlaubsshows im Fernsehen. Seit Anfang Juni haben all die Narren, die wir sicher in ihren Studios eingeschlossen glaubten, Freigang und versauen all jenen die Ferien, die den Faxenmachern wenigstens vier Wochen lang zu entrinnen hofften.

Ahnungslos den Blick auf die zischende Nordsee gerichtet, wächst hinterm Sylt-Urlauber eine brandneue Obszönität aus dem Strandsand: die Bühne für "Sommer, Sonne, Sat 1"; und wer jetzt nicht wegrennt, der wird von Jörg Wontorra persönlich an die Zauschauertribüne gekettet. Sanft schlabbert gegen die Ufer von Rügen die Ostsee; doch plötzlich blakt, verstärkt mit zehn Millionen Watt, eine Stimme über die Dünen, ein Laut des Grauens, wie Sterbliche ihn nicht hören sollten: Arabella sabbelt sich warm. Aber das ist ja alles noch gar nichts gegen den Schreckenschwarm von TV-Teams, der in den vergangenen Wochen Mallorca heimgesucht hat.

"Adabei" Wontorra schaut, kurz nachdem er Sylt verschandelt hat, mit seiner unglaublich dummen Show vorbei; auch Birgit "Teleprompter" Schrowange verlegt ihre noch unglaublichere, noch dümmere Show hierher. Gar eine ganze Woche lang moderiert Monika "Eligmann" Lierhaus das Sat-1-Magazin "Blitz" direkt von den billigsten Plätzen der Insel. Wir erfahren nebenher, daß Tom "Kotzbrocken" Gerhardt und sein Team einen neuen, wie heißt das? Film?, gleich um die Ecke, wie nennt man das? inszenieren? - und by the way schickt die meistüberschätzte Fernsehzeitung Europas, TV Spielfilm, einen Reporter vorbei, um erstens die Gerhardt-Produktion zu fotografieren und zweitens das ordinärste Liebespaar der Filmgeschichte: Jenny "Alles Echt" Elvers und Heiner "Grabbel" Lauterbach (daraus wird kurz darauf der vulgärste Titel der Journalgeschichte).

Mallorca ist trendy. Die Insel der Suffköppe, Dummtussen und CDU-Wähler kommt genau in den Programmen zu Ehren, die genau diese Zielgruppe bestimmt nie haben wollten. Es möchte fast so aussehen, als hätten die Marketing-Strategen der Sender endlich kapiert, was jeder, der seine Zwetschgen beisammen hat, eh schon immer wußte: Daß die ideale Klientel, die gutverdienenden, konsumgeilen Singles, vor lauter Überstunden bzw. Rumlabern gar keine Zeit zum Fernsehen hat. Und daß vorm Gerät hauptsächlich Suffköppe, Dummtussen und CDU-Altwähler sitzen.

Eine immense Faszination übt folgerichtig auf das Mallorca-Fernsehen der übelste Schandfleck der Insel aus: Balneario "Ballermann" 6. Das Synonym für neudeutsche KdF, das letzte Ende kleinbürgerlichen Frohsinns, der Inbegriff des gelebten Nichtlebens darf in keiner dieser Sendungen fehlen. Das Proletariat hat verloren, der Proll hat gesiegt, aber zum Trost darf der Bierwanst Frau Lierhaus an den Arsch fassen und Frl. Schrowange beim Ablesen überschreien. (Statt die TV-Hyänen auf der Stelle in Stücke zu reißen und aufzufressen: Nicht mal "Themroc" kennen diese Idioten!) Wie unendlich fern die fetten Achtziger sind, wie mager die Neunziger, zeigt sich eben auch in den Lügen, die die Kulturindustrie ihrer Kundschaft verkauft: Ibiza, Gefilde der Schönheit, der Extravaganz und Libertinage, ist nun, dank zahllosen Live-Schaltungen zum Ballermann, abgelöst von Mallorca, dem Babel der Bölkstoffwampen, Blondinenwitze und Blödmänner.

Soviel zu den propagandistischen Absichten. Wie aber soll das eigentlich funktionieren? Daß das Fernsehen Urlaubsstimmung erzeugt? Urlaub heißt: faul in einer Gegend rumhängen, deren Bewohner einem suspekt sind, deren Kultur einem egal ist, sich zügig der Nüchternheit entziehen und Fotos knipsen, die einen später nichts als enttäuschen werden. Urlaub ist legitimer Rückfall ins Prähominide, und wiewohl das Fernsehen, dieser große Siegelwart der Atavismen, auserkoren scheint, den Urlaub zu feiern, hat das Sujet doch einen fürchterlichen Nachteil: Es läßt sich nicht übertragen.

Niemand sitzt mit an der Ballermann-Theke, nur weil er sie auf dem Bildschirm sieht, keiner bekommt einen Sonnenbrand, wenn die Regie auf den Balearenhimmel umschneidet: Eine Party, zu der man nur als stummer Zeuge eingeladen ist, macht etwa so viel Spaß wie ein Loch im Kopf; und wer in den Ferienwochen zu Hause bleibt, wer selbst für ein Barbecue im Schrebergarten zu arm ist, wer also Wontorras Entertainment-Versuchen zusehen muß, ist bestimmt nicht deshalb geblieben, weil er das Verreisen oder Grillen generell verachtet. Urlaubs-Shows sind nichts als Entlassenenbetreuung (wie fast alles Fernsehen), nicht einmal das aber kriegen sie ordentlich hin: Die Marktanteile für "Sommer, Sonne, Sat 1" untertreffen die Arbeitslosenquote um immerhin vier Prozent. Zur Armut noch den Hohn: So funktioniert der totale Kapitalismus.

Daß die Erniedrigten und Beleidigten sich mit dem schalen Schwachsinn, für den z.B. Lierhaus einsteht wie eine Eins, nicht abspeisen lassen mögen, wird den Marketing-Haien der Sender inzwischen wohl aufgefallen sein. Wohin aber wird das Urlaubsfernsehen im nächsten Jahr schalten? Nach Mecklenburg-Vorpommern, zum Mitsommernachts-Camper-Bashing? "Ich denke, die Bilder werden schon für sich sprechen" (Wontorra).