Der Kolporteur

Auf dem Dach stünden noch die Sockel für die Flakgeschütze. Und im Keller sei manch eine dunkle Kammer noch nicht geöffnet. Mmmh. Ein Uniformierter hält einen Vortrag, die Schaulustigen murmeln. Die Geschichte sei nicht aufzuhalten, ach, wie interessant: Erst Reichsluftfahrtministerium, dann die sowjetische Militäradministration, der Deutsche Volksrat, die Volkskammer, die Treuhandanstalt und demnächst das Finanzministerium. Von Göring über Pieck zu Rohwedder und Waigel. "Detlef-Rohwedder-Haus" heißt das Ding. Das haben wir der RAF zu verdanken, sagt der Uniformierte auf der Führung durch die Säle des immer noch größten Bürokomplexes in Berlin.

Wilhelmstraße 81-85. Geschichte ohne Ende. Und kein Geschichtsheld ist ist bislang auf den Gedanken gekommen, das Steinmonster einfach abzureißen. Als sei es eine Selbstverständlichkeit, haben die Denkmalschützer die von Ernst Sagebiel in 18 Monaten erbaute Anlage unter ihren Schutz gestellt. Sehr verärgert ist man daher, daß der marode Luftschutzbunker unter dem Vorplatz abgerissen werden muß. Die DDR-Umbauten werden mit Freude und Eile entfernt. Das Stasi-Zeug brauche man ja jetzt nicht mehr, sagt der Uniformierte. Auf die Fascho-Fackeln im Eingangsbereich verzichte man ebenfalls. Die Besucher quittieren den angedeuteten Humor ihres Reiseführers mit wohlwollendem Grummeln.

Auf fünf bzw. sieben Etagen sollen 2 400 Büros eingerichtet werden. Verbunden durch einen 300 Meter langen Flur. Also doch kein schlanker Staat. Jedenfalls nicht in Sachen Steuerfahndung. Die Planungskosten von rund 300 Millionen Mark müssen eingenommen werden. Man wird den Projektleiter des Bundesbauamtes, Hans-Joachim Henzgen, vor die Kamera zerren. Denn der hat dummerweise angekündigt, daß man von den Renovierungsarbeiten recht wenig sehen werde. Das Geld fließt überwiegend in die Sanierung der fränkischen Muschelkalkfassade und der 4 000 Fenster. Die Pflege des Baudenkmals geht so weit, daß die Elektroinstallationen über dem Putz verlegt werden. Was den Einbrechern allerdings nicht helfen wird. In der künftigen Finanzzentrale wird es mehr Wanzen an den Wänden als Münzen in der Kasse geben. Sagt der Uniformierte. Höhöhö.

Langsam trottet die Besuchergruppe durch die Festsäle, Säulenhallen und Ehrenhöfe. "Der Stahlskelettbau ist ein qualitativ hochwertiges, funktionales Gebäude der Moderne", doziert Bauleiter Henzgen, wobei er nicht erklärt, was das denn ist, die Moderne; die Adjektivsammlung zum Substantiv "Gebäude" gibt immerhin darüber Auskunft, daß Henzgen Görings Sinn fürs Zweckrationale bewundert. Der Bauleiter hat die Fernsehfolter verdient. Wenn's wenigstens Folter für den Kerl wäre: Wer das monströse Reichsluftfahrtbundesfinanzministerium in seiner originalen Gestalt schätzt, der wird wahrscheinlich auch den Talk im Turm mögen.