Die Welt ist farblos

Vija Celmins im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main.

Im Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main wird seit 1991 durchschnittlich zweimal pro Jahr ein sechs bis acht Räume beanspruchender "Szenenwechsel" organisiert. Neben Dauerexponaten von Beuys, Warhol, Rauschenberg, Segal, Judd u.a. sind dann Bildgruppen zeitgenössischer Künstler zu sehen, überschaubare Ensembles, die sich entweder thematisch oder werkgeschichtlich begründen. Anläßlich des "Szenenwechsels XII" findet nun bis zum 28. September unter dem Titel "Werke 1964 - 96" die erste europäische Ausstellung der US-amerikanischen Malerin Vija Celmins statt.

Celmins ist der hiesigen Kunstöffentlichkeit bis heute weitgehend unbekannt geblieben. Ein Blick auf parallel präsentierte Objekte des "Szenenwechsels" mag verdeutlichen, welchen, wenn nicht national aufgeladenen, so doch konnotierten Kontext, ihre Bleistiftzeichnungen und ...lgemälde unterlaufen. August Sanders Photographien von diversen bodenständigen, "behausten" Handwerkern, Bauern und Arbeitern reihen "das Siegerland" der zwanziger Jahre in die Motivketten der Gegenwart ein; während etliche "heimat"-ikonographische Werkstücke jüngsten Datums einen, wie das Faltblatt mitteilt, "ÝGeruchÜ" evozieren sollen, "der etwas ausgeprägt Spezifisches im künstlerischen Ausdruck vermittelt", folgen Inge Rambows großformatige, kleckerbunte Farbphotos für deutsche Ansichten: Ihre "Wüstungen" zeigen bis dato nicht rekultivierte DDR-Braunkohlehalden, giftverschlammte Seen und von schwerem Gerät zerfurchte Abraumbereiche. "Es sind grausig schöne Bilder wie von einem anderen Planeten", und dieses ferne Biotop, durch ökologischen Raubbau in die Totenstarre versetzt, ist "das unsrige" - als allerhand unerhört ruinös planwirtschaftliches Gebaren bedenkender und befummelnder Postkartenkitsch. Wo die Kunstdeuter raunen, war, dem vermeintlich "Eigentlichen" des Ästhetischen zum Trotz, das Verstockte, Dumme, Törichte nie weit. Wer jemals Heideggers Bemühungen um die Windungen seiner Schwarzwälder Holzfällerpfade mit angeschlossener Lyrik-Unterweisung nachzuvollziehen gedachte, ahnt, warum sich die Interpretation der Kunst, sobald sie das Höhere ins Visier nimmt, auf die (stille) Feier der Archaik und noch jedes niederträchtige Ressentiment, ja die formidable Blödheit versteift. So las Heidegger seinen geliebten Hölderlin post rem als Ankläger wider das Wasserkraftwerk: welches nämlich in den Rhein "ge-stellt" sei.

Man sieht leicht: Es endet im Unfug. Schwulst verträgt sich mit vielem, vor allem mit der Unkenntnis der Sache. Zuletzt heißt es, man könne Kunst nicht "verstehen". Sie sei "tief" wie das menschliche Dasein, unergründlich wie wenigstens die Nordsee. Die Beachtung der Kunstmittel und ihres Einsatzes macht indessen kenntlich, was an der Kunst Kunst, wie sie gemacht ist: ihr ganzes Geheimnis. Plötzlich muß man hinsehen. Vija Celmins kleinformatige Arbeiten, ...l und Graphit auf acrylgrundiertem Papier, erzwingen hohe Aufmerksamkeit. Statt "schaurig schönen" Panoramen, farblich gesättigten Impressionen oder prallen Sinn- und Sittenbildern stehen Darstellungen vor uns, die das zunächst Uninteressante, Gleichförmige, Bekannte zur Abbildung bringen.

Die Welt ist farblos. 1964 entsteht zwar noch das grün-gelbtönige Stilleben "Soup Bowl", zur selben Zeit aber auch eine Serie von Gegenstandsstudien, die ihre Objekte in Echtgröße und vor grauen Hintergründen als ebenso graue Gerätschaften ausstellen. Studium der Dingwelt heißt hier: Interesse für die Möglichkeiten des Abbildes, das als geduldige, zurückhaltende und daher auf Exaktheit bedachte Hinwendung zur Wirklichkeit prätentiöse Subjektivität vermeidet. Die Funktionsfähigkeit einer am ausgestreckten Arm gehaltenen Pistole wird demonstriert, eine "Lampe" ("Lamp -1") gezeigt, Elektrogeräte, grau, schwarz, sind in Betrieb, Drähte und Platten glühen fett-orange. Brauntöne, große hellgraue Flächen. Celmins "zeigt, wie Dinge aussehen" (John Berger), kein Ereignis, keine Benutzer. Bedächtig artikuliert Celmins das Interesse derjenigen, die sehen will. "Ich fing damit an, ... zu malen, was ich sah", sagt sie, und diese Wahrnehmungsübung und -anstrengung konstruiert dort, wo Geschichtslosigkeit signalisiert wird, jenen Raum, in dem sich Erinnerung bildet.

Unter dem Aufgang in den 2. Stock stehen zwei Modelle. "House - 1", groß wie zwei Cigarrenschachteln, graue Fassade, aufgemalte Fenster, eine rasende Lokomotive, eine Pistole zwischen Wolkenformationen. Das Dach liegt an der Seite, die Wohnung ist mit Pelzen ausgekleidet. "House - 2": scheint intakt, der Dachstuhl sitzt obenauf, brennt. Orange.

"Burning Man" (1966) zeigt im Schattenriß einen aus seinem umgestürzten, in Flammen stehenden LKW Flüchtenden, während der "Freeway" (1966) photorealistisch und, zum Teil blaugrün, Bewegung vorführt, die keine ist. Als Zeitungsausschnitt der Atompilz auf dem Bikini-Atoll, 1968; daneben die Steinwüste von Hiroshima. Briefmarken, Teil einer Collage, führen die Motive brennendes Haus und Rauchschwaden.

1964 malt Celmins "TV". Im Vordergrund des Fernsehbildes stürzen Flugzeuge lodernd zur Erde. Ab 1969 wendet sich Celmins dem Mond zu, den Oberflächen des "anderen Planeten". Zwar finden wir auf "Moon Surface" (1971/72) links unten, von Bleistiftschraffuren nahezu verdeckt, ein Raumfahrzeug, doch sonst keine Spuren menschlicher Tätigkeit. Celmins interessiert sich nunmehr für karge, ans Abstrakte gemahnende malerische Strukturen, kleinste Lichtwechsel in minimalen Variationen, angeordnet zu Abfolgen gleichförmiger Bewegung - bis zur Erstarrung. Dabei greift das Abgebildete übers Echtformat hinaus. Lediglich auf "Moon Surface (Luna 9 - 1" finden wir bildeinteilende Ausschnitte, "Rahmen". Unterschiedliche Brennweiten lassen in unterschiedlichen Graden der Genauigkeit Steine, Staub, Schotter sichtbar werden.

Mit dem Blick auf Mond, Geröllhalden und durch unmerklich wechselnde Lichtquellen unmerklich voneinander abweichende Wüstenflächen korrespondieren Celmins Meeresbilder, die bisweilen zur Serie verknüpft werden ("Ocean: 7 Steps - 2"). Ihr Gestus der Leidenschaftslosigkeit resultiert nicht zuletzt aus der Statik sämtlicher Szenen. Warum soll auch ein Bild von aufgewühlten Meeren, riskanten Überfahrten, gefährlichen Unternehmungen berichten? Angesichts dieser Welt?

Finster ist das Firmament. Celmins entdeckt den nächtlichen Himmel und die Sternenfelder. Vereinzelt weiße Flecken. "Nichtfarben". Statt Graupaletten, den Gegenständen angemessen, nunmehr nahezu ausschließlich schwarz. Anhand der Sternendichte bestimmen wird das Ausmaß der kosmischen Dunkelheit: diffus mit Kometenlicht, teerig-finster; oder stocknacht? "Night Sky - 3" (...l, 1991) experimentiert mit der Darstellung dessen, was man in der Entfernung sieht - wo die Weltlosigkeit vollkommen wird.

Celmins Graphitzeichnungen und ...lgemälde sind frei von jeder Mystik. Oft transkribiert Celmins Photos, vermißt sie Abschnitt für Abschnitt, ohne glauben zu machen, Kopien vom wirklichkeitsgetreuen Abbild der Wirklichkeit herzustellen, Illusionen der Illusion.

Das Photographische dieser Bilder ist Resultat einer malerischen Abstraktion, die in der Genauigkeit des Beobachtens gründet. Wie bei der Wahl des Winkels und der Belichtungszeit gibt es indes kein gedankenloses, zerstreutes Sehen, dann, wenn das Vertrauen, die Welt sei eingerichtet, "bunt", "vielfältig", ja "interessant", erschüttert ward. An die Stelle ästhetischer Überformung und Verschleierung tritt die Überlegung, welche malerischen Mittel angebracht wären, um sichtbar zu machen, was Sehen ist.

Szenenwechsel XII - Vija Celmins: "Werke 1964-1996". Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main. Domstraße 10. Dienstag bis Sonntag,
10 bis 17 Uhr, Mittwoch 10 bis 20 Uhr