Flüchtlingsgespräche

Auch nach dem Zwischenfall im bosnischen Jajce wird weiter abgeschoben
Ohne Not münzte Außenminister Klaus Kinkel seine auswärts geholten Pluspunkte in eine Heimniederlage um. Von den heimischen Medien gefeiert, hatte die NATO gerade ihre polizeiliche Kommando-Aktion gegen die bosnisch-serbische Republik mit der Erschießung eines mutmaßlichen serbischen Kriegsverbrechers eingeleitet. Da vollzog Kinkel eine innenpolitische Kehrtwende, mit der er ein weiteres Mal sein Gespür für die falschen Worte zur falschen Zeit bewies: Eine "Deluxe-Rückkehr" könnten die bosnischen Flüchtlinge in der BRD nicht für sich beanspruchen, tönte der Außenminister nach der Rückkehr von einem Besuch in Sarajevo. "Wer hier Vollkasko-Sicherheit erwartet, ist realitätsfremd und verlangt Unmögliches." Sollte sich die bedrohliche Lage für Rückkehrer in Bosnien, die den Schwaben noch an Ostern gegen den harten Abschiebekurs von Innenminister Manfred Kanther aufgebracht hatte, in nur drei Monaten derart verbessert haben?

Sie hat sich nicht verbessert. Keine Woche nach Kinkels Vorstoß für zügigere Abschiebungen vertrieben Kroaten mit Unterstützung ihrer Polizei 500 muslimische Rückkehrer aus der zentralbosnischen Stadt Jajce. Ein Muslim kam dabei ums Leben. Auch in einem Vorort von Sarajevo waren Serben nicht - wie von Kinkel und seinen Amtskollegen in den vergangenen Wochen suggeriert - die Aggressoren, sondern die Opfer. Hier hinderten Muslime eine Gruppe von serbischen Rückkehrern daran, in ihre alten Häuser zurückkehren.

Nichts Neues in der bosnischen Föderation. Übergriffe, auch solche mit tödlichem Ausgang, gibt es seit Schaffung der Entität 1995. Die Vorfälle widerlegen lediglich aufs neue, was schon an Ostern reine Rhetorik war: die Behauptung der Länder-Innenminister nämlich, Abschiebungen in die muslimisch-kroatische Föderation seien sicher; verfolgt würden Rückkehrer nur in der serbischen Karadzic-Republik.

Mit diesem Griff in die humanitär-ideologische Trickkiste hatte im Frühjahr schon eine Riege Prominenter um den früheren Postminister und jetzigen Bosnien-Vermittler Christian Schwarz-Schilling ihren Ruf nach "menschlichen Abschiebungen" begründet: Abschiebungen nach Sprska nein, in die "sicheren Gebiete" der Föderation ja.

So fahren die Mächte der Bosnien-Kontaktgruppe (USA, Frankreich, Rußland, Großbritannien, BRD) derzeit zwar ihr komplettes Geschütz an disziplinierenden Maßnahmen auf, um den Diktatfrieden von Dayton zu retten. Die innenpolitische Komponente des Dayton-Vertrags aber - ein geregeltes Bleiberecht der Flüchtlinge bis zu einem wirklichen Frieden - soll nicht auf den Tisch kommen. Zwar hat die Innenministerkonferenz (IMK) ihre Beschlüsse zu den Bosnien-Flüchtlingen mehrfach revidiert, deren Kern blieb jedoch unangetastet: Es bleiben Abschiebebeschlüsse, die die Rückkehr allein ausländerrechtlich und mit der hohen finanziellen Belastung für die Länder und Kommunen begründen. Die IMK-Einschätzung der Lage in Bosnien beruht auf Fiktionen. Das einzige, was der Streit zwischen Außenminister und Innenministern im Frühjahr hervorbrachte, war ein Bundesbeauftragter mehr. Elmar Schlee (CDU) soll für Effizienz in der Zusammenarbeit der Länder sorgen - obwohl sich alle Experten darin einig sind, daß nicht die Koordinierung, sondern die politischen Verhältnisse vor Ort einer geregelten Rückkehr im Wege stehen.

Auf Bundesebene bleibt es deshalb bei der eingeübten Rollenverteilung. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU), Vorreiter bei den Abschiebungen bosnischer Kriegsflüchtlinge und in seiner "Wellenbrecherfunktion" von den anderen Ländern bestärkt, gab nach dem Zwischenfall in Jajce die alte Marschroute als die neue aus: Es müsse weiter abgeschoben werden, um den Druck zur freiwilligen Rückkehr aufrecht zu erhalten. Die Forderung der Bündnisgrünen nach einem Abschiebestopp verpuffte ebenso folgenlos wie im Frühjahr.

Für die rund 285 000 Bosnien-Flüchtlinge in der BRD bleibt die Situation unvermindert bedrohlich. Eingeschüchtert von bürokratischen Repressalien wie der Einziehung ihrer Pässe oder der Kürzung der Sozialhilfesätze, müssen sie jederzeit mit der Abschiebung rechnen - in ein Zwischenkriegsland. Standen die Sammelabschiebungen aus München und Berlin im Frühjahr noch im Mittelpunkt des Medieninteresses, hat sich die Zahl der Abgeschobenen mittlerweile weitestgehend unbemerkt verdoppelt: 260 Kriegsflüchtlinge wurden inzwischen zwangsweise zurückgeführt.

Doch auch nach dem Zwischenfall von Jajce erfüllen die Flüchtlinge ihren von der Bundesregierung zugeteilten Zweck. Sie sind Manövriermasse im internationalen Geschacher um die Schaffung eines Einheitsstaates Bosnien-Herzegowina. Die Abschiebedrohung ist lediglich das innenpolitische Gegenstück zum außenpolitischen Drohszenario gestrichener Hilfsgelder, der Nicht-Anerkennung von Botschaftern und von NATO-Einsätzen gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher.