Good Cop, Bad Cop

Dem Chicano stand der Schweiß auf der Stirn. Er blutete aus einer Wunde an der Schläfe, seine Handgelenke schmerzten von den Fesseln, und sein Rücken fühlte sich an, als hätte er mit einem Bulldozer Bekanntschaft gemacht. Die Luft war schwer von seinen eigenen Ausdünstungen.

"Gib's zu, oder ich schlag dir die Fresse ein!"

Der Chicano konnte diesen Jerry nicht richtig erkennen. Seine Lider waren zugeschwollen und die Schreibtischlampe verursachte ihm Schmerzen in den Augen.

"Garc'a, hombre, es hat keinen Sinn, zu mauern", sagte ein anderer Bulle. Sein Spanisch war fast perfekt, nur ein leichter Akzent erinnerte daran, daß er seine Kindheit in Sarre Lewis verbracht hatte, irgendwo dort draußen im Südwesten.

"Un cigarillo?" Die Stimme des neuen Bullen - Jerry nannte ihn Oscar- wurde einschmeichelnd.

"Hombre, qué pasa? Denkst du, mir gefällt dieser Job? Scheiße, ich könnte mir jetzt auch was besseres vorstellen, als hier in dieser stinkigen oficina rumzuhängen. Ich mach' dir einen Vorschlag: Du sagst mir jetzt, wer den Stoff geliefert hat, und ich geh' uns enchiladas und cervezas holen."

Der Chicano mußte an die Küche seiner Mutter denken, an den p‡tio in Ensenada, als er wieder die Stimme Jerrys hörte:

"Überlaß' ihn mir, Oscar. Ich mach' ihn jetzt fertig."

Fans von US-amerikanischen Vorabendserien kennen das Spiel: In der Trivialliteratur arbeiten die Bullen im Team: Einer gibt den harten Kerl, der notfalls auch über Leichen geht, der andere lädt zur Identifikation ein, der eine macht Druck, der andere bietet die Möglichkeit, den Druck abzulassen.

Ob die Masche im wirklichen Leben zieht, sei dahingestellt, als medialer Trick funktioniert sie in jedem Fall. Was sich deutsche Couch Potatoes zwischen sechs und acht reinziehen, darauf wollen sie auch nach dem Gong der Tagesschau nicht verzichten. Nicht eins zu eins natürlich, schließlich sind wir nicht in Amerika. Ein bißchen deutschtümelndes Ambiente muß schon sein.

Der Auftritt, den Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder während der ersten August-Woche an der Saar boten, war - inklusive der vorausgegangenen Schröder-Äußerungen zur Inneren Sicherheit - eine sorgfältige Inszenierung, die auf kaum eine der klassischen Zutaten verzichtete. Beide Politiker sind Profis in solchen Auftritten, sie lieben die spektakuläre Geste, beherrschen aber auch die subtilen Untertöne.

Wenn Lafontaine im beiläufigen Ton plaudert, man sei sich über das gemeinsame Vorgehen bis zur Bundestagswahl einig, und zwar "bis in die Personalfragen", dann weiß er, daß ein Raunen durchs Sommerloch geht. Ob die beiden sich wirklich einig sind, wer von ihnen nun den Kanzlerkandidaten macht - man weiß es nicht. Man weiß aber nun zumindest, daß sie sich einig sind darin, daß die Spekulationen weitergehen sollen. Kein Wort fiel etwa zu Schröders Äußerungen in der Bild am Sonntag, die passagenweise aus dem Parteiprogramm der "Republikaner" abgeschrieben zu sein schienen. Will heißen: Man ist sich einig, daß Schröder weiter den bösen Bullen spielen soll, während Lafontaine fürs gute Gewissen sorgt.

Wer Sympathien und Antipathien zwischen den Beiden aufteilt, ist schon auf den Trick hereingefallen. Dem einen mag der gute Cop besser gefallen, dem anderen der böse. Verstehen kann man sie nur als Team.