Kapitalismus ist ein Geschäft!

Die PopKomm. fördert eine erstaunliche Erkenntnis zutage: Kritik ist eine Ware.

Kritik ist schick, Pop noch mehr, eigentlich gehört beides zusammen, vor allem wenn Europas Riesenmusikmesse Popkomm. ins Haus steht. Über 630 Aussteller und 15 000 Fachbesucher werden vom 14. bis 17. August in Köln sein. Keinen Grund zum Jammern, denkt man.

In der Branche sieht man das jedoch anders und beschwert sich, daß wohl in einigen Jahren das Internet die CD verdrängen könnte. Man zieht sich mit Music-on-demand-Systemen die Töne aus dem Netz heraus und amüsiert sich genauso beim Hören wie bisher. Der Urheberschutz sei nicht mehr gewährleistet; Einbußen seien auch durch Schwarzpressungen zu verzeichnen, klagte jüngst die Bundesvereinigung der deutschen Tonträgerindustrie. 1996 gab es ein Plus von 2,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Insgesamt belief sich der Umsatz auf 4,785 Milliarden Mark bei insgesamt 260,2 Millionen verkauften Tonträgern.

Laut Verbandsmitarbeiter Elmar Kruse müsse was getan werden, auch wenn die Lage "nicht unoptimistisch" sei. Rationalisierungsmaßnahmen seien ausgeschöpft. Nun setze man auf nontraditional outlets. Künftig sollen Tonträger verstärkt dort verkauft werden, wo sie bisher gar keiner erwartet hat. Kruse: "Bei McDonald's, in Drogerien und Tankstellen."

Daß es der Industrie an Phantasie fehle, läßt sich nun wirklich nicht behaupten. Überrascht erzählt ein Journalist, der seit Jahren die Pop-Branche analysiert, ein Zigarettenkonzern habe kürzlich einen besonderen House-Besuch in Hamburg veranstaltet. Eine Halle wurde gemietet, der Eintrittspreis lag im roten Bereich, die Bude war voll, das Publikum "schwer verarscht" - die klauen uns die Subkultur. Die Organisatoren hatten Fässer mit Kohlefeuern aufgestellt, ein paar Body-Builder ins HipHop-Outfit gesteckt und eine Ghetto-Atmosphäre kreiert.

Was das mit der Popkritik zu tun hat? Nun, jahrelang wurde die Leute von der Company kostenlos von allerlei Magazinen beraten, was denn nun die richtige Musik zur richtigen Zeit sei. Und daß - Freiheit der Kunst - der Underground, "anderes Musikmachen", der Fluchtweg aus dem Kapitalismus sei, als ob die Insassen der Gesellschaft an ihren Haftbedingungen vorbeiproduzieren könnten. Die Hipness-Botschaft wurde erhört. Deutschland ist einer der wichtigsten Märkte für Kulturprodukte aller Art, und die Kritik kommt nicht mehr hinterher. Beispiel Film: Weil US-Produktionen zu teuer sind, um akzeptable Einspielergebnisse allein im Land der Herkunft zu erzielen, schickt man Stars auch mal auf PR-Tour nach Europa. Die bürgerliche Kritik, einfallslos wie je, weiß das fachgerecht zu bewerten: "Filme machen ist immer noch und vielfach in erster Linie identisch mit Geschäfte machen." (EPD-Film 7/97)

Zu Hilfe - wenn das jetzt auch in der Musik greift! Da erkennen die subversiven Analysten, daß man ihre Ratschläge zwar befolgt hat, den Dank aber schuldig bleibt. Daß Pop sich mit dem Mythos Subversion besser verkauft, predigt man zum Beispiel seit Jahren im Magazin Spex. Und dort entdeckt man immer neu, daß es Kapitalismus gibt und die international operierenden Konzerne noch perfider sind, als man gemeinhin denkt. Habe es früher üble Majors gegeben, die die Independent-Firmen an die Wand quetschten, so daß die Trennung zwischen Gut und Böse leicht fiel, habe man jetzt die Firmen national territorialisiert, um besser auf die Hörerwünsche eingehen zu können, findet Jörg Heiser in der Titelgeschichte "Popstandort Deutschland" der Augustnummer heraus. Erfüllt man die Wünsche einer nationalistischen Hörerschaft - das hat man aus diversen linksradikalen Blättchen gelernt - reproduziert man eben nationalistische Standards. Und das sei gar nicht mal deutsches Zeugs, sondern Andrea Bocelli, dessen Label allerdings hierzulande ansässig sei. Dagegen helfe nur die Stärkung nationalen Subversiv-Unternehmertums, oder: "emanzipative Strukturen gegen normale Industrieverhältnisse". Der Antinationalismus als Mittelstandsförderung.

Mit anderen Worten: Der Standortfrage der "Kulturindustrie" folgt die Standortantwort jener, die partout dagegen dafür sein wollen. Kostprobe: Der englische Besitzer des Labels Virgin, der Milliardär Richard Branson, habe provokanterweise die deutsche Sektion seiner Firma "V2" genannt; und dort marktkompatibel produziert. Und anschließend den Kram für ein Heidengeld verkauft. "Während Branson im Hintergrund die Kohle klarmacht, indem er zum Beispiel 33 Prozent seiner V2-Anteile schon jetzt für umgerechnet 127,3 Millionen Mark an die kanadische Firmengruppe The McCarthy Corporation verscheuert, treten seine dezentral überall eröffneten Büros zurückhaltend wie ein mittelgroßer Indie auf" - der Raffke Branson verkauft den Deutschen ihren eigenen Nationalismus per Indie-Ideologie und verdient sich auch noch dumm und dämlich! Der Kapitalismus - ein einziges großes Geschäft. Die Deutschquoten-Verteidiger Heinz-Rudolf Kunze und Ole Seelenmeyer seien da nur unappetitliche Brocken. Zu den möchte man freilich nicht gehören, aber doch nach freien Stücken unappetitlich sein dürfen.

Das ist ja furchtbar, denkt man sich, aber bei Musikzeitungen macht man nicht direkt Politik. Das größere Problem ist: Wie trotzdem subversiv bleiben, hören, produzieren? Denn wenn man darauf beharrt, daß die Subversion vor allem in der Arbeit deutscher Musikgruppen liegt, läßt man sich den Spaß ungern aus der Hand nehmen. Man überlege: Auch Bosch war sicher mal "Indie". Da rezensiert man sich an wichtigen Platten einen Wolf und dann sowas. "Daß man dabei immer noch Gefahr läuft, einen Service für Talentscouts der Industrie anzubieten, ist ein Problem, mit dem sich noch jede Musikzeitung auseinanderzusetzen hat", heißt es im Editorial. "Die Alternative wäre, gar nicht mehr über Dinge zu schreiben die um die Ecke, in direkter Nachbarschaft geschehen. Das aber hat die Musik und die von ihr repräsentierte Kultur erst recht nicht verdient. Der Rest wäre Schweigen."

Warum nicht? So ganz findet man sich auch als Popkritiker in der kompliziert gewordenen Welt nicht mehr zurecht. Es soll sogar Zeitungen geben, die sich explizit nach Pop-Stilen benennen und dann steht alles Mögliche drin. Wer von der Politik wegstrebt hin zur reinen Beschäftigung mit Marktexponaten, dem ist erstens die Biederkeit linksradikaler Kulturkritik auf die Nerven gegangen - die sich in der Tat zuweilen darauf beschränkt, zu denunzieren, dieser oder jene sei ein Ausbund der Häßlichkeit, Raver alles Faschisten und die Degenhardts die einzigen Musikanten. Zweitens möchte er so etwas wie Produkte ohne Produktionsbedingungen. Wenn sich im Vorfeld der Kölner Musikmesse Popverteiler wie Dieter Gorny vom Musiksender Viva über die Ausweitung deutschen Liedguts freuen, ist das Ausdruck der allgemeinen Standort-Euphorie. Globalisierung hin oder her, der Nationalstaat muß kein unnützes Mittel sein, im Gegenteil. Unterscheiden sich Tonträger so von anderen Produkten? Dumm wird es dann, wenn man der Nationalisierung das Wort geredet hat. Spex: "Als wir uns vor vier Jahren an eine ÝGerman IssueÜ machten, erschien die Lage relativ idyllisch." Man habe von einem immensen "wirtschaftlichen und kulturellen Loch" sprechen können, "ohne sich lächerlich zu machen".

Es geht um die Marktnische und einen eigenen Stand auf der PopKomm. Und Veranstaltungen gemeinsam mit dem Label City Slang, wo die Musik sicher nach korrekten Regeln entsteht? Nur mit den Marlboro-Zigaretten möchte man partout nicht in einen Aschenbecher. Ein harter Job, so eine Popmesse. "Seit 1989 treffen sich jährlich alle Leute, die in der Musikbranche voll wichtig sind, oder meinen, wichtig zu sein. Bei der PopKomm. wird in unzähligen Gesprächen und Diskussionsforen versucht, der Musikbranche Impulse für die Zukunft zu geben. Dabei wird sich an manchen Ständen so oft zugeprostet, daß die Kommunikationsfähigkeit proportional zur konsumierten Alkoholmenge abnimmt. Doch das ist die Ausnahme. Denn es wird einem ohnehin schon schwer genug gemacht, einen Messetag durchzustehen. Weil man eben in erster Linie steht" (die Techno-Zeitschrift Raveline).

So mag man zu der Erkenntnis gelangen, daß man nur subversiv genug musizieren müsse, damit die Welt in Ordnung komme, vor allem, wenn man große Geschichten in Pop-Zeitungen bringt, wie böse die Majors die deutschen Independents aufsaugen, um dann auf mindestens zehn Seiten die neuesten Hypes in den Grenzen Deutschlands anzupreisen, die bei Spex in dieser Ausgabe bis Wien reichen. Subversiv vielleicht in "linken genossenschaftlichen Strukturen", denn "welches Kraut" sei denn "sonst gegen die zunehmend national und differenzkapitalistisch organisierte Kulturindustrie gewachsen", fragt Jörg Heiser.

Nicht viel, mag man sich trösten. Der ganze Laden ist total versaut. Daß der Kapitalismus auch gleich immer seine eigene Kritik mitverkauft - auch die ehemalige Zugehörigkeit zur RAF muß keine schlechte Einstellungsvoraussetzung sein -, das hat bisher niemand so schön gesagt wie Dietmar Koschmieder, Geschäftsführer der jungen Welt, in der die Popkritik heftigst wegen Vernebelung der eigenen Nischenstrategie kritisiert wurde. Der Linksradikalismus dieser Tageszeitung diene zuoberst dem ökonomischen Überleben, indem er deren Nische auf dem Markt sichere. Sieh an: Auch die linksradikalen Blätter schöpfen letztlich nur Mehrwerte ab.

Das alles mag eine Katastrophe sein. Solange man sich die Welt nicht ohne Kapitalismus vorstellen kann. Oder nicht ohne die nächste Platte, die es jetzt wirklich ernst meint. Am liebsten produziert in der Nachbarschaft. Alle Räder stehen still, wenn dein starker Tonarm es will.