Persilschein für Totschläger

Der Tod des Magdeburger Punks Frank Böttcher taucht in der Statistik rechtsextremistischer Straftaten nicht auf. Innenministerium: Täter ist kein Nazi
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Für den PDS-Landtagsabgeordneten Matthias Gärtner ist es Routine. In regelmäßigen Abständen stellt er parlamentarische Anfragen an die Landesregierung von Sachsen-Anhalt, um die neuesten Zahlen rechtsextremistischer Straftaten zu erfahren. Große Überraschungen sind dabei selten. Als Gärtner aber nun, gerade aus dem Sommerurlaub zurückgekehrt, die Antwort von Innenminister Manfred Püchel auf seinem Schreibtisch fand, staunte er nicht schlecht. Laut Statistik des Innenministeriums gab es im ersten Halbjahr 1997 im Bereich der Polizeidirektion Magdeburg kein Tötungsdelikt mit rechtsextremistischem Hintergrund. Und das, obwohl ganz Magdeburg über Wochen in heller Aufregung war, nachdem am 8. Februar dieses Jahres ein bekennender Naziskin dem jungen Punker Frank Böttcher an einer Straßenbahnhaltestelle vor einem Krankenhaus im Neubaugebiet Neu-Olvenstedt aufgelauert war, ihn niedergestochen und totgetreten hatte. Demonstrationen, Randale, Mahnwachen waren die Reaktionen auf das Verbrechen.

Von Anfang an hatten die Ermittler versucht, eine politische Motivation der Tat zu leugnen. Die Polizei nannte auch einen Streit unter Linken oder Raubmord als mögliche Tatmotive. "Klamottenruppen", also der Raub von Schuhen und Jacken, sei unter Jugendlichen geradezu ein Freizeitsport, äußerte damals ein Polizeisprecher gegenüber der Presse. Dabei fehlten dem Opfer weder Schuhe noch Jacke. Vielmehr hatte er kurz vor dem Überfall im Krankenhaus Olvenstedt, wo er eine kleine Wunde behandeln ließ, den Krankenschwestern erzählt, daß er bereits auf dem Hinweg zur Klinik "von Glatzen angepöbelt" worden sei. Der Bezirk Neu-Olvenstedt gilt als Hochburg der Neonazi-Szene. Zudem gab es Hinweise, daß, nachdem ein paar Tage zuvor ein Naziskin von Punks in einer Straßenbahn angegriffen worden war, die Skinheads auf Rache drängten. In derselben Nacht, in der Frank Böttcher starb, sollen Neonazis an verschiedenen Straßenbahnhaltestellen Punks aufgelauert haben.

Matthias Gärtner hegt daher auch Zweifel an der Einzeltäterthese. Kurz nach der Tat, um vier Uhr in der Nacht, stiegen keine zweihundert Meter weiter an einer Tankstelle drei Naziskins mit rechtsextremen Aufnähern auf ihren Bomberjacken in ein Taxi. Eine Spur, die von den Ermittlern nicht weiter verfolgt wurde. Daß es sich bei Marcus J., dem Täter, um einen Rechtsextremisten handelt, bedarf keiner Interpretation. Er selbst erklärte das während des Prozesses, in dem er wegen Totschlags zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Zudem hatten auch die Fahnder bekannt gegeben, daß der entscheidende Tip, der zur Verhaftung von J. führte, aus der Skinheadszene gekommen war.

Für das Innenministerium in Magdeburg ist das alles dennoch kein Grund, die Statistik der rechtsextremistischen Straftaten mit einer Eintragung unter der Rubrik Tötungsdelikte zu versehen. Marcus J. habe zwar zur rechtsextremistischen Szene dazugehören wollen, sei aber "nicht in der Naziszene verankert" gewesen, erklärte Ministeriumssprecher Matthias Schuppe gegenüber Jungle World. J. sei bei der Tat schwer alkoholisiert und früher in psychischer Behandlung gewesen. Selbst wenn er rechtsextrem orientiert sei, könne bei der Tat selbst ein rechtsextremer Hintergrund "nicht eindeutig" festgestellt werden. Das habe auch der Prozeß gezeigt.

In dem Prozeß hatte J. als Tatmotiv angegeben, er habe sich von der "äußeren Erscheinung" des Punks "provoziert gefühlt". Ein Rechter, der in einem von rechten dominierten Bezirk keine linke Zecke dulden wollte und deshalb zum Messer griff. Für Schuppe kein Grund von rechtsextremer Gewalt zu reden: Rechtsextremismus sei klar definiert als "Bestrebung zur Systembeseitigung mit rassistischer und nationalistischer Motivation". So gesehen ist auch der Versuch Diesners, den PDS-Buchhändler in Berlin-Marzahn zu ermorden, kein rechtsextremes Verbrechen.

Für Matthias Gärtner stellt der Fall eine "Verharmlosung" von seiten der Landesregierung dar. PDS-Fraktionschefin Petra Sitte wirft der rotgrünen Regierung vor, "beschönigte beziehungsweise verfälschte Angaben zu rechtsextremer Gewalt im Land Sachsen-Anhalt" zu verbreiten. Gärtner will nach der Sommerpause die Angelegenheit im Parlament zur Sprache bringen. Für ihn ist das Innenministerium vor allem auf dem rechten Auge blind. Im April 1996 griffen in Wittenberg 15 bis 20 Nazis eine Gruppe von Linken an. Der Antifaschist Daniel S. verletzte in Notwehr einen angreifenden Skinhead schwer. S. wurde freigesprochen, weil auch das Gericht von Notwehr ausging. Trotzdem wurde der Fall im Verfassungsschutzbericht unter der Rubrik "Linksextremistische Straftaten - Tötungsdelikte" aufgeführt.