Urteile im Viertelstundentakt

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen weiß nichts von Verfolgung in der Republik Kongo und verfügt doch über beste Verbindungen zum dortigen Geheimdienst

"Der Kopf wurde ausgetauscht. Doch die Gestalt ist geblieben." Mit diesen Worten faßt Félix M. die politische Lage in der Demokratischen Republik Kongo zusammen, dem ehemaligen Zaire. Nach seiner Einschätzung besteht kaum ein Unterschied zwischen dem 30jährigen Terrorregime von Mobutu Sese Seko und dem Regiment des neuen Präsidenten Laurent Désiré Kabila.

Zum Beweis legt er einen Stapel Zeitungen auf den Tisch. Es sind in den letzten Wochen erschienene Ausgaben verschiedener Blätter aus der Hauptstadt Kinshasa. Die Titelzeile von Le Potential lautet: "Märsche im Blut ertränkt" und bezieht sich auf die Vorfälle vom 25. Juli, als ein von der PALU, der Partei der vereinigten Lumumbisten, organisierter Protestzug mit Waffengewalt beendet wurde. Im Innenteil findet sich neben dem Appell verschiedener Frauenorganisationen an die "Autoritäten des Landes", die fortwährende Gewalt im Lande zu stoppen, der Bericht der Kongolesischen Liga der Menschenrechte. Dokumentiert werden Plünderungen, willkürliche Verhaftungen und Angriffe der Regierungstruppen und sonstiger "Männer in Uniform" auf die Zivilbevölkerung. "Vier Tote, zahlreiche Schwerverletzte und verschiedene Verhaftungen", zieht Le Palmarès die Bilanz der Demonstration vom 25. Juli. Es schließt sich eine Namensliste von über 50 Personen an, die an unbekannten Orten und ohne offizielle Begründung inhaftiert wurden. Le Soft erwähnt diese Ereignisse nur am Rande und wirft als entscheidende Fragestellung auf: "Welchen Weg nimmt der ÝdemokratischeÜ Kongo unter Laurent-Désiré Kabila? Wer regiert das Land tatsächlich seit dem 17. Mai 1997?"

Félix M. und seine Mitstreiter in der deutschen Exilorganisation der UDPS, der Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt - heute wie unter Mobutu die größte Oppositionspartei im Lande -, können es nicht mit Sicherheit sagen. Doch sie wissen von Flüchtlingen, die wie sie erklärte Mobutu-Gegner waren, in den vergangenen Monaten in ihre Heimat zurückkehrten und nun tot oder verschwunden sind. Sie wissen von Massakern und gezielten politischen Morden vor allem im unwegsamen Ostteil des Landes. Und anders als die Riege der internationalen Beobachter haben sie Erfahrung mit dem, was sie "afrikanische Verhältnisse" nennen: Einerseits würden sie mit Freuden nach Hause gehen, die Abstellkammern in den Asylunterkünften verlassen und sich am Aufbau ihres Landes beteiligen, anstatt für ein paar Pfennige verdreckte Toiletten zu schrubben. Andererseits jedoch stimmt die Mehrzahl mit Tamako B. überein, der sagt: "Wer mit dem Leben spielt, wird bestraft."

Eine Maxime, an der sich deutsche Verwaltungsgerichte noch nie orientiert haben. Im Gegenteil: Die Gerichte, die für die Klagen abgelehnter Asylbewerber zuständig sind, befinden in Deutschland in aller Regel, daß die Entscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung politischer Flüchtlinge ihre Richtigkeit haben. Durch besondere Nähe zu der Zirndorfer Behörde glänzte stets das Verwaltungsgericht im nordrhein-westfälischen Gelsenkirchen. Überdurchschnittlich häufig, fast schon systematisch, werden hier Asylbegehren zurückgewiesen, was schon im vergangenen Jahr zu einer Demonstration von Flüchtlingen aus C(tm)te d'Ivoire führte.

Die Grünen im Düsseldorfer Landtag bereiten derzeit eine Anfrage vor, die sich mit der momentanen Praxis des Gelsenkirchner Gerichts befaßt, reihenweise Anträge von zairischen Flüchtlingen aus der Schublade zu ziehen und so kurzfristig zu terminieren, daß häufig nicht einmal die Anwältinnen und Anwälte der Betroffenen an den Verhandlungen teilnehmen können. "Das geht im Viertelstundentakt", beschreibt ein Beobachter der Prozesse seinen Eindruck, "und dabei kommt eine Zurückweisung nach der anderen heraus."

Vor sechs Wochen hatte das Bundesinnenministerium den Abschiebestopp wieder aufgehoben, den es während des offenen Bürgerkriegs in Zaire kurzfristig ausgesprochen hatte. Die Kanther-Behörde bezog sich auf eine Stellungnahme aus dem Auswärtigen Amt und verfügte: "Abschiebungen können danach grundsätzlich wieder aufgenommen werden." Allerdings regte selbst das Bundesinnenministerium an, sich zuvor eine gesonderte Stellungnahme bei den Experten im Außenamt einzuholen, da sich "die allgemeine Sicherheitslage in Kinshasa" zwar stabilisiert habe, auf jeden Fall aber "Führungspersönlichkeiten des früheren Mobutu-Regimes" mit Verfolgung zu rechnen hätten. Und schließlich heißt es: "Wie weit aber der Kreis der Gefährdeten zu ziehen ist, kann gegenwärtig nicht eingeschätzt werden."

Woher nehmen die Richterinnen und Richter am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen ihre vorgebliche Sicherheit, daß Mitgliedern oppositioneller Parteien in der heutigen Republik Kongo keine Verfolgung droht? Ein Blick in die Urteilsbegründungen macht es deutlich: Erstens lesen sie keine afrikanischen Zeitungen, sondern bevorzugen die Frankfurter Allgemeine. Und zweitens gehen sie davon aus, daß insbesondere Angehörige der UDPS, "die sich nur exilpolitisch betätigen", keine Repressalien zu befürchten haben. Zumal es "äußerst fraglich" sei, "ob die gegenwärtige Regierung unter Kabila angesichts der noch angespannten Lage vor Ort überhaupt personell und finanziell in der Lage ist, die exilpolitischen Gruppen zu beobachten". Das klingt fast so, als ob den Gelsenkirchner Richtern nicht bekannt wäre, daß ihr Dolmetscher Robert Mukendi ein Schwager von Tshambuyi Kalala ist, dem persönlichen Berater Kabilas in Fragen der Inneren Sicherheit.