14.08.1997
Joscha Schmierer

War Pol Pot ein Kommunist?

Die Roten Khmer waren eine historische Konsequenz des Kommunismus.

Sie waren Ende 1979 mit einer Delegation des ZK des KBW zu Besuch in Pol Pots Kampuchea. Warum haben Sie nicht bemerkt, daß dort Terror herrschte?

Weil man's nicht sehen konnte. Das Land machte keinen militarisierten Eindruck, man sah wenig Soldaten, und die wenigen machten einen zivilen Eindruck.

Aber die Städte waren doch ausgestorben?

In jener Zeit begann schon die Rücksiedelung. Außerdem standen wir noch unter dem Eindruck der Propaganda der Roten Khmer, die behauptet hatten, Phnom Penh habe nach ihrem Sieg evakuiert werden müssen, um eine Hungersnot zu vermeiden.

In der aktuellen Ausgabe der Kommune schlagen Sie Pol Pot vor, wie er sein System hätte besser machen können. Was soll die kumpelhafte Manöverkritik an die Adresse eines Massenmörders?

So war das nicht gemeint. Ich versuche herauszuarbeiten, wie die vernichterische Mechanik des Systems der Roten Khmer sich in Gang gesetzt hat. Da ich das Regime seinerzeit unterstützt habe, muß ich mich nun auch darum bemühen zu verstehen, was vor sich gegangen ist.

Eine Alternative wäre Ihrer Ansicht nach gewesen, daß sich Pol Pot nach dem Sieg 1975 mit Prinz Sihanouk arrangiert und eine konstitutionelle Monarchie toleriert hätte. Aber das war doch die Strategie, mit der Pol Pot den Krieg geführt hatte.

Aber von der war er 1975 abgegangen!

War dieses national-autarke Volksfrontkonzept nicht gerade die logische Grundlage einer radikaleren Variante nach dem "Sieg im Volkskrieg"?

Grundlage war der Rausch des Sieges. Der hat dazu geführt, daß der Weg des Ausgleichs, den die Roten Khmer noch in der Kriegszeit vertreten haben, verlassen wurde.

Ist das Pol-Pot-Regime ein Ergebnis des Kommunismus?

Ja, wenn man es in der historischen Konsequenz sieht - nein, wenn man die ideelle Substanz des Kommunismus nimmt. Aber die historischen Beispiele von Rußland über Vietnam und China liegen alle in einer Linie, die bei Pol Pot endet. Überall vermischten sich im siegreichen Kommunismus imperiale Restauration und kommunistische Utopien.

Gegenthese: Pol Pot ist nicht Ergebnis des kommunistischen, sondern des völkischen Denkens.

Es liegt wohl eine Mischung aus beidem vor, so wie es auch im Namen "Rote Khmer" zum Ausdruck kommt, der sich durchaus auf die mythischen Traditionen des Khmer-Reiches bezieht. Kein Wunder, daß das Pol-Pot-Regime sich unerbittlich gegen die echten oder vermeintlichen Fremdstämmigen richtete - die Schicht der chinesischen Händler, gegen vietnamesische Arbeiter und Kleinhändler, gegen wohlhabende Bauern und Handwerker der muslimischen Cham.

Pol Pot mußte sich gegen die Kommunisten durchsetzen - seine ersten Opfer waren auch dissidente Strömungen in der eigenen Partei.

Nicht anders als bei Stalin.

Deshalb muß man doch sagen, Stalin und Pol Pot sind keine Ergebnisse des Kommunismus, vielmehr errichteten sie ihre Regime auf den Gebeinen der toten Kommunisten.

Einverstanden, vermutlich hätte das kommunistische Element für sich genommen keine Massenmorde zur Folge gehabt. Aber man kann die tödliche Mischung aus Völkisch-Imperialem und Kommunistischem auch nicht fein säuberlich trennen, wie Sie das versuchen. In allen kommunistischen Bewegungen der Geschichte liegen beide Elemente vor, und zwar in Form eines Widerspruchsverhältnisses, das teilweise blutig ausgetragen wurde.

Ehemalige K-Gruppen-Führer wie Sie haben mit dem Kommunismus abgerechnet, nicht aber mit dem völkischen Denken.

Damit können Sie mich nicht meinen.

Sie haben sich in ihrem jüngsten Buch zwar pro-europäisch artikuliert - gleichzeitig waren die Kommune und die vom ehemaligen KPD/AO-Chef Christian Semler geführten taz-Seiten in den letzten Jahren eine Bastion des kroatischen Nationalismus.

Ich kann nur für mich sprechen Das Völkische interessiert mich nur als Gegner. Zu Kroatien und anderen Staaten des früheren Jugoslawien: Völkisches und Demokratisches hat sich dort in der nationalen Bewegung gemischt. Sicherlich hat sich das Völkische durchgesetzt. Das darf nicht heißen, die demokratische Dimension des nationalen Aufbruchs zu negieren - von dieser Prämisse sind wir ausgegangen.

Der Einmarsch Vietnams hat dem Terror Pol Pots 1979 ein Ende gesetzt - ein zivilisatorischer Fortschritt. Der KBW und andere K-Gruppen haben das nicht so gesehen.

Das sehe ich auch heute noch nicht so. Es war doch ein Hegemonialkonflikt: Vietnam ist nicht einmarschiert, um das Morden zu beenden, sondern um seine Stellung als regionale Gr0ßmacht zu festigen und auszubauen.

Selbst wenn: Millionen Menschen wurden durch Vietnam gerettet, während der Westen den gestürzten Pol Pot dann erst recht unterstützte.

Ein Staat kann sich nicht aus eigenem Recht zum Retter der Bevölkerung eines anderen Staates aufwerfen. Im übrigen hat das "sozialistische Vietnam" die gleiche völkisch-imperiale Seite wie sie das "Demokratische Kampuchea" hatte.

Joscha Schmierer war von 1973 bis zu dessen Ende im Zentralkomitee des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW), heute ist er Redakteur der Zeitschrift Kommune