Welche Staatsflagge für Bosnien?

Die Mission des US-Vermittlers Holbrooke zur Sicherung von "Demokratie und Frieden" in Bosnien-Herzegovina wurde flugs zum Erfolg. Er erzielte Einigungen bei der Besetzung von Botschafterposten, bei dem Aufbau von Telefonsystemen und der Einrichtung eines Militärrats. Carlos Westendorp erblaßte vor Neid: Was der Amerikaner in zwei Tagen zustandebrachte, davon wagte der europäische Vermittler in zwei Monaten nur zu träumen. Es zeigt sich, wer das Zepter in der Hand hat: Die Regierung in Washington ist Verfasserin des Daytoner "Friedensvertrages" und organisierte schon zuvor mit militärischer Unterstützung der muslimischen und kroatischen Armeen den Kriegsverlauf. Sie stellt nun auch sicher, daß die westliche Außenpolitik implementiert wird. Dazu gehört es, störende Westeuropäer in ihre Schranken zu verweisen. Der Spanier Westendorp hatte es kürzlich gewagt, EU-Partnern das Einfrieren diplomatischer Beziehungen mit Bosnien zu empfehlen, weil in Sachen Botschafterposten niemand in Sarajevo nach seinen Urlaubsplänen anzutreten bereit war. Auch kritisierte er die Vertreibung von muslimischen Zivilisten durch Kroaten in Jaice. Das alles paßte nicht zur seit dem Amtsantritt von Albright eingeschlagenen verschärften US-Linie gegen die bosnischen Serben. Holbrooke brauchte ganze 24 Stunden, um das Bild wieder geradezurücken.

Ob Holbrooke oder Westendorp: Die Entwicklungen vor Ort mit Begriffen wie Demokratisierung und Befriedung zu umschreiben, ist hanebüchen. Demokratie zeichnet(e) sich dadurch aus, daß die Bevölkerung eines Landes am politischen Entscheidungsprozeß beteiligt wird; Frieden dadurch, daß auf Grundlage eines errungenen Konsenses in der Gesellschaft Konflikte beigelegt werden. Von beiden Elementen fehlt dank jahrelanger Intervention von außen in der großen Politik auf dem Balkan jede Spur. Das ist der Grund dafür, daß Spannungen das dortige Geschehen nach wie vor dominieren,

Dayton entmündigte alle Beteiligten und diktiert, wie Muslime, Kroaten und Serben ihr Leben zu gestalten haben. Nicht einmal ihre Kandidaten für Wahlen durften sich die Leute selbst aussuchen, geschweige denn wählen. Für alles gibt es Aufpasser und zur Not die bis an die Zähne bewaffneten SFOR-Soldaten und SAS-Einheiten.

Diese arrogante Art westlicher Außenpolitik gilt heute leider als Glücksfall auf Erden. Kein Wunder, daß man gerne Vermittler nach Bosnien schickt, um die Überlegenheit gegenüber den anscheinend unzurechnungsfähigen balkanesischen Spitzbuben zu demonstrieren, wo sich doch zu Hause immer seltener Gelegenheit bietet, Entschlossenheit zu zeigen (Hochwasser und heroische Bundeswehreinsätze auf Deichen gibt es ja nicht alle Tage).

Bei der Frage nach einer Staatsflagge für Bosnien-Herzegovina konnte Holbrooke keine Einigung erzielen. Warum nicht gleich eine Mischung aus US- und EU-Symbolen? Über die genaue Gestaltung sollten Holbrooke und Westendorp streiten, am besten in Dayton. Eine Delegation aus Muslimen, Kroaten und Serben könnte bei der Vermittlung vielleicht behilflich sein.

Unser Autor beobachtet seit Jahren die Verhältnisse in Ex-Jugoslawien. Sein Interview mit Radowan Karadzic (SZ-Magazin, 8. August) sorgte in der letzten Woche international für Aufsehen.