Euch Uwe klaut

Uwe Seelers Aufstieg vom Biedermann zum Manager

Sie nannten ihn "das Idol". Uwe Seeler war die fleischgewordene Unfehlbarkeit, Vorbild für eine vom schnöden Mammon verdorbene Fußballjugend. Seine Geschichte klingt wie ein Rührstück aus längst vergangenen Zeiten, in der die großen Fußballstars sich noch aus Spaß, Idealismus oder Patriotismus auf dem Platz quälten.

Sein erstes Länderspiel bestritt er als 17jähriger im Weltmeisterjahr 1954. Spätestens 1960 war er ganz oben: Der Spiegel widmete ihm einen Titel ("Gold im Stiefel") und feierte seinen Fallrückzieher gegen Westfalia Herne als "Tor des Jahrhunderts". Als "der harte Kicker mit den weichen Zügen" und als "Fußballphänomen" bewunderte ihn Bild.

Reich geworden ist damals in der BRD mit dem Fußball keiner, auch nicht ganz oben, allenfalls unten in Italien. Anfang der sechziger Jahre lockte Inter Mailand Uns Uwe mit einem Millionenangebot, doch das Idol zog es vor, bei seinem HSV in der Oberliga Nord für460 Mark im Monat zu kicken - eine Summe, die heute ein Ersatzspieler als Strafe für einen Beinschuß im Training zahlt. Für diese Bodenständigkeit, für die man ihn heute zum Psychiater schicken würde, galt Uwe Seeler fortan als "Ikone der Anständigkeit" (Spiegel).

ÚBis er Präsident des HSV wurde. Das Idol der Sechziger fand sich plötzlich im Fußballzirkus der Neunziger wieder, der mit Uns Uwes großen Zeiten als Stürmer nicht mehr gemein hat als ein Flohzirkus mit Hollywood. Das konnte nicht gut gehen. Uwes "Mäuschen", wie er seine Frau gerne nennt, hatte dies gewußt und ihn gewarnt.

Statt Köpfchen sollte nun Sitzfleisch zum Markenzeichen des ehemaligen Kopfballspezialisten werden, statt an den souveränen Kaiser aus München, der ihm zum Präsidentenamt geraten hatte, errinert Uns Uwe mehr an den dicken Kanzler aus Oggersheim. Als die Staatsanwaltschaft begann, gegen Seelers besten Freund Jürgen Engel wegen Veruntreuung einer Million Mark aus dubiosen Ost-Immobiliengeschäften des HSV zu ermitteln, war kaum mehr als eine halbherzige Rücktrittsdrohung Seelers zu hören; ebensowenig, als dem ehemaligen Bausenator Lange vorgeworfen wurde, mit Hilfe seiner HSV-Connection seiner ehemaligen Firma den gigantischen Arena-Auftrag über eine halbe Milliarde zugeschanzt zu haben. Dabei hatte Seeler sein Schicksal an Lange und Engel geknüpft und Vorstandsposten für diese Herren zur Bedingung für seine Präsidentschaft gemacht.

Doch nicht nur Insider wissen längst, daß nicht Uwe Seeler sich für das Präsidentenamt aufgedrängt hat, sondern daß unter anderem Engel und Lange ihn gedrängt hatten, daß er als "Galionsfigur benutzt" wurde, wie Ex-Manager Günter Netzer glaubt. Die Drängler sind Ende Mai zurückgetreten, der Gedrängte ist geblieben und sitzt nun wieder etwas fester im Sattel. Doch er ist kein Idol und erst recht keine Ikone mehr.

In einer Position, in der man sich nicht mehr um die Geschäfte bemühen muß, sondern sich diese aufdrängen, fragt man sich halt - die Trivialethik von Tagesschausprechern im Hinterkopf - , ob man ehrlich und dumm oder ob man nicht ganz so dumm und reich sein möchte. Seeler ist eine ehrliche Haut, daran gibt es keinen Zweifel. Nur läßt auch eine ehrliche Haut mal Fünfe gerade sein, zum Beispiel wenn eine Firma hohe Hallenmieten an den Vereinspräsidenten zu zahlen bereit ist und dafür vielleicht ein paar Geschäfte mit dem Verein machen will. Nur: Uwe ist als Präsi jetzt keiner mehr von "uns da unten" gegen "die da oben".

Ein Transparent der St.Pauli-Fans beim Hamburger Derby im März machte dies deutlich: "Euch Uwe klaut". Viele klauen, Politiker fliegen auf Staatskosten in der Welt herum, Tennisstars und ihre Eltern bescheißen das Finanzamt, doch hier sitzt der Schock tiefer. Seeler hatte die Illusion verkörpert, es gäbe noch Ehrlichkeit in dieser Welt. Doch Seelers Aufstieg vom Biedermann zum Manager in einer Welt der V.I.P.s hat seine Spuren hinterlassen. Man hat ihm ein Charisma angedichtet, das er nie hatte, er war nie mehr als ein Tölpel auf dem glatten Parkett der Hochfinanz. Nicht jeder, der mit dem Hinterkopf Lederbälle trifft, trifft auch die richtigen Entscheidungen als Vereinspräsident, nicht jeder Stürmer, der den besten Abwehrspielern der Welt gewachsen war, ist der Aufgabe der Führung eines Profivereins der neunziger Jahre gewachsen. Nicht der Kaiser, aber sein Freund Uns Uwe war im Sinne des Märchens von des Kaisers neuen Kleidern von Anfang an nackt, doch niemand hat es ihm gesagt, außer seiner Ilka - und auf die hat er nicht gehört, was er inzwischen bereut. Tapsig bewegt sich der Familienmensch Seeler in einer fremden Welt, und alle tun so, als sei dies normal.

Normal wollte Uwe Seeler immer sein. Wenn er die Normalität beschwört, verstanden als kleinbürgerliche Bodenständigkeit, klingt dies wie das Pfeifen im Walde: "Wir kommen aus einfachen, normalen Verhältnissen. Mißgunst und Neid haben wir nie kennengelernt, Unehrlichkeit schon gar nicht, sondern vor allem Fleiß. Ich glaube, das sind Tugenden, die einem auch gut tun, wenn es einem besser geht. Dann fängt man nicht an, verrückt zu werden." Ein wahrhaftiges Bekenntnis, das dem Träger des Bundesverdienstkreuzes Ehre macht, dem Ehrenspielführer der Nationalmannschaft auch noch, das als Glaubensbekenntnis überm Sofa eines jeden Spießers hängen könnte. Was aber hat ein solcher Mensch an der Spitze eines Unternehmens zu suchen?

Seelers Monolog über die Normalität stammt aus der vorpräsidialen Ära. Inzwischen hat er dazugelernt und dazuverdient. Mit Werbegeldern zum Beispiel, und mit Hallenmieten. Er ist zwar nicht unehrlich, aber dumm im Sinne des philosophierenden Tagesschausprechers ist er auch nicht. Seeler ist kein Idol und erst recht keine "Ikone der Anständigkeit" (Spiegel) mehr. Er ist in der Welt von heute angekommen. Um die Jahrtausendwende wird das Idol Vorstandsvorsitzender einer Aktiengesellschaft sein, der HSV-AG. Willkommen im Club.