Sitting Block

Das Castor-Bilderbuch - Wie sich Gewaltfreie und Autonome in eine Bewegung zappen

Die Fronten sind klar. Die einen lächeln noch, wenn ihnen Knüppel und Wasser um die Ohren fliegen. Die anderern sind erbost, weil ihnen das lächelnde Sitzen Abwiegelei ist. Gewaltfreie und Autonome gehen in ihren Publikationen oder Veranstaltungen aufeinander los wie Kinder, die um ein Spielzeug streiten, so, als sei die Verhinderung des Atommüll-Transports im März einzig an den Aktionen der jeweils anderen gescheitert. "Und genau die fatalen Zwischentöne, aus denen das Leben und auch die gute Literatur immer bestehen, die will der Kitschkonsument ja gerade nicht. Er will klare Verhältnisse, und er will wissen, wer da in seiner Lektüre die Guten und die Bösen sind." Was die in Lüchow-Dannenberg lebende Journalistin Christa Tornow über den Kitsch schreibt, beschreibt auch die Haltung der Kontrahenten im Streit um die Bilder vom Castor-Transport.

"Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg", hat die Redaktion einer lokalen Veranstaltungszeitschrift im März ein Interview mit Katja Tempel und Jochen Stay eingeleitet. Und den zelebrieren dann die beiden Organisatoren der Großsitzblockade "X-tausendmal quer" ausgiebig. Selbstkritisch angemerkt wird in diesem Gespräch allenfalls, daß das Konzept den "Nachteil, daß es zu keiner spontanen Aktion kommen konnte", gehabt habe, oder daß "wir da auch versäumt haben, konkret im Landkreis für unsere Idee zu werben". Abgesehen von derlei taktischen Details und der Politzei, die sich, welch' Überraschung, nicht an die Spielregeln hielt, war das feeling alright: die "X-tausendmal quer"-Teilnehmer konnten "sich sicher fühlen, weil da so viele Leute "eng an eng" saßen mit der Absicht, keine Steine zu schmeißen. Kurzum: "Für viele war's eine große Erfahrung", und Leute, die andere Formen von Selbsterfahrung wollten als Sitzen, konnten ja woanders hingehen.

So entstanden Bilder von ungeheurer Ausstrahlung. Erst ganz am Schluß dieses Interviews wird eher beiläufig das Interesse daran als zentrales Motiv der Organisatoren greifbar gemacht: Es ging darum, "diese brutalen Bilder vom letzten Jahr abzulösen, um ihnen etwas entgegenzusetzen, um zu zeigen, daß es auch anders geht". "Letztesmal", das waren die Bilder, die jeglichen Polizeieinsatz rechtfertigen", sagt Katja Tempel. Diese Argumentation, auch wenn sie diesmal von alternativer Seite kommt, ist nicht neu in diesem Land. Wer so denkt, dem bleibt in der Tat nur, mit nachts angestrahlten Gandhi-Ikonen eine Idylle basisdemokratisch gewaltfreien Handelns zu halluzinieren. Und reichen Gandhi-Bilder nicht, dann wird nachgeholfen. Daß "X-tausendmal quer" nachhalf, darauf weisen außer - meist nicht öffentliche - "Kritiken an der Durchführung der Blockade auch Konflikte" von "X-tausendmal quer" sogar mit der Lüchow-Dannenberger Bürgerinitiative Umweltschutz im Vorfeld der Aktion hin.

Bei dieser Bilderzeugung leisten, sehr deutsch und sehr beflissen, einige Publikationen Schützenhilfe. Lou Marin kritisiert in der laut Untertitel "anarchistischen und gewaltfreien" Graswurzelrevolution (Ausgabe 4/97) die bösen Bilderstürmer mit den Haßkappen, die Autonomen. "Planlos und unkoordiniert gehandelt haben nicht wir, sondern sie. Das war der materielle Erfolg der gewaltfreien Aktionen im Wendland und das komplette Versagen der Militanz." Was sollen das auch für Bilder werden, wenn Autonome "konfuse Quickborn-Feld-und-Wiesen-Schlachten" führen, es ihnen überhaupt an deutschen Sekundärtugenden wie Effizienz mangelt, obwohl die "Blockade real noch viel mehr Zeit für die Vorbereitung autonomer Aktionen gebracht hat. Und was passierte? Nichts!"

Stimmt nicht, sagt die Antifaschistische Arbeitsgruppe Uelzen (AAUe) in einem Kritikpapier zur Castor-Blockade; es wäre viel passiert, wenn nicht Gewaltfreie zum ersten Kontrollen und Durchsuchungen von anderen Demonstranten vorgenommen hätten, zum zweiten nicht gedroht hätten, Militante der Polizei auszuliefern, und zum dritten nicht Aktionen behindert hätten. Außerdem seien bei Grippel vor der Polizei flüchtende Demonstranten von Gewaltfreien festgehalten worden. Die AAUe will die "Angriffe und Spaltungsversuche von "X-tausendmal quer"" zurückweisen, um ein Bild vom Widerstand hochzuhalten, das "von verschiedenen Aktionsformen und Gruppen" lebt: "Dabei muß es auch bleiben."

Kritik am Verhalten Gewaltfreier und das Interesse an der Produktion "richtiger" Bilder werden im AAUe-Text eins. Ähnlich argumentiert "Ein Autonomer", der in seinem Rapport in der Berliner Interim der Larmoyanz Lou Marins wenig nachsteht. "Der Widerstand gegen den Castor sollte sich überlegen, ob ihm Gruppen, die sich, im wahrsten Sinne des Wortes, an die Spitze des Widerstands setzen wollen, gut tun", denn "nirgends war die Straße vor Schäden so sicher wie dort, wo sich dogmatische Gewaltfreie gegen jeden anderen Widerstandsversuch als ihren lautstark beschwerten." Derartige "Spaltung" ist schlimm, nicht nur, weil das Ausmaß von Straßenschäden bekanntlich zentrales Erfolgskriterium linker Politik ist, sondern vor allem, weil es - wir ahnen es schon - um die richtigen Bilder ging: "Es geht nicht an, daß sich vorm publicityträchtigen Verladekran eine Gruppe mit einem ausschließenden Konzept inszeniert und andere des Platzes verweist." Positive thinking aber auch hier. Trotz der "Abwiegler" sind die Märzereignisse auch für "Ein Autonomer" ein "Erfolg".

Die so produzierten affirmativen Bilder von den Castor-Protesten stellen die Autonomen mit ihrem linken Anspruch vor ein Dilemma: Den Mut und das theoretische Wissen, die Orientierung ihrer Politik auf die "sozialen Bewegungen" in Frage zu stellen, haben sie nicht. Die Macht, die Castor-Bewegung von einer sich regional und pluralistisch definierenden zu einer linken nach ihrem Bilde zu machen, aber auch nicht. Die Realität ruft ihnen - mittlerweile heiser - schon seit 1004 zu: Ihr habt verloren.

Wenn man verloren hat, kann man sich selbst fragen, warum - oder einfach so tun, als habe man gewonnen. Protesten objektive Fortschrittlichkeit zu unterstellen, ist eine jahrelang bewährte Selbstbestätigungskonstruktion der Bewegungslinken. Mit dem Versuch, die These per Bildproduktion zur Wahrheit zu machen, festzuschreiben, daß die Castorbewegung links sei, machen sich die Autonomen einmal mehr zum "extrem linken Flügel der grünen Mittelstandsbewegung" (Bodo Schulze). Solche Kritik linker Politik und die Frage nach über die unmittelbare Aktion hinausgehenden Folgen stört Autonome bei der Produktion ihres Kitsches. Der beschreibt nach Christa Tornow "eine heile Welt, die deshalb heil ist, weil sie Geschichte ausklammert", und das ist allemal einfacher, als sich nach der Rolle der ...ko-Bewegung bei der Normalisierung deutscher Verhältnisse zu fragen. Auch die Autonomen tun im Rahmen der Castor-Proteste weiter so, als wäre deutsche Geschichte nicht gewesen. Das müssen sie auch, denn die seit den Siebzigern eifrig genutzte Möglichkeit, sich von einem projezierten Bild einer sozialen Bewegung zum nächsten zu zappen, ist erstmal perdu. Heute sind die Castor-Proteste eine der ganz wenigen Bewegungen, in die sich überhaupt noch zappen läßt. Deshalb ist die Lufthoheit über die Bilder aus Gorleben so wichtig. Bilder zu produzieren und zu projezieren ist einfacher, als sich angesichts der Minderheitenposition der Linken in diesem Land zu fragen: Was tun? Es geht um eine Durchsetzung der autonomen Bilder von der Castor-Bewegung als gut, wahr und schön, pardon, als im Kern links. Die Illusionen über die Castor-Bewegung hindern die Autonomen einerseits an einer am Ziel - Stop Castor! - orientierten Bezugnahme auf diese (regionalen) Proteste. Und das bequeme Zapping zu den selbstproduzierten Bildern der Gorleben-Bewegung hindert sie, über linke Strategien nachzudenken. Dieser Zustand von Politikunfähigkeit hat ja auch was Angenehmes: Man kann permanent das Schlechte in der Welt beklagen, für das immer andere verantwortlich sind.