Hans Modrow

»Wer im Politbüro war, hatte auch Verantwortung«

Zur Zeit stehen drei ehemalige Politbüro-Mitglieder in Berlin vor Gericht, weil sie sich für das, was an der Grenze zwischen DDR und BRD passiert ist, verantworten sollen. Egon Krenz war 1961 noch ein junger Spund und erst viel später im Politbüro.

Wer im Politbüro war, hatte auch Verantwortung. Bei den Prozessen bleibt der historische Ablauf jedoch völlig ausgeblendet. Die Grenze ist am 13. August 1961 mit einer militärisch-polizeilichen Aktion geschlossen worden - übrigens auf Beschluß des Warschauer Vertrages -, und einbezogen waren auch die Grenzen zur Tschechoslowakischen Republik und Ungarns.

Die DDR-Regierung war also nicht souverän in ihren Entscheidungen?

Beide deutsche Staaten waren in ihrer Souveränität beschränkt. Daß die DDR im Zusammenhang mit ihren Grenzen nur eingeschränkt souverän agieren konnte, ist meiner Meinung nach keine Ausrede der Politbüro-Angeklagten. Das berichtet übrigens auch Egon Bahr.

Sie beobachten den Prozeß gegen Egon Krenz, Günter Schabowski und Günther Kleiber. Nun gibt es Differenzen zwischen den Angeklagten ...

Krenz hat von seiner politisch-moralischen Verantwortung gesprochen, hat zum Ausdruck gebracht, daß er sich auch politisch vor die Soldaten stellt, die Dienst an der Grenze gemacht haben. Schabowski will darüber nichts im Politbüro erfahren haben, sondern nur aus westlichen Zeitungen. Und Kleiber will mit der ganzen Sache nichts zu tun gehabt haben.

Inwiefern sind Politbüromitglieder, ganz gleich, wann sie dort tätig waren, verantwortlich zu machen, für das , was bis Ende der achtziger Jahre an dieser Grenze passierte?

Jene, die heute als Angeklagte da sitzen, haben zu den Toten an der Mauer mit ihren Empfindungen, mit ihrem Verstehen für die Trauer über Menschen gesprochen. Sie haben das, was geschehen ist, bedauert. Das bleibt unsere Verantwortung, und das gilt nicht nur für die, die im Politbüro waren, sondern für alle, die politische Verantwortung getragen haben. Der können wir uns nicht entziehen.

Die Prozesse sind dennoch Siegerjustiz. Sie haben nichts mit Versöhnung und Achtung zu tun, von denen die Rede war, als der Prozeß der Vereinigung der beiden deutschen Staaten begann.

Aber darüber wundern Sie sich doch nicht wirklich?

Nein, aber ich will hier ja nicht über mein Wundern oder Nichtwundern reden. Ich stehe als politisch denkender Mensch in einer Situation, in der ich nicht aufgebe, wo ich auch die internationale Begleitung dieser Geschehnisse einfordere.

Ich weiß nicht, wen Sie damit ansprechen. In der BRD ist es zumindest ziemlich egal, ob sich die Moskauer Duma oder irgendwer zur Situation ehemaliger DDR-Bürger äußert.

Ich will und werde diesen Schluß nicht ziehen, weil ich dann auch aufhören müßte, um internationale Solidarität für jene zu werben, die sich in diesem Prozeß politisch-juristischer Verfolgung befinden.

Bleiben wir bei uns. Wo sind denn ehemalige DDR-Politiker, die wenigstens sagen: Ich bin Kommunist, verdammt noch mal, ich stehe dazu, oder ich stand dazu.

Die Zahl derer ist nicht groß, aber es gibt sie. Ich selbst zähle mich auch nicht zu denen, die heute schweigen. Aber das ist ein kleines Häuflein der Unentwegten.

Was ist eine sozialistische Persönlichkeit?

Ich selber verstehe darunter: Verantwortung für andere tragen. Ich bin immer davon ausgegangen, daß meine erste Pflicht darin besteht, dem Volk zu
dienen.

Haben Sie schon einmal insgeheim gewünscht: Ach, wäre sie doch wieder da, die Mauer?

Nein, nie. Ich stehe zu meinem Wort vom "Einig Vaterland" und bereue es nicht.