Eimnz zu Mnull - Arthur Rotmil lebt

Wie der Kicker eine vermeintlich stichhaltige Theorie ins Wanken brachte

Ungelöste Rätsel aus der Jugendzeit nisten oft viele Jahre in einer Art Gedächtnishöhle, um plötzlich aus nichtigem Anlaß wieder aufzutauchen und eine Menge verschütteter Erinnerungen mit an die Oberfläche des Bewußtseins zu schwemmen. Als ich neulich im Kicker blätterte, löste der Name Arthur Rotmil eine solche Schwemme von Erinnerungen aus. Rotmil zeichnete als Autor eines Artikels über die deutschen Profis in der schottischen Liga. In dem Moment, in dem ich seinen Namen las, lief ein Samstagnachmittag in den siebziger Jahren wie ein Film vor meinem geistigen Auge ab:

17.49 Uhr: Mein Freund Knut und ich sitzen zu Hause in Kaiserslautern und lauschen gebannt dem SWF-3 Sportreport. Gebannt sind wir nicht von einer aufregenden Sportreportage vom Betzenberg - die Bundesligaspiele sind seit über einer halben Stunde beendet, und auch die neue Tabelle ist längst errechnet und verkündet - gebannt warten wir vielmehr auf das samstägliche Ritual mit Rudi Michel und Arthur Rotmil. Pünktlich wie immer, um 17.50 Uhr geht's los:

Rudi Michel (Moderator): Nun ist es wieder Zeit für unsere Konferenzschaltung nach England. Wie immer um diese Zeit begrüßen wir unseren Korrespondenten in London, Arthur Rotmil, der uns die Resultate der ersten englischen Liga mitteilen wird. Wir haben nur wenig Zeit, lassen sie mich die Paarungen vorlesen und Sie nennen uns das Ergebnis. Wolverhampton Wanderers - Manchester United?

Rotmil (ist kaum zu verstehen, so sehr rauscht und krächzt es im Lautsprecher des Transistorradios): Eimnz zu Mnull.

Michel: Leeds United - Tottenham Hotspurs?

Rotmil: Eimnz zu Mnull.

Michel: Queens Park Rangers - West Ham United?

Rotmil: Eimnz zu Mnull.

Michel: Aston Villa - Arsenal London?

Rotmil: Eimnz zu Mnull.

Der Dialog setzt sich nach diesem Muster fort, bis Rudi Michel alle zehn Spiele des Samstags vorgelesen und Arthur Rotmil jeweils krächzend mit "Eimnz zu Mnull" geantwortet hat. Manchmal sind es auch zwanzig Spiele, wenn hier Winterpause ist und auch die zweite englische Liga in die Totoauswahlwette "6 aus 45" aufgenommen wurde. Dann kratzt Rotmils "Eimnz zu Mnull" 20 Mal aus der Membran des Lautsprechers.

Etwas anderes als dieses "Eimnz zu Mnull" hat Arthur Rotmil damals nie gesagt, nie hat er Rudi Michel oder seine Hörer aus dem Südwesten Deutschlands begrüßt, nie hat er Berichte über besondere Vorkommnisse, Reportagen über besondere Spiele, über Trends im englischen Fußball oder wenigstens die Namen der Torschützen über den Äther geschickt. Variiert hat er lediglich die Reihenfolgen der Vereinsnamen.

Knut und ich entwickelten zwei Theorien. Die erste: Arthur Rotmil ist Alkoholiker und bereits am Samstagnachmittag so hackedicht, daß er die oft zungenbrecherischen Namen der englischen Mannschaften nicht mehr fehlerfrei aussprechen kann und daß ihm kompliziertere Ziffern als "Eimnz" oder "Mnull" nicht mehr ohne Lallaute über die Lippen wollten.

Die zweite Theorie schien zunächst eher unwahrscheinlich, unterstellte sie doch dem braven Rudi Michel ein gehöriges Maß an Verwegenheit. Kernthese: Rudi Michel ist Arthur Rotmil. Er nennt die Spiele und antwortet sich selbst. Mit detektivischer Akribie und einer Stoppuhr spielten Knut und ich das Ritual nach und stellten fest, daß die kurze Kunstpause zwischen der Nennung der Mannschaften und dem "Eimnz zu Mnull" haargenau die Zeit dauerte, die man benötigte, um ein Taschentuch über einem Mikrophon auszubreiten, das Rascheln, Kratzen und Knistern konnten wir als die Geräusche identifizieren, die beim Ausbreiten eines Taschentuches über einem Mikro entstehen. Kurzum: Die Michel-ist-Rotmil - Theorie war bewiesen. So schlummerte also der Name Arthur Rotmil gut zwei Jahrzehnte in einer meiner Erinnerungshöhlen unter der Rubrik "Erfindung Rudi Michels".

Und nun dies: Arthur Rotmil schreibt im Kicker. Wie kann die Erfindung eines Sportreporters im Kicker schreiben? Oder treibt ein seniler Rudi Michel nun im Kicker sein Unwesen? Konspirieren gar Michel und der Kicker?

Ein Anruf beim Kicker würde das Rätsel zwar lösen, doch das hieße, die behagliche Höhle der Erinnerung zerstören.