Neonazis - Stiefbrüder der Linken?

Was hat Kay Diesner von der Linken gelernt? Über Militanz und Habitus, Nationalrevolutionäre und Naturmystik streiten die Jungle World-Redakteure

Elsässer: Im März hat der Nazi-Terrorist Kay Diesner einen PDS-Buchhändler in Berlin-Marzahn niedergeschossen und wenig später einen Polizisten getötet, einen anderen schwer verletzt. In der Jungle World wurde in der Berichterstattung zum kürzlich eröffneten Prozeß gegen Diesner nahelegt, er habe als verlängerter Arm von Ex-General Jörg Schönbohm gehandelt, des Berliner CDU-Innensenators. Offenkundig ist das aber falsch: Diesner selbst hat vor Gericht nicht Schönbohm, sondern die RAF und die IRA als seine Vorbilder benannt. Wie denen gehe es auch ihm um den Kampf gegen den "faschistischen-imperialistischen Staat". Müssen wir unsere Einschätzung revidieren?

Vogel: Die vermeintlich linken Phrasen waren nur die eine Hälfte seiner diffusen Argumentation. Ansonsten hat Diesner typische Nazi-Positionen vertreten - etwa die Hetze gegen Türken und Bosnier, die Marzahn vermüllen.

Elsässer: Das ist ja das Interessante: Wie diese beiden Argumentationsstränge, einer von links und einer von rechts, in seinem Kopf zusammengehen.

Fahs: Diesner bezieht sich nicht in erster Linie auf die Inhalte, sondern auf die Formen der RAF. Die Professionalität und Präzision, mit der die RAF etwa beim Herrhausen-Attentat die tödliche Bombe an einen lasergesteuerten Auslöser koppelte - das imponiert auch dem "Arischen Werwolf" Diesner.

Bozic: Wir haben ihn als Schönbohms verlängerten Arm bezeichnet, weil Schönbohm die PDS wegen der Verhinderung eines Nazi-Aufmarsches in Berlin-Hellersdorf scharf attackiert hat. Das sahen die Nazis genauso. Zur selben Zeit gab es die Morddrohungen gegen die Berliner PDS-Chefin - und dann ist Diesner losmarschiert und hat geballert. Das war richtig, diesen Zusammenhang aufzuzeigen.
Außerdem: Diesner sieht sich selbst als Einzelkämpfer - das ist nicht vergleichbar mit dem Konzept der RAF, einem Agieren im geschlossenen Kollektiv.

Vogel: Ich gehe davon aus, daß Diesners positiver Bezug auf die RAF in erster Linie einem extremen Subjektivismus geschuldet ist. Auch in der radikalen Linken, nicht nur in der bewaffneten, kursiert immer wieder dieses "Wir", die Guten, im Kampf gegen "die", die Bösen. Man denke an die Position "Mensch oder Schwein". Diesner hat den Schußwechsel mit den Polizisten als "Kampf Mann gegen Mann" geschildert. Das erinnert fatal an manche Punks, die Kapuzenpullis mit dem Aufdruck "Schieß doch, Bulle!" tragen.

Elsässer: Es stimmt nicht, daß Diesner sich nicht auf die Inhalte der RAF beziehen konnte. Die RAF hat hauptsächlich als nationale Befreiungsfront agiert, nicht als soziale, ihre spektakulärsten Aktionen richteten sich gegen die US-Armee, die Nato und ihre Repräsentanten. Das ist kompatibel mit dem Ziel der Rechten, die sogenannten "Besatzer" loszuwerden.

Fahs: Ohne daß ich jetzt zentrale Fehler der RAF beschönigen wollte, bleibt doch Fakt, daß ihre spektakulärsten Aktionen dem deutschen Großkapitalisten und Kriegsverbrecher Schleyer plus noch einigen anderen ähnlichen Kalibers gegolten haben.

Bozic: Interessant ist vielleicht, daß Diesner im Lübecker Knast einen neuen Freund gefunden hat, und zwar Michael Steinau, der der Mitgliedschaft in den Antiimperialistischen Zellen (AIZ) verdächtigt wird. Die AIZ bezog sich anfangs unter anderem auf die RAF, hat aber dann immer radikaler ein islamistisch-fundamentalistisches Weltbild vertreten. Mit Diesner trifft er sich regelmäßig beim Hofgang. "Wir liegen gar nicht so weit auseinander", hat Steinau in einem Brief geschrieben.

Elsässer: Also noch einer, in dessen Kopf sich rinks und lechts vermischt hat.

Bozic: Aber die AIZ ist nicht repräsentativ für die radikale Linke und wird von ihr schon immer scharf kritisiert.

Vogel: Zweifellos sind beide nicht repräsentativ. Doch es geht eben um die Auswirkungen von linken Diskursen. Ich erinnere daran, daß Diesner an einer Kreuzberger 1. Mai-Demonstration teilgenommen und vor Gericht begründet hat: "Ich teile gewisse Denkanstöße mit diesen Leuten."

Fahs: Diesner hat für die Nazi-Szene die Kreuzberger Linke ausspioniert, und das könnte auch ein Motiv für seine Teilnahme an dieser Demonstration gewesen sein. Weiterhin wissen wir nicht, ob er wegen Angriffen gegen die Polizei verhaftet wurde, oder ob er einfach in eine Massenfestnahme kam.

Bozic: Es kann natürlich Zufall sein, aber ich möchte feststellen, daß Diesner nicht an einer 1. Mai-Demonstration der undogmatischen, autonomen Linken teilgenommen hat, sondern an einer, die von stalinistisch-maoistischen Gruppen veranstaltet wurde. Da paßte er mit seinem Gut-Böse-Weltbild auch besser hin. Die undogmatische Linke hat ja dieses platte Zwei-Klassen-Denken gerade durchbrochen.

Fahs: Gegen die Stalinisten kann man alles mögliche Schlechte sagen, aber den Diesner sollte man ihnen nicht auch noch anhängen.

Vogel: Es geht doch nicht um eine Schuldzuweisung im Ping-Pong-Stil: Ätsch, die Stalinisten waren's, wir Antiautoritären haben damit nichts zu tun. Denn es gibt leider auch argumentative Versatzstücke, die Diesner von der undogmatischen Linken übernommen hat, und zwar die ökologistischen. Diesner sprach im Prozeß vom "Holocaust, den der BRD-Staat am deutschen Volk betreibt" - und nannte als Beispiele Castor-Transporte und Gentechnik, vor allem freilich, daß "die kulturelle Identität der weißen Rasse ausgelöscht wird".

Bozic: Diese Form von Ökologismus hat mit der radikalen Linken aber nichts zu tun, höchstens mit der alternativ-grünen Aussteigerbewegung.

Elsässer: Bei den von Diesner genannten Castor-Aktionen waren Autonome und Ökolinke dick dabei.

Fahs: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich, aber sei's drum: Müssen die Linken zukünftig trotzig Regenschauer erkennen, sobald ein Fascho strahlenden Sonnenschein vermeldet? Bitte keine Anti-Reflexe. Nur weil die Rechten jetzt gegen die Castor-Transporte sind, heißt das noch lange nicht, daß die Linken dafür sein müßten.

Vogel: Das esoterische Naturbild der Ökobewegung findet sich bei Rechten und Linken gleichermaßen: Die Natur wird immer noch häufig per se zum positiv besetzten Wert, der Technik steht man prinzipiell negativ gegenüber. Ein anti-modernistisches Weltbild, das die Entwicklungen der Produktivkräfte nicht mehr auf ihren Nutzen untersucht, sondern pauschal beargwöhnt - das hat die Linke in der Ökobewegung toleriert oder selbst propagiert, obwohl es der Perspektive eines Lebens jenseits des Zwanges zur Arbeit widerspricht.

Elsässer: Noch einmal zu den psychsozialen Paralellen der linken und rechten Kämpfer. Norbert Elias macht in seinen "Studien über die Deutschen" darauf aufmerksam, daß die Habitusentwicklung der Deutschen nicht mit der in zivilisierten Nationen Schritt hielt. In den westlichen Nationen bildeten sich im Zuge der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft Formen einer unblutigen Streitkultur heraus, während man sich in Deutschland bis zum Ende des letzten Jahrhunderts schlug. Das Idealbild in England ist der Gentleman, das heißt: der sanfte Mann. In Deutschland hatte der Burschenschaftler mit dem Schmiß ein vergleichbares Renommée.

Müßten Linke aus dieser Rückständigkeit Deutschlands nicht die Konsequenz ziehen, Militanz nur sehr vorsichtig einzusetzen, um die Unzivilisiertheit nicht auch noch zu befördern? Anders gesagt: Wenn Scheiben klirren, habe ich immer ein ungutes Gefühl - es erinnert mich an die Reichskristallnacht.

Bozic: Oje! Bei der Revolution möchte ich bitte nicht mit dir an derselben Barrikade eingeteilt werden. Also, ich sehe das anders: Die Linke in der BRD geht beim Einsatz von Gewalt sehr behutsam vor. Spätestens nach der Ermordung des US-Soldaten Pimenthal durch die RAF Mitte der achtziger Jahre gab es eine breite und selbstkritische Diskussion.

Vogel: Die Rückständigkeit zeigt sich doch genau andersrum: In Frankreich etwa werden die Leute bei Kämpfen sehr viel schneller und selbstverständlicher militant als hierzulande. Die Zurückhaltung, das Betont-Gewaltfreie erscheint mir eher als ein deutsches Spezifikum.

Elsässer: Die Frage ist, ob das Dogmatisch-Gewaltfreie und das Autoritär-Militärische in Deutschland nicht zusammenhängen, so daß sich periodisch der masochistische Untertan in den sadistischen Krieger verwandelt. In zivilisierten Gesellschaften hingegen ist die Unterordnung unter den Staat lockerer, und ebenso ist die Militanz weniger diszipliniert. Man sieht es schon am Namen: In Deutschland nannte man sich großkotzig Rote ARMEE Fraktion, darunter machte man's nicht, in Italien nannte man sich bescheidener Rote Brigaden. Und außer den Brigaden gab es noch ein paar tausend Arbeiter, die sich militant und zum Teil bewaffnet gegen ihre Bosse zur Wehr setzten. Das nenne ich Zivilcourage auf proletarische Art.

Bozic: Die italienische Linke in allen Ehren - aber der jetzt von dir skizzierte Widerspruch Malocher contra Bosse, der relativ einfach per Knieschuß zu lösen ist - das ist genau das dualistische Weltbild, das auch Leute wie Diesner im Kopf haben. Von diesen Vereinfachungen - Mensch oder Schwein, Gut oder Böse - müssen wir wegkommen.

Elsässer: Pardon, einige Dinge sind sehr einfach, und Marx hat sie auch schön zugespitzt: Hauptwiderspruch ist Arbeiter contra Kapitalist. Diese richtige Vereinfachung ist leider post Marx verdreht worden, plötzlich hieß es Partei contra Staat beziehungsweise Nation contra Imperialismus. Aber die Wut der Arbeiter ist emanzipatorischÖ

Fahs: ... solange sie nicht nur die Personifizierungen ihres Elends angreifen, sondern auch die dahinterstehenden Verhältnisse zum Tanzen bringen.Das schafft linker Antikapitalismus leider nur selten, der Antikapitalismus von rechts schafft es nie. Genausowenig wie sich der Antikapitalismus der Faschos gegen deutsche Unternehmer - das sind nämlich Volksgenossen - richtet. Statt dessen aber um so mehr gegen das internationale Finanzkapital - und von da zum internationalen Finanzjudentum ist es nicht weit.

Bozic: Dein Hauptwiderspruch ist doch sonst die Nation. Und jetzt machst du wieder den Marxisten und verteidigst den deutschen Arbeiter als revolutionäres Subjekt?

Elsässer: Weil der Staatsbürger oder Nationalbürger die versteinerte Form des sozialen Subjekts ist. Die muß als erstes gesprengt oder wenigstens mürbe gemacht werden, deswegen antinational. Aber wenn, wie in Italien, proletarische Subjektivität noch nicht völlig versteinert ist und sich regt, ist das doch klasse.

Bozic: Die post-fordistischen Arbeitsverhältnisse lassen eine genaue Bestimmung von Ausbeuter und Ausgebeutetem immer weniger zu. In vielen selbstverwalteten Kleinbetrieben - wie etwa bei der Jungle World - beuten sich die Unternehmer selber aus. Man muß doch mal einsehen, daß sich da seit Marx etwas verändert hat.

Elsässer: Die italienischen Arbeiter wehrten sich gegen die Vorarbeiter und Meister, die sie hetzten und antrieben, und gegen die Chefs, die sie auf die Straße setzten.

Vogel: Vielleicht muß man zwei Stoßrichtungen des proletarischen Protests unterscheiden: Der eine richtet sich gegen Schinderei und Plackerei, letztlich gegen die Arbeit überhaupt - wie beispielsweise im Operaismo der siebziger Jahren in Italien vertreten. Der andere fordert "Arbeit her!", fußt auf dem protestantischen Arbeitsethos und einem entsprechenden patriarchalen Männerbild, wie es im Held der Arbeit zum Ausdruck kam. Und findet man das einigende Band zwischen Deutscher Arbeitsfront und DGB Ö

Bozic: ... sowie zwischen Diesner und der traditionellen Linke. Die undogmatische Linke, die Spontis und Autonomen, haben das protestantische Arbeitsethos nie verteidigt, sondern immer dem "dolce far niente" gefrönt.

Elsässer: Oder dem gesunden Landleben in Gorleben.

Bozic: Man kann es drehen und wenden wie man will: Die einfachen Weltbilder sind falsch. Es gibt nicht "Wir" und "Die". Die Linken, also wir - wir sind Teil des Problems.