Aurale Freiheitsberaubung

Ist es ein Verbrechen, daß Puff Daddy und Oasis die Popgeschichte plündern? Warum tun sie das überhaupt? Und was hat das alles mit den Fugees zu tun?

Und das ist dann doch irgendwie fies. Jahrelang schreibt man für die allgemeine Anerkennung von HipHop, konstruiert zu diesem Zweck die abenteuerlichsten Theoriegebäude, um in den in der Regel knalldoofen (esoterischen, heterosexistischen, biologistischen) Texten doch noch das gewisse Quentchen Relevanz (Dissidentes, Emanzipatorisches) aufzuspüren. Und dann kommt jemand wie Puff Daddy daher, hat mit dem seinem ermordeten Freund Biggie Smalls gewidmeten Stück "I'll Be Missing You" einen weltweiten Nummer-eins-Hit und führt damit genau das in die HipHop-Kultur ein, was da eigentlich gar nicht reingehört: nämlich Rock. Und zwar ausgerechnet in Gestalt eines Police-Samples an prominenter Stelle: Studienratsrock is in the House.

Die Vorwürfe ließen nicht auf sich warten. Erstens: Puff Daddy betreibe den Ausverkauf von HipHop an weiße Hörerschichten. Zweitens: Puff Daddy bereichere sich am Tod seines Freundes. Drittens: Puff Daddy verramsche die gesamte Pop-History als solche - alles aurale Freiheitsberaubung, irgendwie. Von der Frage, wie sich "I'll Be Missing You" tatsächlich anhört, einmal abgesehen, sind die Vorwürfe natürlich dreimal doof. Als würde HipHop nicht schon seit Jahren vor allem auch von weißen Hörern konsumiert werden. Und selbst wenn nicht: Hieße das, daß HipHop per se nur von Schwarzen gehört werden darf? Oder unter Umständen auch von den Weißen, die sich für den Konsum in irgendeiner Weise qualifiziert haben? Und der Vorwurf, daß Puff Daddy den Leichenfledderer macht, trifft nur dann zu, wenn Biggie Smalls einen HipHop-Superstar-Status gehabt hätte. In Europa hatte er den zumindest nicht. Um den Zusammenhang zwischen Single und B. Smalls herzustellen, braucht es schon eine gewisse Kennerschaft. Daß Puff Daddy die Pop-History verramscht, stimmt allerdings. Warum auch nicht, wenn sie schon mal da ist. Sein Album "No Way Out" ist immerhin ein Beispiel, daß das nicht das Schlechteste ist.

Anderer Tatort, vergleichbares Delikt: Oasis. Die beiden Gallagher-Brüder als Möchtegern-John Lennons mit überkandidelten World-Domination-Plänen. Geht es um Genialität, Songwriterkunst und rebellischer Rock'n'Roll Attitüde, reißen sie das Maul in gewohnter Weise auf: "You'll never forget my name". Na klar. Fehlendes Geschichtsbewußtsein kann man ihnen jedenfalls nicht vorwerfen. Auf ihrem neuen Album "Be Here Now" gibt es keinen Ton, der nicht schon mindestens einmal und meistens schon hunderttausendmal in genau der gleichen Weise gespielt wurde. Im Zitieren sind sie so plump, daß sie die Zitate sogar beim Namen nennen. Oder ist das schon wieder raffiniert? Man weiß es nicht. Nochmal und nochmal die Beatles mit einer Prise Who und zwischendurch immer wieder Status Quo. Das ist extrem stumpf. Nur - das ist auch geil.

Warum? Oasis wissen, wie Songs funktionieren. Sie nehmen sich Zutaten von hier und da, blasen sie auf, reichern sie an und ordnen sie in gefälliger, effektvoller, aber niemals überraschender Reihenfolge. Fertig ist der Song: plump, groß und größer als groß. Und was einmal funktioniert, funktioniert auch zweimal. Sie halten das allen Ernstes für begnadete Songwriterkunst. Da irren sie sich. In Wirklichkeit ist es nur die Simulation derselben. Aber was macht das schon für einen Unterschied?

Was ist also der Punkt? Die Kritik an Puff Daddy und Oasis ist schlechtgelaunt und protestantisch, weil sie sich auf folgendes zusammenkürzen läßt: Ist ja alles nur Unterhaltung. Na und, solang es nicht schadet! Aber wo bleibt die Innovation? Wohin soll das führen? Und ist bloßer Spaß nicht vielleicht schon reaktionär? Von ehemals bettelmausarmen Arbeiterkids (Oasis) und afro-amerikanischen Künstlern (Puff Daddy) glaubt man (bildungsbürgerliche Kritiker mit Mittelstandsbackground) jedenfalls mehr erwarten zu dürfen. Klassenfrage einmal anders.

Sehr lustig ist dabei übrigens, daß Pop-History-Plünderer vom Schlage der Fugees stets ganz prächtig bei der Kritik ankommen. Und das, obwohl beinah ihr gesamtes Îuvre aus expliziten oder fast irgendwie Coverversionen besteht. Appellieren nicht auch sie an die niederen Instinkte der Hörerschaft, immer und immer wieder nur alte Gassenhauer ("Killing Me Softly") hören zu wollen? Schielen sie nicht auch nur auf die schnelle Mark etc.? Oder was haben sie, was die anderen nicht haben? Der Trick heißt Dekontextualisierung/Rekontextualisierung, was die Kunstfertigkeit meint, dem alten Song eine neue Bedeutung zu geben. Ob das was bringt, sollte mal jemand untersuchen. Vielleicht anhand von "No Woman, No Cry".

Und wer hat eigentlich gesagt, daß die Jungs von Oasis keinerlei Anspruch haben? Wie wär's damit: "All around the world / You've got to spread the word / Tell them what you've heard / We're gonna make a better day." Oder wie John Lennon neulich sagte: "Oasis sind bekannter als Jesus."

Oasis: "Be Here Now" (Creation/Sony)
Puff Daddy & The Family: "No Way Out" (Arista/BMG Ariola)
Wyclef Jean feat. Refugee Allstars: "Presents The Carnival" (Columbia/ Sony)