Nazis, Burschen, Alte Herren

Nordhessens Rechte will "in Würde" gegen die ehrmachtsausstellung in Marburg demonstrieren

Am 14. September wollen sie demonstrieren, und das auch noch "in Würde". Nordhessens Rechte - vom "gedienten" Altnazi bis zum jungen Marburger Korporierten, ansonsten durch interne Differenzen zerstritten - schaut geeint dem 12. September entgegen. An diesem Tag kommt die Wanderausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" des Hamburger Instituts für Sozialforschung ins beschauliche Marburg. An einem zentral gelegenen "Ehrenmal für die gefallenen Studenten" soll zwei Tage später, am Sonntag, ab 16 Uhr eine Kundgebung zum "Gedenken an die gefallenen Wehrmachtssoldaten" stattfinden. Der Veranstaltungsort liegt - alles andere als zufällig - dem Hörsaalgebäude der Philipps-Universität Marburg gegenüber. Dort ist die Wehrmachtsausstellung bis zum 17. Oktober untergebracht.

Obwohl die Ausstellung in der für die Universitätsstadt publikumswirksam ungünstigen vorlesungsfreien Zeit liegt, wittert die nordhessische Rechte Gefahr für Marburgs Bürger. Die lokale "Fördergemeinschaft für Soldatenverbände" (FfS) hat aus diesem Grund ein "Rahmenprogramm" gegen die Ausstellung erstellt, dessen erster Teil die geplante "Demonstration in Würde" sein soll. Eine "Bürgeraktion Unsere Zukunft" befürchtet auf Flugblättern zudem "geifernde Hetztiraden gegen national denkende Deutsche". Das Ansehen der "Kriegsgeneration" stehe auf dem Spiel, weiß ergänzend ein Flugblatt einer "Bürgeraktion gegen die Verunglimpfung der Wehrmacht" zu berichten, obwohl diese doch die "Retter Westeuropas vor der bolschewistischen Versklavung" gewesen sei. Für die Publikationen beider "Bürgeraktionen" zeichnet Roy A. Godenau (ehemals Armstrong), ein hessischer Neonazi mit guten Kontakten zum NSDAP/AO-Spektrum, verantwortlich. Mitglieder der Burschenschaft Rheinfranken mochten da vor drei Wochen nicht zurückstehen: "Unsere Soldaten waren keine Verbrecher" lautet das Motto eines von ihnen verteilten Aufklebers, der für einen Freundeskreis NE (Nation und Europa) wirbt.

Die selbsternannte rechte Hochschulelite schießt sich ebenfalls auf die Ausstellung ein: Eike Erdel, Kreistagsabgeordneter der Republikaner und seit Januar als einer von zwei Funktionären des Republikanischen Hochschulverbands (RHV) im Marburger Studentenparlament aktiv, profiliert sich schon seit geraumer Zeit auch in überregionalen Medien als Militärkenner und Vorzeige-Rechter. Der 25jährige Jurastudent und Oberleutnant der Reserve ist Korporierter der nationalistischen Burschenschaft Normannia-Leipzig zu Marburg und schreibt seit Mitte 1996 gelegentlich für die Junge Freiheit und das Ostpreußenblatt. Durfte er sich dort über die Durchschlagskraft des Bundeswehrpanzers Leopard II und seine erfolgreichen Klagen gegen linke Asten auslassen, ist er mittlerweile auch zum historischen Militärspezialisten avanciert: Erdel, selbst FfS-Mitglied, durfte jüngst in Nation und Europa (Ausgabe 7/8 1997) seinen Soldatenverein und dessen Aktivitäten gegen die Wehrmachtsausstellung vorstellen. Nicht ohne Stolz verwies er dabei auf die Unterstützung durch "Vertriebenenverbände, militärische Traditionsverbände, Reservistenkameradschaften, vom Kyffhäuserbund sowie von studentischen Korporationen". Durch diese Hilfe sei es bereits im Mai gelungen, "über 3 000 Unterschriften gegen die Ausstellung zu sammeln".

In der Juniausgabe der Monatszeitschrift des Verbands deutscher Soldaten, Soldat im Volk, hatte er zuvor eine Suchanzeige nach Angehörigen ehemaliger Wehrmachtsverbände geschaltet. Mit deren Aussagen sollen, so Erdel, "die genannten Verbände von dem Vorwurf, Verbrechen begangen zu haben" befreit werden. Zudem werde "damit die Wehrmacht als Ganzes" entlastet. Sein ansonsten eher unbedeutender RHV versuchte bereits im Januar seine Position in der rechten Szene aufzuwerten, als er eine Veranstaltung mit Hans Hirzel, Bundesvorstandsmitglied der Republikaner, anmeldete. Obwohl die Veranstaltung von 200 Antifaschisten verhindert werden konnte, ist der Versuch ihrer Durchführung als Annäherung des nationalkonservativen an das rechtsextreme Lager zu bewerten: Mitglieder der Jungen Union wollten zusammen mit Republikanern und Führungsmitgliedern der rechtsmilitanten Sauerländer Aktionsfront - anwesend waren Thomas Kubiak und André Zimmermann - den Ausführungen Hirzels zum antifaschistischen Widerstand im Dritten Reich lauschen. Nach der geplatzten Veranstaltung zogen alle zusammen ab, um in einem Burschenschaftshaus nachzuholen, was öffentlich nicht gelungen war.

In diesem Zusammenhang kommt den Marburger Burschenschaften Normannia-Leipzig und Rheinfranken schon seit 1995 eine Verbindungsposition zu vielen rechten Gruppen und Organisationen zu. Referenten vom Bund freier Bürger gaben sich hier mit Mitgliedern von Soldatenverbänden, Vertriebenenfunktionären und anderen Rechten den Bierkrug in die Hand: CDU-Rechtsaußen Heinrich Lummer hat hier ebenso gesprochen wie Wilfried Böhm, Mitglied des revanchistischen Vereins für das Deutschtum im Ausland, die Rechtsliberalen Alexander von Stahl und Heiner Kappel sowie - vor zwei Monaten - Alfred Mechtersheimer. Der ehemalige Grünen-MdB versucht zur Zeit mit der von ihm gegründeten Deutschlandbewegung den untereinander zerstrittenen rechten Organisationen eine gemeinsame Plattform zu geben. Ziel: eine APO von rechts, die in mediale und gesellschaftliche Diskussionen eingreift und "das links-liberale Meinungsdiktat" sprengt.

Mechtersheimer soll am 27. September erneut in Marburg sprechen, die Einladung dazu stammt wiederum von der FfS, die damit ihr Rahmenprogramm vervollständigen will. Der mehr als 100 Mitglieder zählende Verband kann zudem auf die Vernetzung seiner Mitglieder in konservative, rechte und rechtsextreme Parteien und Organisationen - und somit auf eine breite Beachtung der propagierten Gegenaktionen - vertrauen. Mitglieder der über 30 studentischen Korporationen Marburgs werden im Gegenzug für einen erträglichen Altersdurchschnitt sorgen.

Obwohl eine Demonstration in der Größenordnung der Münchener JN-Demonstration bei weitem nicht zu erwarten ist - dort marschierten am 1. März dieses Jahres 5 000 Rechtsextreme unter dem Motto "Unsere Großväter waren keine Verbrecher" gegen die Wehrmachtsaustellung - muß am 14. September dank der unterschiedlichen Zusammensetzung der Ausstellungsgegner zumindest mit etwa 500 Rechten gerechnet werden. Während einen Tag zuvor auf einer von der NPD unter dem Motto "Leistet Widerstand - jetzt" angemeldeten Demonstration in Hamburg noch die Männer fürs ganz Grobe auf den Plan treten, wird sich die nordhessische Rechte vermutlich eher moderat geben. Zumindest was das Erscheinungsbild angeht.

Örtliche antifaschistische Gruppen rufen unter dem Motto "Deutsche Mörder haben keine Würde" zu einer Kundgebung und zu Aktionen am 14. September ab 15 Uhr vor dem Hörsaalgebäude in der Biegenstraße auf.

Interessierte können weitere Informationen am Dienstag, den 9. September zwischen 16 und 19 Uhr unter der Telefonnummer 0 64 21/140 90 (Infoladen Marburg) erhalten.