Schlüssel-Bilder

Designerfummel wird erst durch gequälte Frauen schön.

Erstes Bild: Der dunkelrote Lidschatten glitzert dezent. Die Irritation entsteht, weil das geschminkte rechte Auge des Fotomodells etwas kleiner scheint als das ungeschminkte andere. So sehen Frauen aus, die gerade einen Faustschlag aufs Auge erhalten haben.

Zweites Bild: Die Frau steht geduckt. Abwehrend hält sie eine Tasche über den Kopf. Ihr Blick wirkt ängstlich, erschrocken, verstört. Der imaginäre Angreifer befindet sich unsichtbar außerhalb des Szenenausschnittes rechts oben.

Drittes Bild: Die Frau ist stark geschminkt und offensichtlich tot. So ähnlich jedenfalls sehen Tote aus. Sie trägt einen kurzen, schwarzen, spitzenumsäumten Rock. Ihre Beine sind leicht gespreizt, die Arme starr vom Körper abgewandt. Der Körper liegt wie ein klassisches Vergewaltigungsvorurteil auf einem steinigen Untergrund. Allerdings ist das Bild durch eine Drehung um 90 Grad verfremdet: Sie steht im Liegen. Kleine Erleichterung also nach dem Erschrecken.

Viertes Bild: Das Modell mit dem indifferenten Blick scheint sich - vor dem Fotografen flüchtend? - an eine weiße Wand zu drücken. Die Frau wirkt in die Enge getrieben. Von einer anderen Frau ist nur die rechte Hand zu sehen, verloren auf Abstand.

Fünftes Bild: Drei Fotos, die eine Geschichte vermuten lassen. Die untere Szene zeigt eine Frau in schneller, verschwommener Bewegung, in Kampfhaltung fast oder einer, die von einem Zehntelsekunden vorher empfangenen Schlag spricht. Für Verunsicherung sorgen die beiden oberen Porträts, weil sie Hilflosigkeit und den Schwung einer Ohrfeige suggerieren.

Die Inszenierungen sind aktuelle Werbung. Gesehen in der September-Ausgabe 1997 der in Hamburg erscheinenden Frauenzeitschrift Amica. Geworben wird für Kosmetik oder Kleidung der Firmen Helena Rubinstein, Chanel, Dolce & Gabbana, my diary und allegri. Nicht besonders schön, aber etwas Neues. Nein, es ist alt. Die große alte Dame der Literatur, Ruth Klüger, beschrieb 1994 den Widerspruch, in dem wir (Frauen) uns befinden, wenn es um ganz normale Tätigkeiten wie Lesen oder dem Betrachten von Bildern geht: "Fast jede große Kunstgalerie hat ein Gemälde aufzuweisen, das den 'Raub der Sabinerinnen' darstellt. Und bei jeder Führung wie auch in den Katalogen heißt es, man möge die Komposition bewundern, den Farbkontrast würdigen. Nur: Wir blicken auf einen Gewaltakt, von muskulösen Männern an halbnackten Frauen verübt, unwilligen Menschen, die von Stärkeren verschleppt werden. Ich höre zu, ich schaue hin, und ich frage mich betreten: Warum sagt niemand etwas zum Inhalt? Ich weiß auch die Antwort: Weil der Raub und die Vergewaltigung zur mythisch-historischen Vorlage gehören und nur dazu da sind, damit der Maler sein Können demonstriere. Als Frauen stehen wir vor diesem Prunk und dieser Pracht, wo unseresgleichen zu Gegenständen erniedrigt wird, und verdrängen unsere Beklemmung, um unser Kunstverständnis nicht zu kompromittieren." Soweit Klüger in ihrem Aufsatz "Frauen lesen anders" in der Essay-Sammlung gleichen Titels, die 1996 bei dtv erschien. Ich glaube, ihre Beobachtung läßt sich auf die Rezeption von "Gebrauchsbildern" der Werbung übertragen, auch wenn es dort keine Maler, sondern Fotografen sind, deren Können demonstriert wird. Die Inszenierungen, um die es hier geht, sind aber nicht im Playboy, sondern in einer Frauenzeitschrift erschienen. Sie sind offenkundig sexistisch und im Klügerschen Sinn von männlichen Phantasien geprägt. Ihre Aussage bleibt indifferent und gleichzeitig erschreckend: Eine Frau wirkt gequält - und trotzdem soll ich mir einprägen, wer das ins Bild gesetzt hat, um im zweiten Schritt ein kaum in den Vordergrund gerücktes Produkt zu kaufen.

Wolfgang Pauser schrieb am 15. August in der Zeit ein "Plädoyer gegen Moral in der Werbung". In seinem Beitrag behauptete er einen modernen Kult der Selbstkasteiung und wandte sich gegen moralisierende Botschaften, die an das Gewissen der Konsumenten appellieren. Moralismus führe in die Depression und moralische Werbung sei deshalb unmoralisch, "denn die negativen Folgen des Moraltrends sind gesellschaftlich nicht zu verantworten." Wer sich, "Du-darfst"-Margarine vor Augen, verstanden fühlt, irrt allerdings. Spätestens Pausers Sätze über die Deutschen und sein Fazit geraten zum unpolitischen Offenbarungseid: "Auch in Deutschland wächst der Trend zu einem Leben im Zeichen des Schuldgefühls - nicht etwa aufgrund grassierender Unmoral, sondern weil nirgends auf der Welt die Menschen so sehr bereit sind, Alltagsspaß durch Selbstkontrolle zu ersetzen. Wenn Marken eine gesellschaftliche Aufgabe haben, dann die, sich dem Zeitgeist der Freudlosigkeit entgegenzustellen." Werbung, so Pauser, habe Anwalt der menschlichen Wünsche zu sein und nicht der Verbote.

Was aber sind menschliche Wünsche, und muß man sie erfüllen? Die Debatte ist so alt wie die Todesstrafe. Und wer soll angesprochen worden mit jenen key visuals, wie so eine Zeitschriftenseite bei Werbemenschen heißt, die Frauen in bedrohlichen Situationen zeigen? Es ist nicht zu vermuten, daß schlichtes Identifizieren herausgefordert werden will. Auch die Zielgruppe der - später gerügten - Benetton-Plakate sollte sich nicht als albanische Flüchtlinge fühlen, als ihnen das Szenario eines brechend überfüllten Emigrantenschiffes nahe bringen sollte, die Fummel des Bunte-Kleider-Konzerns zu kaufen.

Die Psychologie der Marketing-Strategen ist schon lange nicht mehr so einfach gewickelt. Man erinnert sich beinahe mit Wehmut der klaren Aussagen aus der Branche, als sie noch ein Mini war und in den Kinderschuhen steckte: "An meine Haut lasse ich nur Wasser und CD", war einfach und klasse, besonders mit Christine Kaufmann. Mit dem einsamen Mann im Kino, neben dem keiner sitzen wollte, weil er nicht Rexona benutzt hat und deshalb nach Schweiß stank, wurde schon in den sechziger Jahren eine richtige Rührgeschichte erzählt, selbstverständlich moralisierend! Und wer hat nicht Clementine geliebt, das personifizierte schlechte Gewissen, so blöd sie auch war. Das war wie Sesamstraße, denn es gab was zu lernen, und sei es das Falsche. Platt und komisch und was fürs Leben.

Warum soll, in einer Welt, die ständig schlechter wird, nachgerade die Werbewirtschaft als positive Gegenmeldung herhalten können? Kann sie nicht, braucht sie auch gar nicht. Sie soll ihre Arbeit machen oder auch nicht. Womit wir uns wieder im Kreis gedreht haben, denn selbstverständlich muß Werbung für sich gesehen im Konkurrenzkampf bestehen, und dazu gehört es, neue Ideen zu haben oder vorhandene Tabus zu brechen. Der Print-Bereich ist zwar vom Umsatz her kleiner als das TV-Geschäft, in dem im ersten Halbjahr 1997 mehr als drei Millarden Mark verschleudert wurden, aber auch er gilt noch immer als Wachstumsmarkt. Allein 150 neue Parfums und Duftwässerchen kommen (in Deutschland) jährlich neu in die Ladenregale - und der Markt für den Luxus muß laufend gepflegt und erkämpft werden.

Kosmetik, Kleidung und - abnehmend - Haushaltsreiniger und Nahrungsmittel bilden den Hauptstrang im Werbeträger Frauenzeitschriften - jenen Magazinen, die heute überwiegend aus Reklame bestehen, zwischen denen sich beinahe schamhaft noch einige redaktionelle Beiträge verbergen. Die einzelnen Blätter unterscheiden sich darin kaum, allerdings sehr wohl in der offensichtlich angenommenen (und durch Leserinnenumfragen soziodemographisch abgefederten) Zielgruppen. Man findet in Bild der Frau und Brigitte vergleichsweise mehr Kochrezepte als in Allegra und Amica. Was man in dieser Zeitschriftensparte kaum als Reklameanreiz antrifft, sind nackte Frauen - außer es geht um Cellulites oder "Freie Radikale", die es zu bekämpfen gilt, und dann ist meist ein Po zu sehen, der auf den ersten Blick gar nicht sexistisch wirkt (wer immer noch nicht weiß, was "Freie Radikale" sind: Die machen die Haut unrein, alt und unschön).

Übrigens gibt es in der langweiligen, aber wegen Alsternähe und zwei Boutiquen als "in" geltenden Hamburger Milchstraße, wo Amica produziert wird, die besten gebratenen Majoran-Hähnchen der Welt, und das schon seit 25 Jahren. Die machen schön satt und rund, und das triefende pfeffrige Fett ist gut für meine Freien Radikalen, mit denen ich mich verbünden will, um vielleicht irgendwann einmal einen Kreativ-Chef zu entführen, und der muß dann auf Fotos posieren - "Gefangener der Bewegung Freie Radikale" - und Stöckelschuhe tragen. Das ist alles viel lustiger als Amica oder andere blöde Frauenzeitschriften zu lesen oder den Bauch einzuziehen