Diepgen ist nicht Di

Kiez-Paparazzi jagen einen Bürgermeister

Wie es ihm derzeit gehe, frage ich meinen Freund, den Paparazzo. "Prima", antwortet Vincent Voigt. Er streift seit Jahren durch Berlin, "um die Prominenten abzuschießen". In der deutschen Hauptstadt ist dieser Job nicht so aufregend. Es leben keine berühmten Prinzessinnen an der Spree, und die lokalen Blätter bieten kaum Geld für einen gelungenen Schnappschuß. Voigt hat für einen besoffenen und halbbekleideten Harald Juhnke nur fünf Riesen einkassiert. "Bei Juhnke kommt die Inflation hinzu, den darf jeder in jeder Pose ablichten", erklärt er.

Angefangen hat Voigt als ambitionierter Reportageknipser. Mal eine Geschichte eines ehrgeizigen Schreibers für die Zeit bebildern. Mal eine Fotoserie für ein Stadtmagazin. Dafür ist er damals noch durch Polen gefahren. Ohne Vorkasse und ohne Spesen. Für das Alternativblatt in der Kochstraße hat er auch mal auf den Auslöser gedrückt. Es waren immer statische Aufnahmen, bei denen der Betrachter ins Grübeln geraten sollte. Für die ehemalige FDJ-Zeitung junge Welt fotografierte er den schrecklichsten Bezirk Berlins: Oberschöneweide. "Oberschweineöde" nennen die Eingeborenen ihre Heimat.

Weil Voigt irgendwann die Miete nicht mehr bezahlen konnte, hat er bei der B.Z. angerufen. Die haben ihm gleich einen Auftrag verpaßt. Momper im Puff. Das sollte er beweisen. Mit der Kamera. Man gab ihm den Hinweis, daß der frühere Regierende Bürgermeister in den Läden um den Stuttgarter Platz verkehre. Vincent Voigt fuhr mit seinem Lada hin, wartete, wartete und wartete. Um zwei Uhr kam Momper aus dem "Lido", Voigt zückte seine Nikon, alles ging ganz schnell, zehn Fotos hatte er im Kasten. Er raste zu seinem Privatlabor in der Besenkammer seiner Wohngemeinschaft.

Am nächsten Morgen um sieben Uhr steht er bei Springer vor der Haustür. Der erste Erfolg: Momper kommt auf die Titelseite. Der Wahlkampf war gelaufen. Das Satiremagazin Titanic sprach daraufhin nur noch vom "Mösenmomper". Die Geschichte habe dem Sozialdemokraten nicht geschadet, meint Voigt: "In Berlin sind die doch alle geil darauf, wenn vor ihnen einer mit dem Blitzer steht, und die Leser freuen sich über die Volksnähe der Politiker." Ich bitte meinen Paparazzofreund, mich auf eine Fototour mitzunehmen. "Wer soll das Opfer sein?" will er wissen. "Diepgen", lautet meine deutliche Antwort. "Das dauert", ist sein Kommentar. Voigt weiß immerhin, daß Diepgen am Samstag gerne durch Charlottenburg wandert, mit oder ohne Frau. In der Regel jedoch mit einer Gruppe Leibwächter. Diepgen, das weiß Voigt ebenfalls, hat seine Lieblingsstraßen. Die Regensburger zum Beispiel. Dort ist auch der "Bamberger Reiter", ein Restaurant, wo der Oberbürgermeister gerne ißt. Es kommt, wie es kommen muß. Wir treffen Diepgen plus Anhang in der Regensburger. Vincent stürmt auf die Gruppe zu, reißt seine Maschine aus dem Anorak und schlägt zu. Diepgen merkt erst gar nichts, plötzlich sieht er Vincent, ist leicht verwirrt, und schließlich lächelt er. Keine Flucht vor dem Fotomenschen. Diepgen mag die Paparazzi. Die Geschichte mit Diana hat er natürlich verurteilt. Doch Diepgen ist nicht Diana. Diepgen kann froh sein, wenn ein Reporter ihn um ein Statement bittet und wenn die Linse auf ihn gerichtet ist. Ein Teleobjektiv benötigt man bei Diepgen nicht.

Das alles langweilt Vincent Voigt. Er träumt von Amerika. Von New York. "Wer dort den Bürgermeister beim Sonntagsspaziergang erwischt, bekommt Zehntausend bar auf die Hand. Ein angemessenes Schmerzensgeld für das dröge Auflauern. In Deutschland hat man nur Nachteile in dem Metier", erzählt Voigt. Neulich habe er eine Dame kennengelernt, die aus der Kneipe geflohen sei, als er von seinem Job berichtete. Als er ein anderes Mal behauptete, er sei der offizielle Hausfotograf des Berliner Senats, wurde der Flirt nicht so abrupt beendet.