Das Punzzeichen der Sitzkatze

Eduard Zimmermann geht in Rente. Aufstieg und Fall eines Bauerfängers - Ein Rückblick auf die erste Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst": Die Fahndung nach Herrn K.

Ende Oktober tritt nach mehr als 30 Jahren im Scheinwerferlicht des Verbrechens Eduard "XY" Zimmermann endgültig von der TV-Bühne ab. Daß das Fernsehen mitunter die Heimat des Wahnsinns ist, zeigte schon die erste Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst" vom 20. Oktober 1967.

Pünktlich um 20 Uhr kündigte die ZDF-Ansagerin Renate Oehlschläger die neue Sendung "Aktenzeichen XY" aus der Halle 1A des Wiesbadener Sendezentrums an. Anderthalb Minuten später leuchtete an der Kamera 4 zum ersten Mal das Rotlicht. Für die Premierensendung hatte man ursprünglich drei Fälle ausgewählt und verfilmt: den "Mord an einer Frau im grünen Minikleid", die "Fahndung nach dem Heiratsbetrüger Otto Fröschl" und das "Geheimnis der 'Sitzenden Katze'".

Wenige Tage vor dem Start am 20. Oktober aber setzte das Bundeskriminalamt durch, daß ein wichtiger Fall in die Sendung aufgenommen wurde: "Die Fahndung nach Johann K.". Damit war der "Studiofall" erfunden, denn in der Kürze der Zeit konnten die Verbrechen Johann K.s nicht mehr verfilmt werden. Erstmals verlas Zimmermann die Taten eines Bauernfängers.

Johann K. hatte zusammen mit zwei Kumpanen Tausenden von Bauern vor allem im niedersächsischen Raum Melkmaschinen als Musteranlagen angeboten, die später jedoch wegen des Kleingedruckten in den Verträgen teuer bezahlt werden mußten. Ein klarer Fall von Betrug, in dem die Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft in Verden an der Aller fast zehn Jahre lang ermittelt hatten. Bereits für den 16. November 1967 war das Gerichtsverfahren angesetzt. Johann K. aber war flüchtig, der Prozeß und damit die Anklage gegen ihn und seine zwei Mittäter drohten zusammenzubrechen. Der Fall Johann K. wurde also an die dritte Stelle, direkt nach dem Film über Otto Fröschl, gerückt.

Während Eduard Zimmermann bereits am vierten Fall saß und gemeinsam mit dem Staatsanwalt Dr. Schramm gerade erklärte, was das Punzzeichen der "Sitzenden Katze" auf dem Ehering bedeutete, der eingenäht in die Kleider von "Pelz-Elfie", einer Dame der Düsseldorfer Unterwelt, gefunden worden war, kam Peter Hohl aus seiner Nachrichtenkabine. Hohl nahm die Anrufe der Zuschauer entgegen. Seinem Gesicht war anzusehen, daß er eine wichtige Nachricht hatte. "In einem Fall ist die Polizei schon unterwegs", informierte er Zimmermann und das Publikum. "Ich möchte den Namen der Stadt jetzt hier nicht nennen, damit wir den Gesuchten nicht möglicherweise warnen."

Die Stadt hieß Bad Neuenahr, wo im Hotel "Neuenahrer Hof" an diesem Abend gekegelt wurde. Die Sendung war noch nicht zu Ende, da klingelte auf der örtlichen Polizeiwache schon das Telefon. Die Beamten hatten sich extra ein Fernsehgerät geliehen, um "XY" anzusehen. "Johann K., der Mann, der soeben im Fernsehen gezeigt wurde, wohnt hier in der Stadt", sagte der Anrufer. Die zunächst ungläubigen Beamten wurden schließlich nach dem vierten Anruf hellwach und schickten einen Funkwagen los, die Stadt zu durchsuchen. Dreizehn Minuten nach neun betrat Polizeimeister Wilhelm Becker die Kegelbahn im "Neuenahrer Hof". "Ist hier ein Herr K.?" fragte er die verwunderten Gäste. Ein weißhaariger Mittfünfziger im salopp-eleganten Rollkragenhemd antwortete: "Ja, hier." Vierzehn Minuten nach Ende der Sendung war der erste Fahndungserfolg perfekt. Johann K. wurde verhaftet.

Nur 53 Prozent Einschaltquote lautete das Ergebnis der Premiere, doch das Zuschauerinteresse steigerte sich schnell auf gute 74 Prozent zur fünfzehnten Sendung am 11. April 1968. Dabei sollte der Fall des Johann K. nicht ohne Folgen für Eduard Zimmermann bleiben, denn wenige Tage nach der Sendung wurde er von einem Freund des Bauernfängers K. wegen Betrugs angezeigt. Eine Anzeige, die nicht ganz astrein begründet war: Jeder, der sich mit der Melkmaschinen-Branche auskenne, habe auch wissen müssen, wo sich K. aufhalte. Zimmermann, der nach seinen bzw. den Recherchen des Bundeskriminalamts die Melkmaschinen-Branche sehr genau kenne, müsse gewußt haben, daß K. sich des öfteren in Bad Neuenahr aufhalte. Er habe diese Kenntnis aber unterdrückt und damit Millionen Zuschauer in die Irre geführt, allein um sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, der im Honorar für die Arbeit an der Sendung bestanden habe. Beschädigt worden sei deshalb vor allem das Vermögen des Verhafteten.

Daß das Ermittlungsverfahren gegen Zimmermann bald eingestellt, Johann K. hingegen wegen Betrugs zu einem Jahr und sieben Monaten Gefängnis verurteilt wurde, freute damals nicht alle so sehr wie Hans-Hermann S., der nach seiner Verhaftung auf einem Münchner Faschingsball aus dem Freiburger Gefängnis zum eigenen Fall einen Brief an Zimmermann schrieb: "Die Sendung konnte ich nicht empfangen. Ich wende mich heute deshalb an Sie mit der Bitte, ein Manuskript mir freundlichst übersenden zu wollen. Viel Erfolg wünsche ich Ihnen, Herr Zimmermann." Dem mögen wir uns auch nach dreißig Jahren Denunziantentum noch immer nicht anschließen. Aber so war das damals. Und nicht anders.

Am 18. Oktober zeigt das ZDF um 20.15 Uhr ein "Aktenzeichen XY ...-Special" mit den "spektakulärsten Fällen" aus 30 Jahren. - Eduard Zimmermann erhält in diesem Jahr gemeinsam mit Heinrich Breloer ("Das Todesspiel") den Bayrischen Fernsehpreis