Den Haag in Düsseldorf

Ein Präzedenzfall: Deutsches Gericht verurteilt Serben wegen Völkermordes zu lebenslänglicher Haft

Das Urteil erging "im Namen des Volkes" - des deutschen, müßte hinzugefügt werden. Und es traf einen bosnischen Serben: Nikola Jorgic« wurde am Freitag vergangener Woche vom 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt. Das Berufsrichterkollegium fand ihn in elf Fällen des Völkermordes, 30fachen Mordes, der 50fachen gefährlichen Körperverletzung und der Freiheitsberaubung in 355 Fällen für schuldig. "Seine Schuld wiegt besonders schwer", verkündete der OLG-Senat zum Abschluß. Deshalb müsse der 50jährige auch "mehr als 15 Jahre verbüßen".

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wandte damit ein bundesdeutsches Gericht den im Strafgesetzbuch verankerten Völkermord-Paragraphen an - auf einen ausländischen Staatsbürger allerdings. Nikola Jorgic« habe, so der Senatsvorsitzende Günther Krantz, von Mai bis September 1992 im ehemaligen Jugoslawien als "regionaler Tschetnikführer" eine serbisch-nationalistische Freischärlertruppe befehligt und dabei an der moslemischen Bevölkerung "in besonders brutaler Weise" Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen, um die Region "ethnisch zu säubern". Für den Laien ist die Begrifflichkeit des Völkermordes nur schwer verständlich, denn sie umfaßt nicht nur eine konkrete Mordhandlung oder die Beihilfe dazu. Gesetzlich wird Völkermord definiert als Handlung, in der "Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören". Damit können auch Personen angeklagt und wegen Völkermordes verurteilt werden, die "Mitgliedern der Gruppe schwere körperliche oder seelische Schäden zugefügt" haben oder wer "die Gruppe unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, deren körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen".

In der sieben Monate dauernden Beweisaufnahme habe das Gericht, so Krantz, zahlreiche Belege für die Schuld des Angeklagten gefunden. Jorgic« habe sich als "Mittäter und damit als Täter" im Sinne des Völkermord-Paragraphens schuldig gemacht. Unter anderem habe Jorgic« Mitte Juni zusammen mit einem weiteren Serben in dem Ort Grapska mit Maschinenpistolen auf eine Gruppe von Moslems geschossen. Bei dem Massaker seien 22 Moslems umgekommen, darunter ein Kind. Anschließend hätten moslemische Gefangene die Getöteten in einem Massengrab verscharren müssen. Am 18. Juni hätten Gefolgsleute von Jorgic« im Dorf Sevarlije auf dessen Befehl die moslemischen Bewohner zusammengetrieben und sieben von ihnen ermordet. Eigenhändig habe Jorgic« im September des gleichen Jahres dann einen Gefangenen im Zentralgefängnis von Doboj erschlagen. Dabei habe er diesem einen Blecheimer auf den Kopf gestülpt und danach mit einer Holzbohle auf den Eimer "mit äußerster Brutalität" geschlagen.

Mit aschfahlem Gesicht verfolgte der seit Dezember 1995 in Düsseldorf inhaftierte Jorgic« am 41. Verhandlungstag die zweieinhalbstündige Urteilsverkündung. Während der Hauptverhandlung hat der gelernte Schlosser immer wieder seine Unschuld bekundet. "Ich bin das Opfer von gesteuerten Aussagen und Verwechslungen geworden", betonte der Serbe in seinem Schlußwort. Nikola Jorgic« will in der Zeit, in der er die Verbrechen begangen haben soll, wegen des "Verdachts des illegalen Handels und Schmuggels" selbst im von Serben kontrollierten Gefängnis von Doboj inhaftiert gewesen sein. Als er am 16. Dezember 1995 auf dem Düsseldorfer Flughafen bei der Einreise in die Bundesrepublik festgenommen wurde, hatte er auch entsprechende Entlassungspapiere aus dem Gefängnis bei sich. "Gefälligkeitsbescheinigungen", wie Richter Krantz jetzt formulierte, denn der Angeklagte habe von den Ermittlungen gegen ihn gewußt. Sein Alibi sei konstruiert und "schlicht gelogen". Während der Beweisaufnahme hatte das Gericht deshalb auch zwei Journalisten verhört. Beide hatten mit dem Angeklagten in jenem Zeitraum Kontakt, als dieser in Haft gewesen sein will. Jorgic« behauptete, nur unter Bewachung freigelassen worden zu sein, um die beiden Journalisten wegen seiner guten Deutschkenntnisse auszuspionieren. Beide sagten aus, daß sie davon nicht nur nichts gemerkt hätten, vielmehr sei dieser bewaffnet und uniformiert gewesen. "Sein Gesicht", so einer der Journalisten, "ersetzte den Ausweis."

Zahlreiche Zeugen hätten Jorgic« nach Ansicht des Gerichts zweifelsfrei als denjenigen identifiziert, der damals in der Region Doboj die moslemische Bevölkerung mit "äußerster Brutalität" terrorisiert, mißhandelt und zahlreiche Menschen ermordet habe, befand das Gericht. Zum Teil hätten die Zeugen ihn noch aus der Zeit gekannt, als Serben und Moslems in Doboj "friedlich und ohne Konflikte" zusammengelebt hätten. Während der Hauptverhandlung war eine vom serbischen Fernsehen ausgestrahlte Propagandasendung gezeigt worden. Darin rühmte sich Jorgic« als ein "auf allen Kriegsschauplätzen bekannter Mann". Jorgic« forderte in dem Film seine im Ausland lebenden serbischen "Brüder" auf, nach Bosnien zurückzukehren und es ihm gleichzutun.

Die Verteidigung hatte Freispruch für ihren Mandanten gefordert, "weil die Täterschaft des Angeklagten keineswegs erwiesen" sei. Gleichzeitig zweifelte sie die völkerrechtliche Zuständigkeit des Gerichtes an. "Das Dilemma ist", so der Frankfurter Rechtsanwalt Hans Grünbauer, "daß sich ein international nicht zuständiges Gericht für zuständig erklärt hat."

Diesen Vorwurf des Verteidigers wies der Vorsitzende Richter Günter Krantz zurück. Auch wenn der in Den Haag ansässige Internationale Gerichtshof für die Verfolgung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien es abgelehnt habe, Nikola Jorgic« anzuklagen, sei daraus kein Anklageverbot in Deutschland abzuleiten. Zum einen beziehe sich der Straftatbestand des Völkermordes auch auf Verbrechen im Ausland, zum anderen gestatte der Gesetzgeber die Anklage eines "ausländischen Staatsbürgers", wenn der Beschuldigte "zeit- oder teilweise seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland" gehabt habe. Nikola Jorgic« hat mehr als zwanzig Jahre in Deutschland gelebt und ist mit einer Deutschen verheiratet.

Im Gegensatz zum Düsseldorfer Strafsenat hat im Mai dieses Jahres das Oberste Landesgericht in Bayern die Verurteilung eines Serben wegen Völkermordes abgelehnt und diesen wegen vielfachen Mordes lediglich zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Verteidigung von Nikola Jorgic« will gegen das Urteil Revision einlegen.