Der Gefreite aus Ankara besucht Bonn

Der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz will für eine Annäherung an die EU werben. Das Militär ist im Nordirak unterwegs

In stillem Triumph kann der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz seine Deutschlandreise antreten. Seiner Rivalin und persönlichen Erzfeindin, der ehemaligen Ministerpräsidentin und Außenministerin Tansu Çiller, droht ein Verfahren wegen "Beleidigung und Herabsetzung der türkischen Streitkräfte", einem Vergehen, das in der Türkei mit Haftstrafen zwischen einem und sechs Jahren geahndet werden kann. Anlaß dazu hatte Yilmaz auf indirekte Weise selbst gegeben. Die Anzeige bei der Staatsanwaltschaft durch den Generalstab erfolgte wegen eines Ausspruchs Çillers vor einer Woche in Samsun, als sie über Yilmaz spottete: "Noch kein Ministerpräsident hat die Ehrlosigkeit besessen, sich wie ein Gefreiter aufzuführen."

Dieser Vergleich erzürnte die türkischen Generalität so sehr, daß umgehend eine Untersuchung gegen die skandalumwitterte Politikerin, die in der Vergangenheit mehrfach unter dem Verdacht stand, in Korruptionsskandale und Drogenhandel verwickelt zu sein, eingeleitet wurde.

Der Vergleich mag hinken, ist aber nicht ganz abwegig. Kurz vor Yilmaz' Deutschland-Reise, bei der er sich um BRD-Unterstützung für eine neuerliche Annäherung an die Europäische Union bemühen will, haben die türkischen Militärs einen erneuten Feldzug im Nordirak begonnen. Sobald alle Lager der kurdischen PKK im Nordirak zerstört seien, würden sich die bis zu 25 000 Soldaten zurückziehen, meldete die halbamtliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf einen türkischen Regierungsvertreter. Die Haltung Ankaras, allein auf eine militärische Lösung des sogenannten Kurdenkonfliktes zu setzen, belastet jedoch das Verhältnis der Türkei zu den EU-Staaten. Der jüngste Eklat um den internationalen Friedenszug Musa Anter, dessen Teilnehmer brutaler Behandlung durch die türkischen Sicherheitskräfte ausgesetzt waren, trug auch nicht dazu bei, das Verhältnis entscheidend zu verbessern - wenngleich BRD-Innenminister Kanther dafür gesorgt hatte, daß der Friedenszug nicht durch Deutschland fahren durfte.

Ankara bezieht sich regelmäßig darauf, einen durch Terror verursachten Krisenherd kontrollieren zu müssen. Zu denken geben in diesem Zusammenhang allerdings die Worte des türkischen Parlamentsabgeordneten Fikri Saglar: Seiner Ansicht nach wird der Konflikt im Südosten unter anderem deshalb nicht beendet, weil zu viele daran verdienen. Tatsächlich können die türkischen Streitkräfte mit dem Kurdenkonflikt die Militarisierung des Südostens an den kritischen Grenzen zu Nordirak, Syrien und Iran rechtfertigen.

Zugleich mehren sich Indizien, daß nicht wenige aus den Sicherheitskreisen am Drogenhandel verdienen. Dies betonten am vergangenen Donnerstag in Paris und New York die Drogenexperten des "Observatoire géopolitique des drogues" - eines Institutes, das sich mit der Beobachtung des internationalen Drogenhandles beschäftigt - in ihrem Jahresbericht: Sie stellten fest, daß in der Türkei das von den Sicherheitskräften beschlagnahmte Heroin nicht vernichtet wird, sondern in den Handel zurückfließt. Organisiert werde die Logistik von rechtsextremen Kreisen innerhalb der Sicherheitskräfte. Einer der Köpfe sei der ehemalige oberste Polizeipräsident, Ex-Justiz- und Innenminister Mehmet Agar, der unter dem Schutz Tansu Çillers in Deutschland, Holland, Belgien und Aserbaidschan einen Mafia-Ring aufgebaut habe, der Schmuggelgeschäfte betreibe und Schutzgelder erpresse. Agar war zusammen mit Sedat Bucak, Chef von mindestens 2 000 gegen die PKK bewaffneten "Dorfschützern" und beim Susurluk-Unfall dabei. Seit 1993 - noch zur Amtszeit des jetzigen Staatspräsidenten Süleyman Demirel, in dessen Kabinett Tansu Çiller Wirtschaftsministerin war - ist er innerhalb der polizeilichen "Abteilung für Sonderaufgaben" für die Organisation der Kontraguerilla und ihrer Finanzierung verantwortlich.

Auch Abdullah Catli, der bei dem Susurluk-Unfall im November 1996 ums Leben gekommene, von Agar mit falschen Papieren ausgestattete Kontraguerillero, soll mit von der Partie gewesen sein. Er habe einen Ring geleitet, der Rohstoff aus Baku in Nahcivan zu Heroin umwandeln und dann nach Deutschland, Holland und Belgien transportieren ließ. In der Schweiz saß er bis 1990 wegen Drogenschmuggels in Haft, bis er, nach Aussagen seiner Gattin Meral, vom türkischen Geheimdienst aus dem Gefängnis Bostadel befreit wurde. Angeheuert wurde Catli vom mittlerweile verstorbenen Ex-Minister- und Staatspräsidenten Turgut Özal - eine alte Geschichte, die sich aber durch mindestens drei Regierungsdekaden zog. Unwahrscheinlich ist, daß diese spezielle Sicherheitspolitik ohne Wissen und Anleitung des türkischen Generalstabs betrieben wurde.

Zur Zeit wird ein Teil der politisch stabilen Schwarzmeerküste an der Grenze zu Georgien militarisiert. Einige bekannte Kontraguerilla-Chefs wurden bereits in die Region versetzt. Zugleich berief man Mehmet Agar - an sich Abgeordneter des ostanatolischen Wahlkreises Elazig - innerhalb Tansu Çillers Partei des Rechten Weges (DYP) zum Verantwortlichen für die Parteimobilisierung an der Schwarzmeerküste. Interessant in diesem Zusammenhang ist die jüngste Warnung der Internationalen Organisation zur Bekämpfung des Drogenhandels (DEA), der Drogenhandel der Kaukasusrepubliken laufe über die Schwarzmeerregion. Agar scheint sich nach der Entlassung des Großteils der angeklagten Kontra-Polizeichefs aus der Untersuchungshaft seiner Sache sicher zu sein. Am vergangenen Freitag erklärte er in seinem Wahlkreis Elazig, im Susurluk-Fall gebe es keine Schuldigen, weil keine Ankläger existierten. Ursprünglich hatte Ministerpräsident Yilmaz versprochen, den Susurluk-Unfall nicht ruhen zu lassen. Auf die parlamentarische Anfrage des Oppositionspolitikers Fikri Saglar blieb bislang allerdings jede Reaktion aus.

Ohnmächtig muß Yilmaz derzeit auch die Diskussion um die Einführung eines Präsidialsystems verfolgen, das Staatspräsident Süleyman Demirel mit den entscheidenden Machtbefugnissen ausstatten würde. Demirel fungiert seit Amtsantritt als verlängerter Arm des Generalstabs, die Idee zur Erweiterung seiner Befugnisse stammt von ihm selbst. In diesem Machtspiel ähnelt Yilmaz Rolle tatsächlich der eines Gefreiten, der bereit sein sollte, Befehle zu empfangen.

Nach außen präsentiert die Türkei zur Zeit vor allem die Rolle eines Brückenstaates, der noch einmal die islamistische Bedrohung abwehren konnte - ein bewährtes Mittel zur Beruhigung europäischer Urängste. Der Vorwurf des Frankfurter Richters Schwalbe, Tansu Çiller behindere aus Eigeninteresse die Ermittlungen in einem Drogenprozeß, ist längst vergessen. Unbequeme Fragen braucht Mesut Yilmaz bei seinem Deutschlandbesuch ohnehin nicht zu fürchten. Das deutsche BKA, und damit auch die Bundesregierung, sind über diese Machenschaften seit langem bestens informiert, da zwei Verbindungsbeamte des BKA in Istanbul und einer in Ankara vor Ort beobachten und regelmäßig Bericht erstatten. Der ehemalige BKA-Mitarbeiter Schmidt-Eenboom bestätigte bereits im Juni in einem Interview mit dem ARD-Magazin "Kontraste", die Bundesregierung sei über die Verstrickung türkischer Politiker und Amtsträger in den Drogenhandel unterrichtet. Nur handele sie eben gemäß außenpolitischer Rücksichten.