Deutsche Einheit der Gespenster

Den Jahrestag der Vereinigung feiern politische und echte Dinos in Stuttgart und Berlin. Linke Gegenaktionen gibt es auch

Fast wäre im Sommer das, was so mühsam einverleibt wurde, einfach überspült und weggeschwemmt worden. Wäre das ein Vor- oder ein Nachteil? Was würde das für den Regierungsumzug bedeuten, und was wäre mit dem Soli? Das sind Gedanken, die viele im Westen anläßlich des siebten Jahrestages der deutschen Wiedervereinigung hegen. Im Osten hat man natürlich andere Sorgen. War es das wert? Was fange ich morgen mit dem lieben langen Tag an? Sieben Mal Mallorca - und nun?

Doch trotz aller Zweifel muß natürlich auch im achten Jahre nach der Wiedervereinigung gefeiert werden: Der Sieg über die kommunistische Diktatur und die auferstandene großdeutsche Nation. Wie in den letzten Jahren feiern der Mann, der dem ganzen Vereinigungsklimbim am meisten verdankt, Helmut Kohl, mit seiner Bundesregierung den Tag, an dem die DDR ihre Eigenständigkeit aufgab, mit einem Mordsspektakel an einem zentralen Platz irgendwo in Deutschland.

Dieses Jahr findet das Fest der Deutschen in der Stuttgarter City statt. Das originelle Motto lautet: "Zusammen wachsen - zusammen feiern". Man beachte dabei bitte die Schreibweise der ersten beiden Wörter. Daß es nämlich zwei Wörter sind und nicht eines, sagt vieles aus. Nicht zusammenwachsen will man, wie einst Willy Brandt, sondern zusammen wachsen. Wirtschaftlich? Geographisch? Politisch? Militärisch? Diese Frage bleibt ungeklärt. Klar ist jedoch, daß am Abend auf dem Schloßplatz die Pop-Gruppe Scorpions ihren den politischen Veränderungen in der Sowjetunion gewidmeten Song "Wind of Change" vortragen wird.

Die pseudo-harten Schnulzenkönige sollen von mehr als 1 000 Polizisten bewacht werden. So viele Beamte will man jedenfalls für die gesamte Veranstaltung einsetzen, teilte das Führungs- und Lagezentrum in Stuttgart mit. Da die Scorpions aber vermutlich ihre eigenen Bodyguards mitbringen, können sich die Polizisten auch noch schützend um den offiziellen Staatsakt im Großen Haus des Württembergischen Staatstheaters kümmern. Festredner werden der abgewählte US-Präsident George Bush und der Immer-noch-Bundeskanzler Helmut Kohl sein. Ach, und Ministerpräsident Erwin Teufel läßt es sich natürlich auch nicht nehmen. Eine weitere Festveranstaltung, die mit der Fürsorge der uniformierten Einsatzkräfte rechnen darf, findet im Cannstatter Kursaal satt. Dort feiern die Republikaner den Mauerfall, dem sie ihr politisches Überleben verdanken.

Doch vor wem sollen die eifrigen Polizeibeamten all diese Wendegewinnler beschützten? Na, vor den Wendeverlierern natürlich. Aber werden die Ossis den Weg in das völlig abseits gelegene, zu groß geratene Musterdorf Stuttgart finden? Sicher nicht, soweit fährt kein Trabbi mehr. Aber die politischen Verlierer, die Linken, wollen kommen, und die fahren auch mit dem 35-Mark-Ticket. Sie haben eine Großdemonstration angemeldet und rechnen mit mehreren tausend Teilnehmern. Titel der Demo: "Den nationalen Konsens sprengen - gegen Großmachtpolitik, Sozialabbau und Repression", Start: zwölf Uhr am Friedrichsplatz. Aufgerufen wird von einem linksradikalen Bündnis, hauptsächlich aus dem autonomen Spektrum. In dem Aufruf heißt es, das Wegfallen der Systemkonkurrenz nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Länder sei ein Grund dafür, daß "die herrschende Klasse den Sozialabbau sowie die rassistische und nationalistische Hetze verschärfen und den militärischen Aktionsradius erweitern" konnte.

Auch in der Hauptstadt der Deutschen, Berlin, wird natürlich an jenem 3. Oktober gefeiert. Und auch hier gibt es zwei völlig unterschiedliche Ansatzpunkte, aber beide sind ganz lustig. Zum einen soll es unter dem Schirm von Rita Süßmuth wie im letzten Jahr einen großen Umzug mit 53 Festwagen, 38 Musikgruppen und 63 Pferden geben. Es geht darum, typisch deutsche Kultur darzustellen, weswegen neben Trachtenträgern aus den 16 Bundesländern auch diverse Burgfräuleins, Füsiliergarden, zwei Drachen und ein Dinosaurier aufmarschieren werden. Besonders ungeschickt stellte sich, wie immer, die Deutsche Post AG an. Da darf sie schon mit einem eigenen Wagen privilegiert um die Gunst der verärgerten Portokunden werben, und dann tut sie es ausgerechnet mit Costa Cordalis! Na, selbst schuld.

Doch Berlin wäre nicht Berlin, wenn es neben öffentlichem Schwachsinn nicht auch eine ordentliche linke Gegendemo gäbe. Und die wird, ebenfalls schon traditionsgemäß, von dem Antimilitaristischen Oberjubel-Komitee (AMOK) organisiert. Abmarsch ist um fünf vor zwölf am Schloß Charlottenburg, weitermarschiert wird dann über den Kudamm zur Gedächtniskirche. Das Spaß-Bündnis rund um den Kabarettisten Dr. Seltsam, an dem sich auch die Grünen, die PDS, Gewerkschaften, Friedens-, Umwelt- und Antifa-Gruppen und der Schwulenverband beteiligen, plant unter anderem, "deutsche Säcke gegen polnische Fluten" mitzuführen. Am Rande des Umzuges werden "Feldjäger" "Jagd auf den letzten Wehrpflichtigen" machen und Mütter wollen das Kanonenfutter für den nächsten Krieg abliefern. Bereits in der Nacht vorher, am 2. Oktober um 23 Uhr, soll es auf genau der Strecke, auf der am nächsten Tag Süßmuths Trachtendinos marschieren, einen "Umzug der Gespenster des Militarismus" geben. Im Zusammenhang mit der Genehmigung des Umzuges kam es zu einem Briefwechsel zwischen AMOK und polizeilichem Staatsschutz über die Lautstärke. Der Staatsschutz empfahl einen Schweigemarsch, weil Geister in der Regel lautlos zu schweben pflegten. AMOK indes berief sich erfolgreich auf kettenrasselnde Untote. Entsprechende Requisiten sind also ausdrücklich erbeten.