Eventuelle Entwaffnung

Autonomie-Regelung stellt Basis für Nordirland-Gespräche dar

Immer öfter schlägt die Geschichte zu. Nun hat es auch Nordirland erwischt, orientiert man sich an den Äußerungen des Sinn-Féin-Chefs Gerry Adams ("ein historischer Tag") und des Vorsitzenden der gemäßigt nationalistischen Social Democratic and Labour Party, David Hume, demzufolge der Begriff "historisch" dieses Mal tatsächlich angebracht sei. Der Anlaß: Die Konfliktparteien in Nordirland haben sich in der vergangenen Woche bei ihren Gesprächen über die Zukunft Nordirlands auf eine Vehandlungsgrundlage geeinigt. Großbritannien und die Republik Irland hatten einen Entwurf über einen Autonomie-Status vorgelegt, und dieser wurde als Basis für die Gespräche akzeptiert; demnach soll Nordirland als autonome Provinz weiter im United Kingdom verbleiben. Die Phase der Vorgespräche ist beendet. Bis Mai 1998 sollen die substantiellen Gespräche, so die Hoffnung des britischen Premierministers Blair, zu einem Ergebnis kommen. Über dieses soll sowohl in Nordirland als auch in der Republik Irland abgestimmt werden.

Inhaltlich stehen drei Themenkreise zur Debatte: Die Beziehungen zwischen protestantischer Bevölkerungsmehrheit und den in den Institutionen systematisch diskriminierten Katholiken; außerdem das Verhältnis zwischen Nordirland und der Republik Irland im Süden, wobei auch über grenzüberschreitende Institutionen gesprochen werden soll - die Protestanten lehnen eine solche "Einmischung" Dublins ab, Sinn-Féins Maximalforderung ist die Angliederung Nordirlands an die Republik Irland mit grundlegenden Änderungen der Verfassung und der politischen Institutionen.

Der dritte Verhandlungskomplex soll sich um die Beziehungen zwischen Irland und Großbritannien sowie um die Umsetzung der Vereinbarungen drehen. Sollten die Verhandlungen bis Mai zu keinen Ergebnissen geführt haben, wollen London und Dublin eigene Vorschläge in Nordirland sowie der Republik Irland abstimmen lassen.

Die Frage der Entwaffnung der bewaffneten Verbände beider Seiten bleibt zunächst ausgeklammert. Bislang hatte der Verhandlungsführer der größten Protestanten-Partei Ulster Unionist Party, David Trimble, die sofortige Entwaffnung der Irisch-Republikanischen Armee zur Vorbedingung für den Beginn der Gespräche gemacht, was Sinn Féin und IRA strikt ablehnten. Eine internationale Kommission unter Vorsitz von Trimbles Wuschkandidaten, dem kanadischen Ex-General John de Chastelain, soll nun die eventuelle Entwaffnung von IRA und protestantischen paramilitärischen Verbänden überwachen, und zwar parallel zu den Verhandlungen.

Noch unmittelbar bevor er sich an den Verhandlungstisch mit Sinn Féin begab, ließ Trimble zur Beschwichtigung parteiinterner Kritik Theaterdonner grollen: Anfang der Woche bezeichnete er Sinn Féin als faschistische Partei. Und zu Beginn der Gespräche beantragte die Unionisten-Delegation, wenngleich vergeblich, Sinn Féin von den Verhandlungen auszuschließen - wegen des Bombenanschlags in Markethill eine Woche zuvor, der auf das Konto der IRA-Abspaltung "Continuity Army Council" gehen soll. Die IRA hat am 20. Juli einen Waffenstillstand verkündet.

Ausschlaggebend für Trimbles Kursänderung scheinen vor allem zwei Dinge zu sein. Geschäftswelt und katholische Kirche drängen auf Verhandlungen, und Tony Blair verfolgt eine neue Politik gegenüber Wales und Schottland. Die NZZ zitiert Trimble jedenfalls mit den Worten: "Die Aussicht auf Selbstverwaltung in Schottland und Wales ist sehr hilfreich. Nordirland wird dann in das Muster passen", und vermutet, er strebe eine Selbstverwaltung Nordirlands mit möglichst machtlosen gesamtirischen Institutionen an.

Wie auch immer man den Beginn substantieller Gespräche bewerten mag: Einen Durchbruch zu einer vereinigten sozialistischen Republik, dem von Sinn Féin propagierten Ziel, stellen sie nicht dar.