Heiße Packung

In dem Katastrophenfilm "Volcano" versinkt der wichtigste Ort der Bilderproduktion in der Lava

Es fließt heraus, und allen wird angst und bange: Aus der gespaltenen Erde (weiblich) dringt der vernichtende Strom glühender Flüssigkeit. Die Natur (w) hat ihre Tage (auch w). Oder ejakuliert der Planet (m) oder - ganz knifflig - der Materialismus (männlich, weiblichen Ursprungs)? Interpretation hin und her. So ganz genau läßt sich das jetzt nicht freudianisch benennen, aber das Thema heißt mit Sicherheit: Mythische Filmkonstruktion, Leben bedeutet Tod. Hier werden Ur-Ängste verhandelt.

"Heißer als die Hölle" inseriert das Filmstudio Twentieth Century Fox anspielungsarm ihre Produktion "Volcano". In dem Hot Spot unter der Leitung des Regisseurs Mick Jackson, der mit "L.A.Story" (1991) und viel mehr noch durch "Bodyguard" (1992) bekannt wurde, versinkt ganz Los Angeles in Glut und Asche: Das Katastrophen-Sujet, seit Jahrzehnten auf Odyssee im Filmgeschäft, kehrt an den Ort seines Ursprungs zurück. Wo vorher nur HipHop, Mord, Totschlag herrschten, herrschen nun heißer HipHop, Mord, Totschlag. Aber was ist ein Überfall auf einen Bankautomaten gegen einen geschmolzenen Bankautomaten? Lange haben die Experten herumexperimentiert, bis die Lava so heiß aussah, wie sie normalerweise daherfließt.

Los Angeles ist die Welthauptstadt der Unterhaltungsindustrie, und Aufräumen tat ohnehin mal not im Hort der Unordnung. Es drehe sich alles um "extreme Naturgewalten und wie wir Menschen darauf reagieren", erklärt Drehbuchautor Jerome D. Armstrong, "für jeden einzelnen geht es um Leben oder Tod" Ko-Autor Billy Ray. "In L.A. kann man sich nicht einfach vor den Problemen des Lebens verkriechen", findet Mick Jackson. Und: "Alle Leute glauben, wir hätten besseren Sex, mehr Geld und mehr Sonne." Produzentin Lauren Shuler Donner: "Wenn der Vulkan ausbricht, müssen alle verfeindeten Gruppen an einem Strang ziehen." - So wie Drogenfreak und Polizist in "Volcano". Statt Familien- die Sippen-Values: Alle gleich, arm wie reich. Wie von "Independence Day" (1996) bis "Flammendes Inferno" (1974) und noch weiter. Mike Roark (Tommy Lee Jones), Chef der Notstandsbehörde, befindet sich gerade im Urlaub, als es in den berühmten La Brea-Teergruben, dem Feuchtgebiet mitten in der Stadt, warm brodelt. Warum der See sich so schnell um sechs Grad aufheizen kann, was ein Vulkan ist und wo die St.Andreas-Spalte liegt, erklärt die attraktive Wissenschaftlerin Amy Barnes (Anne Heche) den dummen Männern weit und breit.

Schon aber sprudelt die Glut über die Straßen. Verkehrsunfälle, abgeknickte Strommasten, menschliches Leid. Gullideckel fliegen auf die Ohren, Gasleitungen platzen, Menschen fallen in Erdspalten, Hochhäuser wanken, Autos rasen gegen Mauern, Paranoia in der U-Bahn, Fahrstühle bleiben stecken, dunkle Wolken am Himmel, graue Asche, Lavabomben schlagen ein, die tonnenschwer sein können.

Der Strom muß gestoppt werden. Barnes: "Beton hält ihn auf." Beton. Die menschliche Gemeinschaft baut einen Burggraben. Und bevor wir überlegen können, warum man nicht, wie jeder vernünftige Mensch es tun würde, flüssigen Stickstoff zur Kühlung nimmt, hält die L.A.-Feuerwehr ihre Schläuche darauf. Siehe oben.

Die Episode zeigt, daß eine lesbische Schauspielerin (Heche) inzwischen gleichberechtigt neben männlichem Hauptdarsteller (Jones) ein Problem lösen darf. Wir sind's - genderpolitisch korrekt - zufrieden.

Kurz darauf ist der todbringende Gesteinsfluß kaltgespritzt, Nebenhandlungen mal ausgelassen. Die Tiefenstruktur beschränkt sich wie im Sturmtief-, Erdbeben-, Überschwemmungsfilm aufs Wesentliche. Der Filmkritiker Gunter Göckenjan: "Die Menschen müssen in diesen Donner-Wetter-Filmen letztlich keine Verantwortung für ihr Begattungsverhalten übernehmen, das Wetter erledigt das für sie." (Cinema 9/96)

Ein Wiedersehen gibt es mit Gaby Hoffmann, die hier die Roark-Tochter Kelly spielt und bekannt ist aus Woody Allens "Alle sagen: I love you". In "Volcano" wird sie samt ihrem Hund gleich mehrmals gerettet werden: Zum Beispiel vor dem umstürzenden Beverly Heights Tower, in den Norman Calder (John Corbett) sein gesamtes Geld investiert hat. Seine Frau Dr.Jaye - Jacqueline Kim in einer nicht unbedeutenden Nebenrolle - lobt/liebt ihn extra dafür/deswegen. Und dann: Das Gebäude muß gesprengt werden, um den zweiten Lavastrom ins Meer abzuleiten. Nur eine halbe Stunde ist noch Zeit, dann ist der Film vorbei!

Der Aufwand für die kleine Phantasie war beträchtlich. Jedes Kulissengebäude war so konzipiert, daß es mehrmals brennen konnte. 400 Beschäftigte arbeiteten täglich in der Filmstadt. 36 künstliche Riesenpalmen waren so präpariert, daß sie wie "Geburtstagskerzen auf einem Kuchen" (Fox) in Flammen aufgehen konnten. Papier-Asche wurde mit Ventilatoren übers Set gepustet (Material gesundheitlich unbedenklich). Nach Drehende wurde sie von unzähligen fleißigen Händen wieder zum Recycling eingesammelt, erklärt die Produktionsfirma.

Einen Feind gibt es nicht, aber einen Kampf. Wie sich das für die Abteilung Katastrophe gehört, ist der Lava-Strom der bad guy - er "ist einfach nicht totzukriegen" (Jackson) und deshalb kaltzumachen. Dabei besticht "Volcano" gegenüber seinem äußerst biederen Vorgänger "Dante's Peak" (1996) durch ein für Familienfilme hohes Maß an Brutalität. Kostproben: - Sieben Männer verbrennen und ersticken dann erst in der Kanalisation. Die Forscherin-Freundin von Amy Barnes windet sich überzeugend in einem langen Todeskampf, bevor der Lava-Strom sie einsaugt. Mike Roark möchte einem eingeklemmten Feuerwehrmann das Leben retten, der schon vor Angst schreit. Aber dann kommt Roarks Tochter in die Quere. Der Hilflose schmilzt qualvoll mitsamt seinem Fahrzeug. - Stan Olber (John Carroll Lynch), beleibter Chef des Verkehrsamtes, kann zwar einen seiner U-Bahn-Fahrer aus einem steckengebliebenen Gefährt retten. Als er aber mit dem Bewußtlosen auf dem Arm wieder zurück will, ist die 2 000 Grad heiße Lava schon überall. "Spring! Spring!" rufen die Kollegen. Olber nimmt Anlauf, hopst zu kurz und landet in der Masse. Mit letzter Kraft kann er den Verletzten noch aufs Trockene werfen. Dann zerrinnt er nach und nach bis ans Zahnfleisch, wobei ihm die Freunde zusehen können.

Ist das Katastrophen-Genre damit am Ende? Ja, na und. Rein menschliche Konfliktstellungen seien viel interessanter, erklärten wichtige Filmjournalisten anläßlich des neuen John Woo-Films "Im Körper des Feindes" letzte Woche. Der Kampf zwischen Mensch und Natur lasse sich einfach deutlicher herausarbeiten am Thema "Natur des Menschen". Unser Tun ist also grundfalsch.

Aber wenn sich mit "Volcano" ein vorläufiges Ende abzeichnet, dann wenigstens ein außerordentliches. Heiß Scheiß und trotzdem schön.

"Volcano". USA 1997. R: Mick Jackson, D: Tommy Lee Jones, Anne Heche, Gaby Hoffmann, Don Cheadle, Keith David. Start: 2. Oktober